Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Eine Fahrt in den Grient. vor der Moschee, sodaß ich das Schauspiel bequem betrachten konnte. Es Eine Fahrt in den Grient. vor der Moschee, sodaß ich das Schauspiel bequem betrachten konnte. Es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201784"/> <fw type="header" place="top"> Eine Fahrt in den Grient.</fw><lb/> <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831" next="#ID_833"> vor der Moschee, sodaß ich das Schauspiel bequem betrachten konnte. Es<lb/> dauerte eine ganze Zeit, ehe sich die Truppen versammelt hatten, deren Haltung<lb/> freilich auf ein preußisches Auge befremdend wirkt; von peinlicher Reinlichkeit<lb/> ist nichts zu spüren, das Riemenzeug sitzt kreuz und quer, und der Fez wird<lb/> bald nach hinten, bald nach der Seite getragen. Dazu wird, so lange nicht<lb/> stillgestanden kommandirt wird, gemütlich geraucht und geplaudert; Verkäufer<lb/> von Wasser und Eßwaaren drängen sich in die Reihen und finden mit ihren<lb/> Waaren schnellen Absatz. Adjutanten des Sultans mit goldnen Briefträger¬<lb/> taschen spazieren auf und ab und nehmen etwaige Bittschriften in Empfang.<lb/> Endlich naht der feierliche Augenblick; die Gartenthüren springen auf, die Musik<lb/> läßt ihre weichen Molltone erklingen, die spalierbildenden Truppen Präsentiren<lb/> das Gewehr mit der linken Hand, während die Rechte zu dem poetischen Gruß<lb/> für den Sultan frei bleibt, jenem allgemein üblichen orientalischen Gruß, der<lb/> die Hand von der Erde nach Herz, Mund und Kopf bewegt, um anzudeuten,<lb/> daß der Grüßende den Staub von den Füßen des Begrüßten aufhebt, ihn an<lb/> sein Herz bringt, küßt und auf das eigne Haupt legt. Aus den Pforten treten<lb/> zunächst die militärischen Würdenträger, die Helden des letzten Krieges, der<lb/> Ghazi Osman, dann Derwisch Hussein, Fuad, Mukthar Pascha, ihnen schließt<lb/> sich unser Landsmann Drygalski Pascha an, und darauf folgen die neu in die<lb/> Türkei kommcmdirten deutschen Offiziere: der Ferik Kaehler Pascha, welcher als<lb/> Nachfolger unsers berühmten Feldmarschalls Moltke zur Reorganisation des<lb/> Generalstabes berufen ist, der General von Schilgen, dem die Aufgabe zugewiesen<lb/> ist, in die türkische Armeeverwaltung den Geist preußischer Ordnung und Spar¬<lb/> samkeit zu verpflanzen, und der Oberst von Häuser, Kneiphöfer, Secky-Bey und wie<lb/> sie alle heißen. Endlich erschien auf einem prachtvollen Schimmel Abdul Hamid,<lb/> von zwei Obersten mit Weihrauchfässern empfangen; im Gegensatz zu den gold-<lb/> strotzendem Uniformen der Offiziere trug der Sultan die Stambulina, den<lb/> schwarzen, bis an den Hals zugeknöpften Rock mit einem großen Ordensstern —<lb/> eine vornehme Gestalt mit einem durchgeistigten Gesichtsausdruck. Er berief Osman<lb/> und Derwisch Pascha zu seinen Seiten und plauderte mit ihnen, während er<lb/> den Gruß und den Ruf der Soldaten: ?g,al8eng.1r tsodolc Msolig. (Lange lebe<lb/> der Padischah) in der oben geschilderten Weise erwiederte. Ihm folgte, eben¬<lb/> falls zu Pferde, die gedrungene Gestalt seiner schwarzen Hoheit, der Beram Aga,<lb/> der die hohe Würde eines „Vorstehers des Hauses der Glückseligkeit," d. h. des<lb/> Ober-Eunuchen des kaiserlichen Harems, bekleidet und deswegen den Titel<lb/> „Hoheit" führt, welcher neben ihm nur noch dem Premierminister und dem<lb/> ersten geistlichen Würdenträger, dem Scheck ni Islam, zusteht. Prächtig<lb/> gekleidete albanesische Palastdiener in reichen roten, goldgestickten Uniformen<lb/> bildeten den Schluß. Das Gebet des Sultans in der Moschee dauerte etwa<lb/> zwanzig Minuten, dann trat er hinter ein mit Jalousien dicht verschlossenes<lb/> Fenster, von wo aus er dem Auge nicht erreichbar ist, und sah dem Vorübermarsch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
Eine Fahrt in den Grient.
