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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Klagen über die Vernichtung Roms.

Das erwähnte Verzeichnis sollte drei Monate nach der Veröffentlichung
der Bauordnung ausgegeben werden, ist aber bis jetzt noch nicht erschienen.
Es bleibt abzuwarten, in welchen Grenzen es sich halten wird; aber wir wollen
auch in diesem Falle ein gutes Zutrauen zu denen haben, welche berufen sind,
das maßgebende Wort zu sprechen, und hoffen, daß nach eingehender und sorg¬
fältiger Prüfung verfahren werden wird.

Wir haben gesucht, in vorurteilsloser Weise und an der Hand zuverlässiger
Quellen die Klagen zu prüfen, welche bald öffentlich, bald im Stillen über die
Vernichtung Roms erhoben worden sind. Wir haben ihre Berechtigung insoweit
anerkannt, als Thatsachen, die leider geschehen sind, jene Klagen herausfordern
mußten; es mußte aber auch nachdrücklich vor jeder Übertreibung gewarnt
werden, da ausgesprochene Vermutungen keine Beweise sind und jene Ver¬
mutungen sich meist als unbegründet erwiesen haben. Wir glaubten auch auf
die Gründe hinweisen zu sollen, welche die Umgestaltung des alten Roms den
Italienern als notwendig, vielen andern als wünschenswert erscheinen ließen.
Endlich schien es auch das Gerechtigkeitsgefühl zu verlangen, der Maßregeln zu
gedenken, die gerade von dem Volke, dem man so bittere Vorwürfe gemacht hat,
zum Schutze seiner Überlieferung getroffen worden sind. Das ernste Streben
der Italiener auf allen Gebieten friedlicher Arbeit fordert unsre Anerkennung,
ihre Ausdauer und Energie, die alle Schwierigkeiten überwindet, unsre Hoch¬
achtung heraus. Die deutsche Wissenschaft ist ihnen wegen der Vorteile und
der Liebenswürdigkeit, welche die fremden Gelehrten in Italien genießen, zu
großem Danke verpflichtet.

Rom hat das Glück, auf eine Vergangenheit von zweinndeinhalbtausend
Jahren zurückblicken zu können, auf eine Vergangenheit, die für den Lauf der
Weltgeschichte bestimmend gewesen ist. Auf das republikanische ist das kaiser¬
liche Rom gefolgt, auf dieses die Stadt der Päpste. Aus diesen Zeiten stammen
die Denkmäler, die der Stadt ihren Charakter verleihen, sie zu einem Gemein¬
gute der Menschheit gemacht haben. Als solches hat nun Rom das Unglück
gehabt, die Hauptstadt des jungen Königreichs Italien zu werden, ein Unglück
insofern, als mit dem neuen Geschlechte Bestrebungen sich Bahn gebrochen haben,
die von denen früherer Zeiten himmelweit verschieden sind. Früher hat sich
der Umschwung der Dinge wenn auch nicht spurlos, so doch allmählich voll¬
zogen; jetzt ist er plötzlich und in einer Zeit gekommen, die in allen Ländern
der Erde nach praktischen Zielen strebt, auf die Erfüllung praktischer Forderungen
hindrängt. Wird die Geschichte, wenn sie später von dieser Zeit spricht, für
das, was zu unserm Leide geschehen ist, nicht eine nachsichtige und maßvolle
Beurteilung finden können?


Julius Vogel.


Die Klagen über die Vernichtung Roms.

Das erwähnte Verzeichnis sollte drei Monate nach der Veröffentlichung
der Bauordnung ausgegeben werden, ist aber bis jetzt noch nicht erschienen.
Es bleibt abzuwarten, in welchen Grenzen es sich halten wird; aber wir wollen
auch in diesem Falle ein gutes Zutrauen zu denen haben, welche berufen sind,
das maßgebende Wort zu sprechen, und hoffen, daß nach eingehender und sorg¬
fältiger Prüfung verfahren werden wird.

Wir haben gesucht, in vorurteilsloser Weise und an der Hand zuverlässiger
Quellen die Klagen zu prüfen, welche bald öffentlich, bald im Stillen über die
Vernichtung Roms erhoben worden sind. Wir haben ihre Berechtigung insoweit
anerkannt, als Thatsachen, die leider geschehen sind, jene Klagen herausfordern
mußten; es mußte aber auch nachdrücklich vor jeder Übertreibung gewarnt
werden, da ausgesprochene Vermutungen keine Beweise sind und jene Ver¬
mutungen sich meist als unbegründet erwiesen haben. Wir glaubten auch auf
die Gründe hinweisen zu sollen, welche die Umgestaltung des alten Roms den
Italienern als notwendig, vielen andern als wünschenswert erscheinen ließen.
Endlich schien es auch das Gerechtigkeitsgefühl zu verlangen, der Maßregeln zu
gedenken, die gerade von dem Volke, dem man so bittere Vorwürfe gemacht hat,
zum Schutze seiner Überlieferung getroffen worden sind. Das ernste Streben
der Italiener auf allen Gebieten friedlicher Arbeit fordert unsre Anerkennung,
ihre Ausdauer und Energie, die alle Schwierigkeiten überwindet, unsre Hoch¬
achtung heraus. Die deutsche Wissenschaft ist ihnen wegen der Vorteile und
der Liebenswürdigkeit, welche die fremden Gelehrten in Italien genießen, zu
großem Danke verpflichtet.

