Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das ZVormser Volkstheater.

die Bedürfnisse der Oper und des Schauspiels sind, sah man immer, wenn an
Orten, wo beide getrennte Bühnen besitzen, gewisse Dramen, wie Iphigenie,
Jungfrau von Orleans u. ni., aus dekorativen Gründen auf der größer" Opern-
bühue aufgeführt wurde", "einem Schauplatze, der seiner ganzen räumlichen
Anlage nach eine stärkere Accentuirung des theatralischen Elements fordert.
So war die Schauspielluust gezwungen, mit stärkern Mitteln zu arbeiten, als
sie dem Geiste der Dichtung entsprechen" (Frankfurter Generalanzeiger über die
Aufführung der Iphigenie, 18. Mai 1887) -- d. h. stillos zu werden.

Die aus der Unnatur der Bühne folgenden Schäden tragen viel zur
Stillosigkeit der Ausführungen bei. In den großen, für die Oper berechneten
Räumen sieht man nicht mehr das Mienenspiel, hört nicht die feinen Über¬
gänge im Gespräch. Der Schauspieler ist gezwungen, lauter zu sprechen, das
Publikum gewöhnt sich allmählich an die damit zusammenhängende Verlang/
samuug des Sprechens und die unschöne Erhebung des Tones, und das Gefühl
für das Nichtige, für den Stil geht verloren. So wirken allein schon die ver-
schiednen Größenverhältnisse, während doch im übrigen Schauspiel- und Opern¬
bühne dieselbe Einrichtung haben. Wie müßte es aber wirken, wenn mau von
der ersteren alle ihr eigentlich nicht zukommenden Dinge entfernte und sie ganz
der Natur des Schauspiels gemäß einrichtete!

Das soll nun in Worms geschehen; hier soll den langen Klagen Abhilfe
geschafft und das Schauspiel Herr in seinem Hause werden, wie billig. Die
Bühne wird in Anlehnung an die Bühne Shakespeares zweiteilig sein und ans
einer leicht zu beseitigenden Vvrderbühue und einer der bestehenden Bühne etwa
entsprechenden, nicht zu großen Hinterbühne bestehen. Drei Balkone gliedern
sie in mehrere Stockwerke, wie im Oberammergauer Passionsspiele. Wyl macht
darüber die Bemerkung, daß dadurch Wirkungen ermöglicht wurden, von denen
sich unsre großstädtischen Bühnen nichts träumen ließen (Maitage in Ober¬
ammergau). Der Wechsel des Schauplatzes wird auf solcher Bühne schnell und
ohne die Phantasie des Zuschauers zu stören vor sich gehen können. Dazu
hilft auch die starke Beschränkung der Kulissen und die Beseitigung des fallenden
Vorhanges, dieser wahren Guillotine der Stimmung lind Phantasie; Vorder-
und Hinterbühne trennt ein auseinander zu ziehender, schön gefalteter Vorhang.
Die Vorderbühne, welche durch Stufen mit dem Zuschauerraume in Verbindung
steht und durch dieses einfache, äußerliche Mittel auch die Zuschauer und die
.Handlung auf der Bühne fester verbindet, tritt mehr und ohne alle Seiten¬
kulissen hervor, um auch das plastische Heraustreten der Schauspieler zu er¬
möglichen. Denn diese haben nicht als lebende Bilder mit der Fläche, was
dem Opernsänger eher erlaubt ist, sondern als wahrhaftige Menschen mit dem
ganzen Leibe zu spielen. Wer da weiß, wie das Innere, Geistige so oft von
dem kleinsten Sinnlichen, Augenfälligen abhängig ist, wird die guten Folgen
dieser ciußereu Bühnenverbesserung für Zuschauer und Schauspieler wohl er-


Das ZVormser Volkstheater.

