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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

rielle Gewinne lohnen würde, herbeigewünscht und empfohlen, sondern es soll
damit nur gezeigt werden, daß wir bei ihm nicht so viel zu befürchten und zu
wagen haben würden als die, welche ihn uns aufzwüngen, als namentlich die
Franzosen, um deren Aussichten bei ihrem bisherigen Denken und Verhalten
unsre Betrachtung sich vornehmlich bewegte.




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
8. Etwas vom Leben.
2. Vom Zusammenleben.

as Leben des Einzelnen kann ihm kein wirkliches Einzelleben, kein
vereinzeltes sein oder bleiben, es wäre als solches dem Eingehen
verfallen. Wer im Leben mit sich allein auszukommen versucht,
wie das jetzt als letzte Lebensweisheit bei vielen angetroffen wird,
der täuscht sich, wenn er das wirklich fertig zu bringen glaubt.
Man muß ja die schwere Kunst lernen oder daran studiren, weil für Jeden
Zeiten eintreten, wo er in sich selbst zurückkehren muß und sich in sich selbst
neu sichern, aber nicht um da versteckt zu bleiben, sondern um da Kraft zu
schöpfen zu neuem Anlauf und Eingreifen in das Getriebe der Welt. Wer sich
aber diese Kunst des Einzellebens zur Lebenskunst überhaupt machen will, der
bringt es doch mir so weit, durch verringerte Berührung oder Einigung mit
dem Außenleben sein Leben selbst zu verringern, er wird wie eine Pflanze,
der vom Boden oder vom Menschen nur dürftige Nahrung zugeführt wird, daß
sie verkümmert ebenso dahin lebt. Der Begriff oder das Wesen des Lebens
auch im Einzelnen schließt das ein, daß es, um wirklich Leben zu bleiben oder
zu werden, in das Gesamtleben einschlagen muß. Wirkliches Leben ist nur ein
Zusammenleben, in dem doch das einzelne Leben als solches nicht aufgeht,
sondern erst recht zu sich kommt, auch zu einer Steigerung und Vertiefung,
die es aus sich selbst nimmermehr haben könnte. Klingt das recht abstract, so
läßt es sich doch anch als ganz thatsächlich aufzeigen aus dem jeden bekannten
Leben, davon nachher.

Vorerst sei noch einmal an Goethes Begriffsdefinition vom Leben erinnert,
wenn man seine Äußerung so nennen kann, das Leben als die rotirende Be¬
wegung der Monas um sich selbst. Damit ist weiter zu kommen auch für den hier
zu spinnenden Gebankenfaden. Er selbst spricht in dem dort folgenden Absatz


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

rielle Gewinne lohnen würde, herbeigewünscht und empfohlen, sondern es soll
damit nur gezeigt werden, daß wir bei ihm nicht so viel zu befürchten und zu
wagen haben würden als die, welche ihn uns aufzwüngen, als namentlich die
Franzosen, um deren Aussichten bei ihrem bisherigen Denken und Verhalten
unsre Betrachtung sich vornehmlich bewegte.




Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
8. