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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die deutschen Rolonisationsbestrebungen in Gstafrika.

Macht noch ausstand, nennen wir unser. Gewiß müssen wir diesen Erfolg nach
seinen auswärtigen Bedingungen zum Teil der glücklichen politischen Lage, sowie
dem Umstände zuschreiben, daß neuer Kolonialbesitz nicht einen sofortigen Macht¬
zuwachs bewirkt, sondern erst einen künftigen; aber immerhin ist er ein
schlagender Ausdruck unsrer plötzlich gewonnenen Macht. 1852 wurde unsre
Flotte versteigert, 1867 mit der Begründung einer neuen die unerläßliche Be¬
dingung unsrer gegenwärtigen Kolonialpolitik geschaffen, und 1887 verfügen wir
über jenes riesenhafte überseeische Gebiet.

Indessen eine reine Freude giebt es nun einmal nicht. Unsre kurze Kolonial¬
geschichte hat auch ihre Kehrseite. Wenn vor den ersten wirklichen Schritten
unsrer Kolonialpolitik große Massen bedenklich und besorgt die Köpfe schüttelten,
so kann uns das nicht sehr wundern. Der Deutsche leidet im allgemeinen an
Unterschätzung seiner selbst, hat etwas von jener Bescheidenheit, die Goethe mit
einem bösen, aber treffenden Worte bezeichnet hat; dazu kam, das; er, schlecht
unterrichtet und in alten Vorurteilen befangen, auch die seiner Phantasie vor¬
gestellten Kolonialobjekte unterschätzte. Als aber, dank einem kühnen Vorgehen,
das zu gleichen Teilen dem deutschen Reichskanzler und einigen kleinen Kreisen
hochgemuter und hellsehender Männer aus dem Volke zuzurechnen ist, weite
Strecken wie mit einem Zauberschlage gewonnen waren, da hätte man füglich
als Echo auf die Kunde von dieser neuen "Conquista" wenn nicht kolonial-
enthusiastische Jubelhymnen, so doch Anerkennung und Freude von allen Schichten,
die noch für patriotisch gelten wollen, erwarten dürfen. Aber Parteiwut und
Parteidoktrin vergällten vielen die Freude und fälschte ihnen das Urteil. Und
die Massen, auch solche, die in andern Dingen nicht die Gefolgschaft dieser
Kritiker bildeten, glaubten dem Mißurteil, auch hier ein Übermaß echt¬
deutscher Bescheidenheit bekundend, welche die Erfolge immer noch nicht
sieht, obwohl sie hell vor Augen liegen. Jetzt plötzlich galt das bei andrer
Gelegenheit so nachahmenswert befundne Beispiel der Nachbarstaaten nichts
mehr, die gleichzeitig hier mit einer ersten Erwerbung, dort mit einer kräftigen
Ausdehnung von Kolonialländereien vorgingen; jetzt plötzlich sollte der alte
""widerlegte Erfahrungssatz, daß der Handel der Flagge folge, der höheren
Weisheit weichen: Beschränkt euch auf Handelsverträge. Als ob diese nicht
wandelbar wären, als ob nicht anch heute noch der Fremde, trotz aller humanen
internationalen Rechtsbeziehungen, im fremden Lande innrer eben ein Fremder
und wirtschaftlich vergleichsweise im Nachteil bliebe. Umso weniger hätte man aber
diese weite Verbreitung kolonialen Mißtrauens von einem so gelehrten Volke, als
welches das unsrige galt und gilt, erwarten sollen. Wie nahe lag es doch bei
dem offenbaren Gewicht der Frage, sich nach zuverlässigen Erkundigungsmitteln
umzusehen, und diese nicht sowohl in den galligen Phantasien eines hinter dem
grünen Nedaktionstische sitzenden Zeitungsschreibers als vielmehr in den leicht
zugänglichen Berichten tüchtiger und ernster Forscher zu suchen, die mit eignen


Die deutschen Rolonisationsbestrebungen in Gstafrika.