die Bedürfnisse der Oper und des Schauspiels sind, sah man immer, wenn an
Orten, wo beide getrennte Bühnen besitzen, gewisse Dramen, wie Iphigenie,
Jungfrau von Orleans u. ni., aus dekorativen Gründen auf der größer« Opern-
bühue aufgeführt wurde», „einem Schauplatze, der seiner ganzen räumlichen
Anlage nach eine stärkere Accentuirung des theatralischen Elements fordert.
So war die Schauspielluust gezwungen, mit stärkern Mitteln zu arbeiten, als
sie dem Geiste der Dichtung entsprechen" (Frankfurter Generalanzeiger über die
Aufführung der Iphigenie, 18. Mai 1887) — d. h. stillos zu werden.

Die aus der Unnatur der Bühne folgenden Schäden tragen viel zur
Stillosigkeit der Ausführungen bei. In den großen, für die Oper berechneten
Räumen sieht man nicht mehr das Mienenspiel, hört nicht die feinen Über¬
gänge im Gespräch. Der Schauspieler ist gezwungen, lauter zu sprechen, das
Publikum gewöhnt sich allmählich an die damit zusammenhängende Verlang/
samuug des Sprechens und die unschöne Erhebung des Tones, und das Gefühl
für das Nichtige, für den Stil geht verloren. So wirken allein schon die ver-
schiednen Größenverhältnisse, während doch im übrigen Schauspiel- und Opern¬
bühne dieselbe Einrichtung haben. Wie müßte es aber wirken, wenn mau von
der ersteren alle ihr eigentlich nicht zukommenden Dinge entfernte und sie ganz
der Natur des Schauspiels gemäß einrichtete!

