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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Klagen über die Vernichtung Roms.

ihre Söhne, denen dereinst als Staatsbürgern die Obhut über die Gesetze an¬
vertraut werden soll. In dieser Schule wurde gelehrt, daß die Zöglinge der¬
einst, bei entsprechender Gelegenheit, dem Papste mit allen Mitteln zur Wieder¬
erlangung des Kirchenstaates verhelfen, daß sie Leib und Leben für diesen Zweck
einsetzen müßten. Wie hier die Jesuiten gelehrt haben, so lehren und denken
sie auch anderwärts, und bei der Organisation der katholischen Kirche ist es
undenkbar, daß diese Lehren höhern Ortes nicht bekannt gewesen wären. Wird
man nach solchen Vorfällen die Italiener von der Friedensliebe des Papsttums
überzeugen, wird man von ihnen größere Rücksichten verlangen können?

Knüpfen wir an diese Erwägungen schließlich noch einige Bemerkungen über
den jetzigen Gesundheitszustand von Rom an. Die Malaria, das tückische
römische Sumpffieber, ist für jeden, für den Einheimischen wie für den Fremden,
ein Gespenst, das ihm immer wieder vor die Augen tritt und ihn in seiner
ganzen Lebensweise zur größten Vorsicht mahnt. Als man vor Jahren den
Anfang mit der Stadtregulirung machte, wurden bange Befürchtungen wegen
des Gesundheitszustandes laut, und es fehlte nicht an Prophezeiungen, die eine
Ausbreitung des Fiebers voraussagten. Das Gegenteil davon ist eingetreten.
Die Ärzte bestätigen dies, und wer einen vergleichenden Blick wirft auf die
beiden die Verbreitung der Malaria verzeichnenden Karten aus dem Jahre 1870
und dem Jahre 1834 in Tommasis Werke II Lung al Roma (Rom, 1886),
wird sich hiervon überzeugen können. Während in dem erstgenannten Jahre die
Umgebung der Piazza del Popolo, die ganze südöstlich von dem Monte Pincio
gelegene Gegend, der ganze Quirinal bis an die Stadtmauern (das Gebiet der
ehemaligen Villa Spithöver), der ganze Bereich von hier bis über die Porta
San Lorenzo hinaus mit dem ganzen Esquilin und einigen kleinern Strecken
noch als malariagefährlich bezeichnet werden mußten, konnten sie bereits vier¬
zehn Jahre später als xs-rei sans ästig, enlg, hingestellt werden. Diese Er¬
fahrung kann nur mit größter Freude begrüßt werden. Daß die Besserung
eine Folge der Neubauten ist, die in jenen Fiebergegenden entstanden sind -- 1a,
eng.1g.rig> se xroäuos listig, tsrrg. 6 moll nött' goaug, --, lehrt wiederum ein Ver¬
gleich der beiden genannten Karten.

Nach alledem, was man bisher über die "Vernichtung" Roms, über den
"Barbarismus" und den "Vandalismus" gesagt hat, der das jetzt herrschende
System der Stadterweiterung kennzeichnen soll, möchte es den Anschein haben,
als ob, falls die Klagen in all ihren Punkten begründet wären, bei den Ita¬
lienern alles Gefühl der Rücksicht für die große Vergangenheit ihrer Hauptstadt,
jede Pietät gegen die Denkmäler der Vergangenheit geschwunden sei, man möchte
glauben, daß man immer nur mit nüchternem Verstände die rein praktische Seite
der entstehenden Aufgaben ins Auge fasse. Wäre das der Fall, so würde
man der römischen Stadtverwaltung mit Recht Vorwürfe machen. Indessen
verlangt auch hier die Gerechtigkeit, die von beiden Seiten, dem Staate und


Grenzboten IV. 1837. 48
Die Klagen über die Vernichtung Roms.

ihre Söhne, denen dereinst als Staatsbürgern die Obhut über die Gesetze an¬
vertraut werden soll. In dieser Schule wurde gelehrt, daß die Zöglinge der¬
einst, bei entsprechender Gelegenheit, dem Papste mit allen Mitteln zur Wieder¬
erlangung des Kirchenstaates verhelfen, daß sie Leib und Leben für diesen Zweck
einsetzen müßten. Wie hier die Jesuiten gelehrt haben, so lehren und denken
sie auch anderwärts, und bei der Organisation der katholischen Kirche ist es
undenkbar, daß diese Lehren höhern Ortes nicht bekannt gewesen wären. Wird
man nach solchen Vorfällen die Italiener von der Friedensliebe des Papsttums
überzeugen, wird man von ihnen größere Rücksichten verlangen können?

Knüpfen wir an diese Erwägungen schließlich noch einige Bemerkungen über
den jetzigen Gesundheitszustand von Rom an. Die Malaria, das tückische
römische Sumpffieber, ist für jeden, für den Einheimischen wie für den Fremden,
ein Gespenst, das ihm immer wieder vor die Augen tritt und ihn in seiner
ganzen Lebensweise zur größten Vorsicht mahnt. Als man vor Jahren den
Anfang mit der Stadtregulirung machte, wurden bange Befürchtungen wegen
des Gesundheitszustandes laut, und es fehlte nicht an Prophezeiungen, die eine
Ausbreitung des Fiebers voraussagten. Das Gegenteil davon ist eingetreten.
Die Ärzte bestätigen dies, und wer einen vergleichenden Blick wirft auf die
beiden die Verbreitung der Malaria verzeichnenden Karten aus dem Jahre 1870
und dem Jahre 1834 in Tommasis Werke II Lung al Roma (Rom, 1886),
wird sich hiervon überzeugen können. Während in dem erstgenannten Jahre die
Umgebung der Piazza del Popolo, die ganze südöstlich von dem Monte Pincio
gelegene Gegend, der ganze Quirinal bis an die Stadtmauern (das Gebiet der
ehemaligen Villa Spithöver), der ganze Bereich von hier bis über die Porta
San Lorenzo hinaus mit dem ganzen Esquilin und einigen kleinern Strecken
noch als malariagefährlich bezeichnet werden mußten, konnten sie bereits vier¬
zehn Jahre später als xs-rei sans ästig, enlg, hingestellt werden. Diese Er¬
fahrung kann nur mit größter Freude begrüßt werden. Daß die Besserung
eine Folge der Neubauten ist, die in jenen Fiebergegenden entstanden sind — 1a,
eng.1g.rig> se xroäuos listig, tsrrg. 6 moll nött' goaug, —, lehrt wiederum ein Ver¬
gleich der beiden genannten Karten.

