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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Ulagen über die Vernichtung Roms.

gelegten Kapitals nicht unbedenklich erscheint? Man pflegt hin und wieder auf
diese Folgen hinzuweisen und von einem Krach zu sprechen, der früher oder
später kommen müsse oder gar unmittelbar vor der Thür stehen soll. Was
hieran wahr ist, mögen die Kapitalisten entscheiden, für unsre Zwecke ist es
gleichgiltig. Eines zu wissen ist aber von großer Wichtigkeit: In welchem Ver¬
hältnisse stehen die massenhaften Neubauten zu dem Bedürfnisse, dem sie genügen
sollen, in welchem zu dem Wachstum der Bevölkerung, die in den alten Quar¬
tieren nicht untergebracht werden kann?

Daß Rom, wie alle Großstädte, infolge der hier sich bietenden Vorteile
nach allen Seiten hin eine geradezu magnetische Kraft ausübt, daß aus allen
Teilen des Königreiches -- um von den Fremden ganz abzusehen -- Menschen
herbeiströmen, die einen, um hier ihr Glück zu versuchen, die andern, weil sie
von der Regierung gerufen werden, ist nicht zu verwundern. Rom nimmt aber
andern Großstädten, selbst Berlin gegenüber, wo seit dem Jahre 1871 eine
ähnliche Erscheinung zu bemerken ist, doch noch eine Ausnahmestelle ein. Früher,
als Stadt der Päpste und Hauptstadt des kleinen Kirchenstaates, hatte es in
Kunst und Wissenschaft vorzugsweise Bedeutung, außerdem als Mittelpunkt der
katholischen Kirche, von wo sich die Fäden der päpstlichen Politik über alle
Länder der Erde ciusspvnnen. An dieser Stellung hat die Neuzeit nicht zu
rütteln vermocht; aber sie hat Rom in politischer Hinsicht, im europäischen
Völkerrate, eine hochwichtige, eine den Hauptstädten der übrigen Großmächte
gleichberechtigte Stellung angewiesen. Rom ist jetzt die Hauptstadt einer euro¬
päischen Großmacht mit einer Bevölkerung von dreißig Millionen geworden.
Diese Thatsache hat natürlich und notwendigerweise einen Rückschlag auf die
Bevölkerungszahl ausüben müssen. Als Hauptstadt des Königreichs Italien
muß es den Anforderungen und Bedürfnissen einer großen politischen Macht
nach innen wie nach anßen genügen, nach innen namentlich deshalb, weil in
der Verwaltung des großen Staates ein Zentralisirnngssystem dringend ge¬
boten war. Es braucht uicht im einzelnen ausgeführt zu werden, wodurch die
außerordentlich große Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden ist. Nur
folgende Zahle" mögen von dieser selbst einen Begriff geben. Rom, das nach
Einverleibung in den italienischen Staat etwa 215 000 Einwohner hatte, zählte
deren am 3l' Dezember 1881: 284 544, am 31. Dezember 1885: 345 036, am
30. Juni 1887: 372 779, hatte sich also in fünf und einem halben Jahre um
ein Drittel, in den letzten achtzehn Monaten um 27 743 Einwohner vermehrt,
das ist um 8,09 oder jährlich um etwa 5,4 Prozent, wovon der weitaus größte
Teil nicht auf die Geburten, sondern auf den Zuzug von anderwärts fällt.
Für diese Zahl müssen Wohnungen beschafft werden, aber nicht für sie allein:
auch für die, welche infolge des Abbruchs alter Häuserviertel ihre bisherigen
Wohnungen verlassen und neue beziehen müssen. Wo sollen diese gesucht oder,
da im Innern der Stadt immer nur einzelne Wohnungen frei werden, über-


Die Ulagen über die Vernichtung Roms.

gelegten Kapitals nicht unbedenklich erscheint? Man pflegt hin und wieder auf
diese Folgen hinzuweisen und von einem Krach zu sprechen, der früher oder
später kommen müsse oder gar unmittelbar vor der Thür stehen soll. Was
hieran wahr ist, mögen die Kapitalisten entscheiden, für unsre Zwecke ist es
gleichgiltig. Eines zu wissen ist aber von großer Wichtigkeit: In welchem Ver¬
hältnisse stehen die massenhaften Neubauten zu dem Bedürfnisse, dem sie genügen
sollen, in welchem zu dem Wachstum der Bevölkerung, die in den alten Quar¬
tieren nicht untergebracht werden kann?