Das soll nun in Worms geschehen; hier soll den langen Klagen Abhilfe
geschafft und das Schauspiel Herr in seinem Hause werden, wie billig. Die
Bühne wird in Anlehnung an die Bühne Shakespeares zweiteilig sein und ans
einer leicht zu beseitigenden Vvrderbühue und einer der bestehenden Bühne etwa
entsprechenden, nicht zu großen Hinterbühne bestehen. Drei Balkone gliedern
sie in mehrere Stockwerke, wie im Oberammergauer Passionsspiele. Wyl macht
darüber die Bemerkung, daß dadurch Wirkungen ermöglicht wurden, von denen
sich unsre großstädtischen Bühnen nichts träumen ließen (Maitage in Ober¬
ammergau). Der Wechsel des Schauplatzes wird auf solcher Bühne schnell und
ohne die Phantasie des Zuschauers zu stören vor sich gehen können. Dazu
hilft auch die starke Beschränkung der Kulissen und die Beseitigung des fallenden
Vorhanges, dieser wahren Guillotine der Stimmung lind Phantasie; Vorder-
und Hinterbühne trennt ein auseinander zu ziehender, schön gefalteter Vorhang.
Die Vorderbühne, welche durch Stufen mit dem Zuschauerraume in Verbindung
steht und durch dieses einfache, äußerliche Mittel auch die Zuschauer und die
.Handlung auf der Bühne fester verbindet, tritt mehr und ohne alle Seiten¬
kulissen hervor, um auch das plastische Heraustreten der Schauspieler zu er¬
möglichen. Denn diese haben nicht als lebende Bilder mit der Fläche, was
dem Opernsänger eher erlaubt ist, sondern als wahrhaftige Menschen mit dem
ganzen Leibe zu spielen. Wer da weiß, wie das Innere, Geistige so oft von
dem kleinsten Sinnlichen, Augenfälligen abhängig ist, wird die guten Folgen
dieser ciußereu Bühnenverbesserung für Zuschauer und Schauspieler wohl er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201819"/>
          <fw type="header" place="top"> Das ZVormser Volkstheater.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_911" prev="#ID_910"> die Bedürfnisse der Oper und des Schauspiels sind, sah man immer, wenn an<lb/>
Orten, wo beide getrennte Bühnen besitzen, gewisse Dramen, wie Iphigenie,<lb/>
Jungfrau von Orleans u. ni., aus dekorativen Gründen auf der größer« Opern-<lb/>
bühue aufgeführt wurde», &#x201E;einem Schauplatze, der seiner ganzen räumlichen<lb/>
Anlage nach eine stärkere Accentuirung des theatralischen Elements fordert.<lb/>
So war die Schauspielluust gezwungen, mit stärkern Mitteln zu arbeiten, als<lb/>
sie dem Geiste der Dichtung entsprechen" (Frankfurter Generalanzeiger über die<lb/>
Aufführung der Iphigenie, 18. Mai 1887) &#x2014; d. h. stillos zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_912"> Die aus der Unnatur der Bühne folgenden Schäden tragen viel zur<lb/>
Stillosigkeit der Ausführungen bei. In den großen, für die Oper berechneten<lb/>
Räumen sieht man nicht mehr das Mienenspiel, hört nicht die feinen Über¬<lb/>
gänge im Gespräch. Der Schauspieler ist gezwungen, lauter zu sprechen, das<lb/>
Publikum gewöhnt sich allmählich an die damit zusammenhängende Verlang/<lb/>
samuug des Sprechens und die unschöne Erhebung des Tones, und das Gefühl<lb/>
für das Nichtige, für den Stil geht verloren. So wirken allein schon die ver-<lb/>
schiednen Größenverhältnisse, während doch im übrigen Schauspiel- und Opern¬<lb/>
bühne dieselbe Einrichtung haben. Wie müßte es aber wirken, wenn mau von<lb/>
der ersteren alle ihr eigentlich nicht zukommenden Dinge entfernte und sie ganz<lb/>
der Natur des Schauspiels gemäß einrichtete!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_913" next="#ID_914"> Das soll nun in Worms geschehen; hier soll den langen Klagen Abhilfe<lb/>
geschafft und das Schauspiel Herr in seinem Hause werden, wie billig. Die<lb/>
Bühne wird in Anlehnung an die Bühne Shakespeares zweiteilig sein und ans<lb/>
einer leicht zu beseitigenden Vvrderbühue und einer der bestehenden Bühne etwa<lb/>
entsprechenden, nicht zu großen Hinterbühne bestehen. Drei Balkone gliedern<lb/>
sie in mehrere Stockwerke, wie im Oberammergauer Passionsspiele. Wyl macht<lb/>
darüber die Bemerkung, daß dadurch Wirkungen ermöglicht wurden, von denen<lb/>
sich unsre großstädtischen Bühnen nichts träumen ließen (Maitage in Ober¬<lb/>
ammergau). Der Wechsel des Schauplatzes wird auf solcher Bühne schnell und<lb/>