Rom hat das Glück, auf eine Vergangenheit von zweinndeinhalbtausend
Jahren zurückblicken zu können, auf eine Vergangenheit, die für den Lauf der
Weltgeschichte bestimmend gewesen ist. Auf das republikanische ist das kaiser¬
liche Rom gefolgt, auf dieses die Stadt der Päpste. Aus diesen Zeiten stammen
die Denkmäler, die der Stadt ihren Charakter verleihen, sie zu einem Gemein¬
gute der Menschheit gemacht haben. Als solches hat nun Rom das Unglück
gehabt, die Hauptstadt des jungen Königreichs Italien zu werden, ein Unglück
insofern, als mit dem neuen Geschlechte Bestrebungen sich Bahn gebrochen haben,
die von denen früherer Zeiten himmelweit verschieden sind. Früher hat sich
der Umschwung der Dinge wenn auch nicht spurlos, so doch allmählich voll¬
zogen; jetzt ist er plötzlich und in einer Zeit gekommen, die in allen Ländern
der Erde nach praktischen Zielen strebt, auf die Erfüllung praktischer Forderungen
hindrängt. Wird die Geschichte, wenn sie später von dieser Zeit spricht, für
das, was zu unserm Leide geschehen ist, nicht eine nachsichtige und maßvolle
Beurteilung finden können?


Julius Vogel.


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[0388] Die Klagen über die Vernichtung Roms. Das erwähnte Verzeichnis sollte drei Monate nach der Veröffentlichung der Bauordnung ausgegeben werden, ist aber bis jetzt noch nicht erschienen. Es bleibt abzuwarten, in welchen Grenzen es sich halten wird; aber wir wollen auch in diesem Falle ein gutes Zutrauen zu denen haben, welche berufen sind, das maßgebende Wort zu sprechen, und hoffen, daß nach eingehender und sorg¬ fältiger Prüfung verfahren werden wird. Wir haben gesucht, in vorurteilsloser Weise und an der Hand zuverlässiger Quellen die Klagen zu prüfen, welche bald öffentlich, bald im Stillen über die Vernichtung Roms erhoben worden sind. Wir haben ihre Berechtigung insoweit anerkannt, als Thatsachen, die leider geschehen sind, jene Klagen herausfordern mußten; es mußte aber auch nachdrücklich vor jeder Übertreibung gewarnt werden, da ausgesprochene Vermutungen keine Beweise sind und jene Ver¬ mutungen sich meist als unbegründet erwiesen haben. Wir glaubten auch auf die Gründe hinweisen zu sollen, welche die Umgestaltung des alten Roms den Italienern als notwendig, vielen andern als wünschenswert erscheinen ließen. Endlich schien es auch das Gerechtigkeitsgefühl zu verlangen, der Maßregeln zu gedenken, die gerade von dem Volke, dem man so bittere Vorwürfe gemacht hat, zum Schutze seiner Überlieferung getroffen worden sind. Das ernste Streben der Italiener auf allen Gebieten friedlicher Arbeit fordert unsre Anerkennung, ihre Ausdauer und Energie, die alle Schwierigkeiten überwindet, unsre Hoch¬ achtung heraus. Die deutsche Wissenschaft ist ihnen wegen der Vorteile und der Liebenswürdigkeit, welche die fremden Gelehrten in Italien genießen, zu großem Danke verpflichtet. Rom hat das Glück, auf eine Vergangenheit von zweinndeinhalbtausend Jahren zurückblicken zu können, auf eine Vergangenheit, die für den Lauf der Weltgeschichte bestimmend gewesen ist. Auf das republikanische ist das kaiser¬ liche Rom gefolgt, auf dieses die Stadt der Päpste. Aus diesen Zeiten stammen die Denkmäler, die der Stadt ihren Charakter verleihen, sie zu einem Gemein¬ gute der Menschheit gemacht haben. Als solches hat nun Rom das Unglück gehabt, die Hauptstadt des jungen Königreichs Italien zu werden, ein Unglück insofern, als mit dem neuen Geschlechte Bestrebungen sich Bahn gebrochen haben, die von denen früherer Zeiten himmelweit verschieden sind. Früher hat sich der Umschwung der Dinge wenn auch nicht spurlos, so doch allmählich voll¬ zogen; jetzt ist er plötzlich und in einer Zeit gekommen, die in allen Ländern der Erde nach praktischen Zielen strebt, auf die Erfüllung praktischer Forderungen hindrängt. Wird die Geschichte, wenn sie später von dieser Zeit spricht, für das, was zu unserm Leide geschehen ist, nicht eine nachsichtige und maßvolle Beurteilung finden können? Julius Vogel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/388>, abgerufen am 22.07.2024.