vor der Moschee, sodaß ich das Schauspiel bequem betrachten konnte. Es
dauerte eine ganze Zeit, ehe sich die Truppen versammelt hatten, deren Haltung
freilich auf ein preußisches Auge befremdend wirkt; von peinlicher Reinlichkeit
ist nichts zu spüren, das Riemenzeug sitzt kreuz und quer, und der Fez wird
bald nach hinten, bald nach der Seite getragen. Dazu wird, so lange nicht
stillgestanden kommandirt wird, gemütlich geraucht und geplaudert; Verkäufer
von Wasser und Eßwaaren drängen sich in die Reihen und finden mit ihren
Waaren schnellen Absatz. Adjutanten des Sultans mit goldnen Briefträger¬
taschen spazieren auf und ab und nehmen etwaige Bittschriften in Empfang.
Endlich naht der feierliche Augenblick; die Gartenthüren springen auf, die Musik
läßt ihre weichen Molltone erklingen, die spalierbildenden Truppen Präsentiren
das Gewehr mit der linken Hand, während die Rechte zu dem poetischen Gruß
für den Sultan frei bleibt, jenem allgemein üblichen orientalischen Gruß, der
die Hand von der Erde nach Herz, Mund und Kopf bewegt, um anzudeuten,
daß der Grüßende den Staub von den Füßen des Begrüßten aufhebt, ihn an
sein Herz bringt, küßt und auf das eigne Haupt legt. Aus den Pforten treten
zunächst die militärischen Würdenträger, die Helden des letzten Krieges, der
Ghazi Osman, dann Derwisch Hussein, Fuad, Mukthar Pascha, ihnen schließt
sich unser Landsmann Drygalski Pascha an, und darauf folgen die neu in die
Türkei kommcmdirten deutschen Offiziere: der Ferik Kaehler Pascha, welcher als
Nachfolger unsers berühmten Feldmarschalls Moltke zur Reorganisation des
Generalstabes berufen ist, der General von Schilgen, dem die Aufgabe zugewiesen
ist, in die türkische Armeeverwaltung den Geist preußischer Ordnung und Spar¬
samkeit zu verpflanzen, und der Oberst von Häuser, Kneiphöfer, Secky-Bey und wie
sie alle heißen. Endlich erschien auf einem prachtvollen Schimmel Abdul Hamid,
von zwei Obersten mit Weihrauchfässern empfangen; im Gegensatz zu den gold-
strotzendem Uniformen der Offiziere trug der Sultan die Stambulina, den
schwarzen, bis an den Hals zugeknöpften Rock mit einem großen Ordensstern —
eine vornehme Gestalt mit einem durchgeistigten Gesichtsausdruck. Er berief Osman
und Derwisch Pascha zu seinen Seiten und plauderte mit ihnen, während er
den Gruß und den Ruf der Soldaten: ?g,al8eng.1r tsodolc Msolig. (Lange lebe
der Padischah) in der oben geschilderten Weise erwiederte. Ihm folgte, eben¬
falls zu Pferde, die gedrungene Gestalt seiner schwarzen Hoheit, der Beram Aga,
der die hohe Würde eines „Vorstehers des Hauses der Glückseligkeit," d. h. des
Ober-Eunuchen des kaiserlichen Harems, bekleidet und deswegen den Titel
„Hoheit" führt, welcher neben ihm nur noch dem Premierminister und dem
ersten geistlichen Würdenträger, dem Scheck ni Islam, zusteht. Prächtig
gekleidete albanesische Palastdiener in reichen roten, goldgestickten Uniformen
bildeten den Schluß. Das Gebet des Sultans in der Moschee dauerte etwa
zwanzig Minuten, dann trat er hinter ein mit Jalousien dicht verschlossenes
Fenster, von wo aus er dem Auge nicht erreichbar ist, und sah dem Vorübermarsch
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