Nach alledem, was man bisher über die „Vernichtung" Roms, über den
„Barbarismus" und den „Vandalismus" gesagt hat, der das jetzt herrschende
System der Stadterweiterung kennzeichnen soll, möchte es den Anschein haben,
als ob, falls die Klagen in all ihren Punkten begründet wären, bei den Ita¬
lienern alles Gefühl der Rücksicht für die große Vergangenheit ihrer Hauptstadt,
jede Pietät gegen die Denkmäler der Vergangenheit geschwunden sei, man möchte
glauben, daß man immer nur mit nüchternem Verstände die rein praktische Seite
der entstehenden Aufgaben ins Auge fasse. Wäre das der Fall, so würde
man der römischen Stadtverwaltung mit Recht Vorwürfe machen. Indessen
verlangt auch hier die Gerechtigkeit, die von beiden Seiten, dem Staate und


Grenzboten IV. 1837. 48
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[0385] Die Klagen über die Vernichtung Roms. ihre Söhne, denen dereinst als Staatsbürgern die Obhut über die Gesetze an¬ vertraut werden soll. In dieser Schule wurde gelehrt, daß die Zöglinge der¬ einst, bei entsprechender Gelegenheit, dem Papste mit allen Mitteln zur Wieder¬ erlangung des Kirchenstaates verhelfen, daß sie Leib und Leben für diesen Zweck einsetzen müßten. Wie hier die Jesuiten gelehrt haben, so lehren und denken sie auch anderwärts, und bei der Organisation der katholischen Kirche ist es undenkbar, daß diese Lehren höhern Ortes nicht bekannt gewesen wären. Wird man nach solchen Vorfällen die Italiener von der Friedensliebe des Papsttums überzeugen, wird man von ihnen größere Rücksichten verlangen können? Knüpfen wir an diese Erwägungen schließlich noch einige Bemerkungen über den jetzigen Gesundheitszustand von Rom an. Die Malaria, das tückische römische Sumpffieber, ist für jeden, für den Einheimischen wie für den Fremden, ein Gespenst, das ihm immer wieder vor die Augen tritt und ihn in seiner ganzen Lebensweise zur größten Vorsicht mahnt. Als man vor Jahren den Anfang mit der Stadtregulirung machte, wurden bange Befürchtungen wegen des Gesundheitszustandes laut, und es fehlte nicht an Prophezeiungen, die eine Ausbreitung des Fiebers voraussagten. Das Gegenteil davon ist eingetreten. Die Ärzte bestätigen dies, und wer einen vergleichenden Blick wirft auf die beiden die Verbreitung der Malaria verzeichnenden Karten aus dem Jahre 1870 und dem Jahre 1834 in Tommasis Werke II Lung al Roma (Rom, 1886), wird sich hiervon überzeugen können. Während in dem erstgenannten Jahre die Umgebung der Piazza del Popolo, die ganze südöstlich von dem Monte Pincio gelegene Gegend, der ganze Quirinal bis an die Stadtmauern (das Gebiet der ehemaligen Villa Spithöver), der ganze Bereich von hier bis über die Porta San Lorenzo hinaus mit dem ganzen Esquilin und einigen kleinern Strecken noch als malariagefährlich bezeichnet werden mußten, konnten sie bereits vier¬ zehn Jahre später als xs-rei sans ästig, enlg, hingestellt werden. Diese Er¬ fahrung kann nur mit größter Freude begrüßt werden. Daß die Besserung eine Folge der Neubauten ist, die in jenen Fiebergegenden entstanden sind — 1a, eng.1g.rig> se xroäuos listig, tsrrg. 6 moll nött' goaug, —, lehrt wiederum ein Ver¬ gleich der beiden genannten Karten. Nach alledem, was man bisher über die „Vernichtung" Roms, über den „Barbarismus" und den „Vandalismus" gesagt hat, der das jetzt herrschende System der Stadterweiterung kennzeichnen soll, möchte es den Anschein haben, als ob, falls die Klagen in all ihren Punkten begründet wären, bei den Ita¬ lienern alles Gefühl der Rücksicht für die große Vergangenheit ihrer Hauptstadt, jede Pietät gegen die Denkmäler der Vergangenheit geschwunden sei, man möchte glauben, daß man immer nur mit nüchternem Verstände die rein praktische Seite der entstehenden Aufgaben ins Auge fasse. Wäre das der Fall, so würde man der römischen Stadtverwaltung mit Recht Vorwürfe machen. Indessen verlangt auch hier die Gerechtigkeit, die von beiden Seiten, dem Staate und Grenzboten IV. 1837. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/385>, abgerufen am 22.07.2024.