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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Alagen über die Vernichtung Roms.

Haupt der bishengc Umfang der Stadt dem Wohnungsbedürfnisse nicht im ent¬
ferntesten zu genügen vermag, wo sollen sie gebaut werden? Die Antwort
lautet naturgemäß: in den Vorstädten, wo der Grund und Boden und dem¬
entsprechend die Miete noch verhältnismäßig billig ist, wo große Flächen noch
bebaut werden können.

Wenn man von den oben erwähnten Neubauten auf dem Boden der ehe¬
maligen Villa Ludovisi und denen in der Nähe des Laterans absieht, so ist
es in erster Linie die hinter der Engelsburg auf dem rechten Tiberufer liegende
Gegend, auf der sich ein ganz neuer Stadtteil erhoben hat. Im Osten und
Süden wird er vom Tiber begrenzt, der an der Nipetta beinahe einen rechten
Winkel bildet, im Südosten von dem Borgo und im Westen teilweise von dem
vatikanischen Gebäudekomplex. Der Vatikan lag ehedem vollständig frei, "in
einer gewissen Einsamkeit" da, und wer darin gefangen war, hatte wenigstens
das Glück, einen durch keine großen Häusermassen beengten Blick über die
Flächen der Campagna hinüber zu den Bergen genießen und sich in der Phan¬
tasie die erträumte Freiheit und noch mehr als diese ausmalen zu können.
Das ist jedenfalls für einen Gefangenen, dessen Rolle der Papst nun einmal
spielt -- spielen muß, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Und auch dieses
Glückes hat man den Gefangenen jetzt beraubt. Man hat hier von Wandalis¬
mus oder in milderer Form von Ungeschicktheit, von Mangel an historischem
Takt gesprochen, die Reihen kolossaler sechsstöckiger Häuser, ohne Architektur,
"nur für Unterbringung von Menschen aufgeführt," getadelt, und die Frage
aufgeworfen: warum die drei großen Kasernen für die Carabinieri, architektonische
Ungetüme, gerade an dieser Stelle errichtet, wo sie die Peterskirche und den
Palastbau Bramantes in ihrer Wirkung beeinträchtigen? Um mit dem letzten
Punkte zu beginnen, so herrscht jetzt überall der Brauch, Neubauten von Kasernen
in die Vorstädte zu verlegen; es braucht nur an Berlin, Dresden und München
erinnert zu werden. Daß die Carabinierikasernen in architektonischer Hinsicht
keinen erfreulichen Anblick darbieten, ist eine Schuld des Sparsamkeitssystems,
das man im vorliegenden Falle der Militärverwaltung nicht zum Vorwurfe
macheu kann. Auch in Deutschland kann man ähnliche Erscheinungen bemerken.
Warum aber diese Kasernen gerade dahin bauen, wo sie Ärgernis erregen?
Ob man seiner Zeit die Frage nach entsprechenden Plätzen genau geprüft hat,
wissen wir nicht, möchten es aber annehmen. Wir geben zu, daß die Kasernen
ebenso gut vor der Porta San Lorenzo oder vor der Porta San Paolo hätten
eine Stätte finden können. Aber dann würde man wieder gesagt haben: warum
sie gerade in der Nähe der heiligen Märtyrerstcitteu, in der Nähe einer der
alten Patriarchalkirchen errichten, wo der Friede des andächtigen Gemütes dnrch
militärisches Leben und Treiben gestört, wo der gläubige Katholik in seinem
religiösen Gefühl durch die Feinde des Papsttums gekränkt wird? Wir glauben,
daß für die Wahl des Platzes der Carabinierikasernen bei der Militärverwaltung


Die Alagen über die Vernichtung Roms.

Haupt der bishengc Umfang der Stadt dem Wohnungsbedürfnisse nicht im ent¬
ferntesten zu genügen vermag, wo sollen sie gebaut werden? Die Antwort
lautet naturgemäß: in den Vorstädten, wo der Grund und Boden und dem¬
entsprechend die Miete noch verhältnismäßig billig ist, wo große Flächen noch
bebaut werden können.

