Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Das Wormser Volkstheater. Arbeitern Blumen zur Pflege ins Haus giebt, in der schönen Voraussetzung, Gar zu leicht geht dem Menschen, der im Getriebe des Arbeitsmarktes, bei Das Wormser Volkstheater. Arbeitern Blumen zur Pflege ins Haus giebt, in der schönen Voraussetzung, Gar zu leicht geht dem Menschen, der im Getriebe des Arbeitsmarktes, bei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201828"/> <fw type="header" place="top"> Das Wormser Volkstheater.</fw><lb/> <p xml:id="ID_937" prev="#ID_936"> Arbeitern Blumen zur Pflege ins Haus giebt, in der schönen Voraussetzung,<lb/> daß mit diesen Blumen auch das zarte Pflcinzlein des Idealismus aufwachsen<lb/> und an ihnen emporrankend seine Pflege finden werde. Auch ein schönes<lb/> poetisches Bild, ein sittlicher Gedanke, aus dem Schauspielhause heimgebracht,<lb/> kann eine Blume im Hause werden. Mit dankenswertem Eifer baut man allent¬<lb/> halben Volksbäder, und die Ortsstatistik wird ihren günstigen Einfluß auf leib¬<lb/> liche, geistige und moralische Gesundheit wohl nachweisen können. Über den<lb/> Eingang des Wormser Volkstheaters könnte man schreiben: Geistiges Volksbad.<lb/> Mancher wird da seine Seele rein baden von dem Werktagsstaube und manchen<lb/> moralischen Giftstoff und Fäulniserreger fortspülen lassen von den klaren Wellen<lb/> des Idealismus, des Sittlich-Schönen. Und wenn die Kirche erzieht dnrch<lb/> Hinführung zum Unendlichen, Göttlichen, so ist die Volksbühne eine Vorschule<lb/> durch Darstellung des Endlichen, Menschlichen in seiner edelsten Erscheinungsform.</p><lb/> <p xml:id="ID_938" next="#ID_939"> Gar zu leicht geht dem Menschen, der im Getriebe des Arbeitsmarktes, bei<lb/> der vereinseitigenden Arbeitsteilung selbst fast zur Maschine wird, das Bewußt¬<lb/> sein von der Würde und Bedeutung des Einzelnen und des Daseins verloren.<lb/> Das ist das wahre geistige Elend, und es hat seine Stätte besonders in den<lb/> Fabriken. Nun wollen wir den hoffnungsreichen Worten von Werner Siemers<lb/> gern glauben, mit denen er auf dem vorjährigen Naturforschertage das natur¬<lb/> wissenschaftliche Zeitalter pries und als sicher in Aussicht stellte, daß es für<lb/> die nicht abzuleugnenden Übel, die es mit sich bringe, auch die Heilmittel in<lb/> sich trage. Große Maschinen gäben zwar die mechanische Arbeitsleistung immer<lb/> noch viel billiger als kleine, und die Aufstellung der letztern in den Wohnungen<lb/> der Arbeiter stoße außerdem noch auf große Schwierigkeiten. Es werde aber<lb/> der Technik unfehlbar gelingen, das Hindernis der Rückkehr zur wettbewerbungs-<lb/> fähigen Handarbeit zu beseitigen, und zwar durch die Zuführung billiger mensa--<lb/> nischer Arbeitskraft in die kleinen Werkstätten und Wohnungen der Arbeiter.<lb/> „Nicht eine Menge großer Fabriken in den Händen reicher Kapitalisten, in denen<lb/> »Sklaven der Arbeit« ihr klägliches Dasein fristen, sei daher das Endziel der<lb/> Entwicklung des Zeitalters der Naturwissenschaften, sondern die Rückkehr zur<lb/> Einzelarbeit oder, wo es die Natur der Dinge verlange, der Betrieb gemein¬<lb/> samer Arbeitsstätten durch Arbeitervereinigungen, die erst dnrch die allgemeine<lb/> Verbreitung von Kenntnis und Bildung und durch die Möglichkeit billiger<lb/> Kapitalbeschaffung eine gesunde Grundlage erhalten werden." Man glaubt<lb/> gern, was man wünscht, und deshalb weisen wir den leisen Gedanken, ob<lb/> die billigere mechanische Arbeitskraft für größere Maschinenanlagen nicht wieder<lb/> noch billiger werden könnte, von der Schwelle. Aber bis dieses Ziel erreicht<lb/> ist, bis das naturwissenschaftliche Zeitalter die Wunden, die es schlug, auch<lb/> wirklich geheilt hat, bleibt noch viel zu wirken und zu schaffen auch für den<lb/> NichtNaturforscher, für den Philosophen und den Künstler. Und später hoffent¬<lb/> lich nicht minder. Da gilt es, dem Arbeiter jenes Bewußtsein von der wahren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0399]
Das Wormser Volkstheater.