Macht noch ausstand, nennen wir unser. Gewiß müssen wir diesen Erfolg nach
seinen auswärtigen Bedingungen zum Teil der glücklichen politischen Lage, sowie
dem Umstände zuschreiben, daß neuer Kolonialbesitz nicht einen sofortigen Macht¬
zuwachs bewirkt, sondern erst einen künftigen; aber immerhin ist er ein
schlagender Ausdruck unsrer plötzlich gewonnenen Macht. 1852 wurde unsre
Flotte versteigert, 1867 mit der Begründung einer neuen die unerläßliche Be¬
dingung unsrer gegenwärtigen Kolonialpolitik geschaffen, und 1887 verfügen wir
über jenes riesenhafte überseeische Gebiet.

Indessen eine reine Freude giebt es nun einmal nicht. Unsre kurze Kolonial¬
geschichte hat auch ihre Kehrseite. Wenn vor den ersten wirklichen Schritten
unsrer Kolonialpolitik große Massen bedenklich und besorgt die Köpfe schüttelten,
so kann uns das nicht sehr wundern. Der Deutsche leidet im allgemeinen an
Unterschätzung seiner selbst, hat etwas von jener Bescheidenheit, die Goethe mit
einem bösen, aber treffenden Worte bezeichnet hat; dazu kam, das; er, schlecht
unterrichtet und in alten Vorurteilen befangen, auch die seiner Phantasie vor¬
gestellten Kolonialobjekte unterschätzte. Als aber, dank einem kühnen Vorgehen,
das zu gleichen Teilen dem deutschen Reichskanzler und einigen kleinen Kreisen
hochgemuter und hellsehender Männer aus dem Volke zuzurechnen ist, weite
Strecken wie mit einem Zauberschlage gewonnen waren, da hätte man füglich
als Echo auf die Kunde von dieser neuen „Conquista" wenn nicht kolonial-
enthusiastische Jubelhymnen, so doch Anerkennung und Freude von allen Schichten,
die noch für patriotisch gelten wollen, erwarten dürfen. Aber Parteiwut und
Parteidoktrin vergällten vielen die Freude und fälschte ihnen das Urteil. Und
die Massen, auch solche, die in andern Dingen nicht die Gefolgschaft dieser
Kritiker bildeten, glaubten dem Mißurteil, auch hier ein Übermaß echt¬
deutscher Bescheidenheit bekundend, welche die Erfolge immer noch nicht
sieht, obwohl sie hell vor Augen liegen. Jetzt plötzlich galt das bei andrer
Gelegenheit so nachahmenswert befundne Beispiel der Nachbarstaaten nichts
mehr, die gleichzeitig hier mit einer ersten Erwerbung, dort mit einer kräftigen
Ausdehnung von Kolonialländereien vorgingen; jetzt plötzlich sollte der alte
»«widerlegte Erfahrungssatz, daß der Handel der Flagge folge, der höheren
Weisheit weichen: Beschränkt euch auf Handelsverträge. Als ob diese nicht
wandelbar wären, als ob nicht anch heute noch der Fremde, trotz aller humanen
internationalen Rechtsbeziehungen, im fremden Lande innrer eben ein Fremder
und wirtschaftlich vergleichsweise im Nachteil bliebe. Umso weniger hätte man aber
diese weite Verbreitung kolonialen Mißtrauens von einem so gelehrten Volke, als
welches das unsrige galt und gilt, erwarten sollen. Wie nahe lag es doch bei
dem offenbaren Gewicht der Frage, sich nach zuverlässigen Erkundigungsmitteln
umzusehen, und diese nicht sowohl in den galligen Phantasien eines hinter dem
grünen Nedaktionstische sitzenden Zeitungsschreibers als vielmehr in den leicht
zugänglichen Berichten tüchtiger und ernster Forscher zu suchen, die mit eignen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/362>, abgerufen am 05.07.2024.