Wenn man von den oben erwähnten Neubauten auf dem Boden der ehe¬
maligen Villa Ludovisi und denen in der Nähe des Laterans absieht, so ist
es in erster Linie die hinter der Engelsburg auf dem rechten Tiberufer liegende
Gegend, auf der sich ein ganz neuer Stadtteil erhoben hat. Im Osten und
Süden wird er vom Tiber begrenzt, der an der Nipetta beinahe einen rechten
Winkel bildet, im Südosten von dem Borgo und im Westen teilweise von dem
vatikanischen Gebäudekomplex. Der Vatikan lag ehedem vollständig frei, „in
einer gewissen Einsamkeit" da, und wer darin gefangen war, hatte wenigstens
das Glück, einen durch keine großen Häusermassen beengten Blick über die
Flächen der Campagna hinüber zu den Bergen genießen und sich in der Phan¬
tasie die erträumte Freiheit und noch mehr als diese ausmalen zu können.
Das ist jedenfalls für einen Gefangenen, dessen Rolle der Papst nun einmal
spielt — spielen muß, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Und auch dieses
Glückes hat man den Gefangenen jetzt beraubt. Man hat hier von Wandalis¬
mus oder in milderer Form von Ungeschicktheit, von Mangel an historischem
Takt gesprochen, die Reihen kolossaler sechsstöckiger Häuser, ohne Architektur,
„nur für Unterbringung von Menschen aufgeführt," getadelt, und die Frage
aufgeworfen: warum die drei großen Kasernen für die Carabinieri, architektonische
Ungetüme, gerade an dieser Stelle errichtet, wo sie die Peterskirche und den
Palastbau Bramantes in ihrer Wirkung beeinträchtigen? Um mit dem letzten
Punkte zu beginnen, so herrscht jetzt überall der Brauch, Neubauten von Kasernen
in die Vorstädte zu verlegen; es braucht nur an Berlin, Dresden und München
erinnert zu werden. Daß die Carabinierikasernen in architektonischer Hinsicht
keinen erfreulichen Anblick darbieten, ist eine Schuld des Sparsamkeitssystems,
das man im vorliegenden Falle der Militärverwaltung nicht zum Vorwurfe
macheu kann. Auch in Deutschland kann man ähnliche Erscheinungen bemerken.
Warum aber diese Kasernen gerade dahin bauen, wo sie Ärgernis erregen?
Ob man seiner Zeit die Frage nach entsprechenden Plätzen genau geprüft hat,
wissen wir nicht, möchten es aber annehmen. Wir geben zu, daß die Kasernen
ebenso gut vor der Porta San Lorenzo oder vor der Porta San Paolo hätten
eine Stätte finden können. Aber dann würde man wieder gesagt haben: warum
sie gerade in der Nähe der heiligen Märtyrerstcitteu, in der Nähe einer der
alten Patriarchalkirchen errichten, wo der Friede des andächtigen Gemütes dnrch
militärisches Leben und Treiben gestört, wo der gläubige Katholik in seinem
religiösen Gefühl durch die Feinde des Papsttums gekränkt wird? Wir glauben,
daß für die Wahl des Platzes der Carabinierikasernen bei der Militärverwaltung


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[0382] Die Alagen über die Vernichtung Roms. Haupt der bishengc Umfang der Stadt dem Wohnungsbedürfnisse nicht im ent¬ ferntesten zu genügen vermag, wo sollen sie gebaut werden? Die Antwort lautet naturgemäß: in den Vorstädten, wo der Grund und Boden und dem¬ entsprechend die Miete noch verhältnismäßig billig ist, wo große Flächen noch bebaut werden können. Wenn man von den oben erwähnten Neubauten auf dem Boden der ehe¬ maligen Villa Ludovisi und denen in der Nähe des Laterans absieht, so ist es in erster Linie die hinter der Engelsburg auf dem rechten Tiberufer liegende Gegend, auf der sich ein ganz neuer Stadtteil erhoben hat. Im Osten und Süden wird er vom Tiber begrenzt, der an der Nipetta beinahe einen rechten Winkel bildet, im Südosten von dem Borgo und im Westen teilweise von dem vatikanischen Gebäudekomplex. Der Vatikan lag ehedem vollständig frei, „in einer gewissen Einsamkeit" da, und wer darin gefangen war, hatte wenigstens das Glück, einen durch keine großen Häusermassen beengten Blick über die Flächen der Campagna hinüber zu den Bergen genießen und sich in der Phan¬ tasie die erträumte Freiheit und noch mehr als diese ausmalen zu können. Das ist jedenfalls für einen Gefangenen, dessen Rolle der Papst nun einmal spielt — spielen muß, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Und auch dieses Glückes hat man den Gefangenen jetzt beraubt. Man hat hier von Wandalis¬ mus oder in milderer Form von Ungeschicktheit, von Mangel an historischem Takt gesprochen, die Reihen kolossaler sechsstöckiger Häuser, ohne Architektur, „nur für Unterbringung von Menschen aufgeführt," getadelt, und die Frage aufgeworfen: warum die drei großen Kasernen für die Carabinieri, architektonische Ungetüme, gerade an dieser Stelle errichtet, wo sie die Peterskirche und den Palastbau Bramantes in ihrer Wirkung beeinträchtigen? Um mit dem letzten Punkte zu beginnen, so herrscht jetzt überall der Brauch, Neubauten von Kasernen in die Vorstädte zu verlegen; es braucht nur an Berlin, Dresden und München erinnert zu werden. Daß die Carabinierikasernen in architektonischer Hinsicht keinen erfreulichen Anblick darbieten, ist eine Schuld des Sparsamkeitssystems, das man im vorliegenden Falle der Militärverwaltung nicht zum Vorwurfe macheu kann. Auch in Deutschland kann man ähnliche Erscheinungen bemerken. Warum aber diese Kasernen gerade dahin bauen, wo sie Ärgernis erregen? Ob man seiner Zeit die Frage nach entsprechenden Plätzen genau geprüft hat, wissen wir nicht, möchten es aber annehmen. Wir geben zu, daß die Kasernen ebenso gut vor der Porta San Lorenzo oder vor der Porta San Paolo hätten eine Stätte finden können. Aber dann würde man wieder gesagt haben: warum sie gerade in der Nähe der heiligen Märtyrerstcitteu, in der Nähe einer der alten Patriarchalkirchen errichten, wo der Friede des andächtigen Gemütes dnrch militärisches Leben und Treiben gestört, wo der gläubige Katholik in seinem religiösen Gefühl durch die Feinde des Papsttums gekränkt wird? Wir glauben, daß für die Wahl des Platzes der Carabinierikasernen bei der Militärverwaltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/382>, abgerufen am 22.07.2024.