Daß Rom, wie alle Großstädte, infolge der hier sich bietenden Vorteile
nach allen Seiten hin eine geradezu magnetische Kraft ausübt, daß aus allen
Teilen des Königreiches — um von den Fremden ganz abzusehen — Menschen
herbeiströmen, die einen, um hier ihr Glück zu versuchen, die andern, weil sie
von der Regierung gerufen werden, ist nicht zu verwundern. Rom nimmt aber
andern Großstädten, selbst Berlin gegenüber, wo seit dem Jahre 1871 eine
ähnliche Erscheinung zu bemerken ist, doch noch eine Ausnahmestelle ein. Früher,
als Stadt der Päpste und Hauptstadt des kleinen Kirchenstaates, hatte es in
Kunst und Wissenschaft vorzugsweise Bedeutung, außerdem als Mittelpunkt der
katholischen Kirche, von wo sich die Fäden der päpstlichen Politik über alle
Länder der Erde ciusspvnnen. An dieser Stellung hat die Neuzeit nicht zu
rütteln vermocht; aber sie hat Rom in politischer Hinsicht, im europäischen
Völkerrate, eine hochwichtige, eine den Hauptstädten der übrigen Großmächte
gleichberechtigte Stellung angewiesen. Rom ist jetzt die Hauptstadt einer euro¬
päischen Großmacht mit einer Bevölkerung von dreißig Millionen geworden.
Diese Thatsache hat natürlich und notwendigerweise einen Rückschlag auf die
Bevölkerungszahl ausüben müssen. Als Hauptstadt des Königreichs Italien
muß es den Anforderungen und Bedürfnissen einer großen politischen Macht
nach innen wie nach anßen genügen, nach innen namentlich deshalb, weil in
der Verwaltung des großen Staates ein Zentralisirnngssystem dringend ge¬
boten war. Es braucht uicht im einzelnen ausgeführt zu werden, wodurch die
außerordentlich große Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden ist. Nur
folgende Zahle» mögen von dieser selbst einen Begriff geben. Rom, das nach
Einverleibung in den italienischen Staat etwa 215 000 Einwohner hatte, zählte
deren am 3l' Dezember 1881: 284 544, am 31. Dezember 1885: 345 036, am
30. Juni 1887: 372 779, hatte sich also in fünf und einem halben Jahre um
ein Drittel, in den letzten achtzehn Monaten um 27 743 Einwohner vermehrt,
das ist um 8,09 oder jährlich um etwa 5,4 Prozent, wovon der weitaus größte
Teil nicht auf die Geburten, sondern auf den Zuzug von anderwärts fällt.
Für diese Zahl müssen Wohnungen beschafft werden, aber nicht für sie allein:
auch für die, welche infolge des Abbruchs alter Häuserviertel ihre bisherigen
Wohnungen verlassen und neue beziehen müssen. Wo sollen diese gesucht oder,
da im Innern der Stadt immer nur einzelne Wohnungen frei werden, über-


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[0381] Die Ulagen über die Vernichtung Roms. gelegten Kapitals nicht unbedenklich erscheint? Man pflegt hin und wieder auf diese Folgen hinzuweisen und von einem Krach zu sprechen, der früher oder später kommen müsse oder gar unmittelbar vor der Thür stehen soll. Was hieran wahr ist, mögen die Kapitalisten entscheiden, für unsre Zwecke ist es gleichgiltig. Eines zu wissen ist aber von großer Wichtigkeit: In welchem Ver¬ hältnisse stehen die massenhaften Neubauten zu dem Bedürfnisse, dem sie genügen sollen, in welchem zu dem Wachstum der Bevölkerung, die in den alten Quar¬ tieren nicht untergebracht werden kann? Daß Rom, wie alle Großstädte, infolge der hier sich bietenden Vorteile nach allen Seiten hin eine geradezu magnetische Kraft ausübt, daß aus allen Teilen des Königreiches — um von den Fremden ganz abzusehen — Menschen herbeiströmen, die einen, um hier ihr Glück zu versuchen, die andern, weil sie von der Regierung gerufen werden, ist nicht zu verwundern. Rom nimmt aber andern Großstädten, selbst Berlin gegenüber, wo seit dem Jahre 1871 eine ähnliche Erscheinung zu bemerken ist, doch noch eine Ausnahmestelle ein. Früher, als Stadt der Päpste und Hauptstadt des kleinen Kirchenstaates, hatte es in Kunst und Wissenschaft vorzugsweise Bedeutung, außerdem als Mittelpunkt der katholischen Kirche, von wo sich die Fäden der päpstlichen Politik über alle Länder der Erde ciusspvnnen. An dieser Stellung hat die Neuzeit nicht zu rütteln vermocht; aber sie hat Rom in politischer Hinsicht, im europäischen Völkerrate, eine hochwichtige, eine den Hauptstädten der übrigen Großmächte gleichberechtigte Stellung angewiesen. Rom ist jetzt die Hauptstadt einer euro¬ päischen Großmacht mit einer Bevölkerung von dreißig Millionen geworden. Diese Thatsache hat natürlich und notwendigerweise einen Rückschlag auf die Bevölkerungszahl ausüben müssen. Als Hauptstadt des Königreichs Italien muß es den Anforderungen und Bedürfnissen einer großen politischen Macht nach innen wie nach anßen genügen, nach innen namentlich deshalb, weil in der Verwaltung des großen Staates ein Zentralisirnngssystem dringend ge¬ boten war. Es braucht uicht im einzelnen ausgeführt zu werden, wodurch die außerordentlich große Zunahme der Bevölkerung herbeigeführt worden ist. Nur folgende Zahle» mögen von dieser selbst einen Begriff geben. Rom, das nach Einverleibung in den italienischen Staat etwa 215 000 Einwohner hatte, zählte deren am 3l' Dezember 1881: 284 544, am 31. Dezember 1885: 345 036, am 30. Juni 1887: 372 779, hatte sich also in fünf und einem halben Jahre um ein Drittel, in den letzten achtzehn Monaten um 27 743 Einwohner vermehrt, das ist um 8,09 oder jährlich um etwa 5,4 Prozent, wovon der weitaus größte Teil nicht auf die Geburten, sondern auf den Zuzug von anderwärts fällt. Für diese Zahl müssen Wohnungen beschafft werden, aber nicht für sie allein: auch für die, welche infolge des Abbruchs alter Häuserviertel ihre bisherigen Wohnungen verlassen und neue beziehen müssen. Wo sollen diese gesucht oder, da im Innern der Stadt immer nur einzelne Wohnungen frei werden, über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/381>, abgerufen am 22.07.2024.