Arbeitern Blumen zur Pflege ins Haus giebt, in der schönen Voraussetzung,
daß mit diesen Blumen auch das zarte Pflcinzlein des Idealismus aufwachsen
und an ihnen emporrankend seine Pflege finden werde. Auch ein schönes
poetisches Bild, ein sittlicher Gedanke, aus dem Schauspielhause heimgebracht,
kann eine Blume im Hause werden. Mit dankenswertem Eifer baut man allent¬
halben Volksbäder, und die Ortsstatistik wird ihren günstigen Einfluß auf leib¬
liche, geistige und moralische Gesundheit wohl nachweisen können. Über den
Eingang des Wormser Volkstheaters könnte man schreiben: Geistiges Volksbad.
Mancher wird da seine Seele rein baden von dem Werktagsstaube und manchen
moralischen Giftstoff und Fäulniserreger fortspülen lassen von den klaren Wellen
des Idealismus, des Sittlich-Schönen. Und wenn die Kirche erzieht dnrch
Hinführung zum Unendlichen, Göttlichen, so ist die Volksbühne eine Vorschule
durch Darstellung des Endlichen, Menschlichen in seiner edelsten Erscheinungsform.
Gar zu leicht geht dem Menschen, der im Getriebe des Arbeitsmarktes, bei
der vereinseitigenden Arbeitsteilung selbst fast zur Maschine wird, das Bewußt¬
sein von der Würde und Bedeutung des Einzelnen und des Daseins verloren.
Das ist das wahre geistige Elend, und es hat seine Stätte besonders in den
Fabriken. Nun wollen wir den hoffnungsreichen Worten von Werner Siemers
gern glauben, mit denen er auf dem vorjährigen Naturforschertage das natur¬
wissenschaftliche Zeitalter pries und als sicher in Aussicht stellte, daß es für
die nicht abzuleugnenden Übel, die es mit sich bringe, auch die Heilmittel in
sich trage. Große Maschinen gäben zwar die mechanische Arbeitsleistung immer
noch viel billiger als kleine, und die Aufstellung der letztern in den Wohnungen
der Arbeiter stoße außerdem noch auf große Schwierigkeiten. Es werde aber
der Technik unfehlbar gelingen, das Hindernis der Rückkehr zur wettbewerbungs-
fähigen Handarbeit zu beseitigen, und zwar durch die Zuführung billiger mensa--
nischer Arbeitskraft in die kleinen Werkstätten und Wohnungen der Arbeiter.
„Nicht eine Menge großer Fabriken in den Händen reicher Kapitalisten, in denen
»Sklaven der Arbeit« ihr klägliches Dasein fristen, sei daher das Endziel der
Entwicklung des Zeitalters der Naturwissenschaften, sondern die Rückkehr zur
Einzelarbeit oder, wo es die Natur der Dinge verlange, der Betrieb gemein¬
samer Arbeitsstätten durch Arbeitervereinigungen, die erst dnrch die allgemeine
Verbreitung von Kenntnis und Bildung und durch die Möglichkeit billiger
Kapitalbeschaffung eine gesunde Grundlage erhalten werden." Man glaubt
gern, was man wünscht, und deshalb weisen wir den leisen Gedanken, ob
die billigere mechanische Arbeitskraft für größere Maschinenanlagen nicht wieder
noch billiger werden könnte, von der Schwelle. Aber bis dieses Ziel erreicht
ist, bis das naturwissenschaftliche Zeitalter die Wunden, die es schlug, auch
wirklich geheilt hat, bleibt noch viel zu wirken und zu schaffen auch für den
NichtNaturforscher, für den Philosophen und den Künstler. Und später hoffent¬
lich nicht minder. Da gilt es, dem Arbeiter jenes Bewußtsein von der wahren
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