ohne die Phantasie des Zuschauers zu stören vor sich gehen können. Dazu<lb/>
hilft auch die starke Beschränkung der Kulissen und die Beseitigung des fallenden<lb/>
Vorhanges, dieser wahren Guillotine der Stimmung lind Phantasie; Vorder-<lb/>
und Hinterbühne trennt ein auseinander zu ziehender, schön gefalteter Vorhang.<lb/>
Die Vorderbühne, welche durch Stufen mit dem Zuschauerraume in Verbindung<lb/>
steht und durch dieses einfache, äußerliche Mittel auch die Zuschauer und die<lb/>
.Handlung auf der Bühne fester verbindet, tritt mehr und ohne alle Seiten¬<lb/>
kulissen hervor, um auch das plastische Heraustreten der Schauspieler zu er¬<lb/>
möglichen. Denn diese haben nicht als lebende Bilder mit der Fläche, was<lb/>
dem Opernsänger eher erlaubt ist, sondern als wahrhaftige Menschen mit dem<lb/>
ganzen Leibe zu spielen. Wer da weiß, wie das Innere, Geistige so oft von<lb/>
dem kleinsten Sinnlichen, Augenfälligen abhängig ist, wird die guten Folgen<lb/>
dieser ciußereu Bühnenverbesserung für Zuschauer und Schauspieler wohl er-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] Das ZVormser Volkstheater. die Bedürfnisse der Oper und des Schauspiels sind, sah man immer, wenn an Orten, wo beide getrennte Bühnen besitzen, gewisse Dramen, wie Iphigenie, Jungfrau von Orleans u. ni., aus dekorativen Gründen auf der größer« Opern- bühue aufgeführt wurde», „einem Schauplatze, der seiner ganzen räumlichen Anlage nach eine stärkere Accentuirung des theatralischen Elements fordert. So war die Schauspielluust gezwungen, mit stärkern Mitteln zu arbeiten, als sie dem Geiste der Dichtung entsprechen" (Frankfurter Generalanzeiger über die Aufführung der Iphigenie, 18. Mai 1887) — d. h. stillos zu werden. Die aus der Unnatur der Bühne folgenden Schäden tragen viel zur Stillosigkeit der Ausführungen bei. In den großen, für die Oper berechneten Räumen sieht man nicht mehr das Mienenspiel, hört nicht die feinen Über¬ gänge im Gespräch. Der Schauspieler ist gezwungen, lauter zu sprechen, das Publikum gewöhnt sich allmählich an die damit zusammenhängende Verlang/ samuug des Sprechens und die unschöne Erhebung des Tones, und das Gefühl für das Nichtige, für den Stil geht verloren. So wirken allein schon die ver- schiednen Größenverhältnisse, während doch im übrigen Schauspiel- und Opern¬ bühne dieselbe Einrichtung haben. Wie müßte es aber wirken, wenn mau von der ersteren alle ihr eigentlich nicht zukommenden Dinge entfernte und sie ganz der Natur des Schauspiels gemäß einrichtete! Das soll nun in Worms geschehen; hier soll den langen Klagen Abhilfe geschafft und das Schauspiel Herr in seinem Hause werden, wie billig. Die Bühne wird in Anlehnung an die Bühne Shakespeares zweiteilig sein und ans einer leicht zu beseitigenden Vvrderbühue und einer der bestehenden Bühne etwa entsprechenden, nicht zu großen Hinterbühne bestehen. Drei Balkone gliedern sie in mehrere Stockwerke, wie im Oberammergauer Passionsspiele. Wyl macht darüber die Bemerkung, daß dadurch Wirkungen ermöglicht wurden, von denen sich unsre großstädtischen Bühnen nichts träumen ließen (Maitage in Ober¬ ammergau). Der Wechsel des Schauplatzes wird auf solcher Bühne schnell und ohne die Phantasie des Zuschauers zu stören vor sich gehen können. Dazu hilft auch die starke Beschränkung der Kulissen und die Beseitigung des fallenden Vorhanges, dieser wahren Guillotine der Stimmung lind Phantasie; Vorder- und Hinterbühne trennt ein auseinander zu ziehender, schön gefalteter Vorhang. Die Vorderbühne, welche durch Stufen mit dem Zuschauerraume in Verbindung steht und durch dieses einfache, äußerliche Mittel auch die Zuschauer und die .Handlung auf der Bühne fester verbindet, tritt mehr und ohne alle Seiten¬ kulissen hervor, um auch das plastische Heraustreten der Schauspieler zu er¬ möglichen. Denn diese haben nicht als lebende Bilder mit der Fläche, was dem Opernsänger eher erlaubt ist, sondern als wahrhaftige Menschen mit dem ganzen Leibe zu spielen. Wer da weiß, wie das Innere, Geistige so oft von dem kleinsten Sinnlichen, Augenfälligen abhängig ist, wird die guten Folgen dieser ciußereu Bühnenverbesserung für Zuschauer und Schauspieler wohl er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/390>, abgerufen am 22.07.2024.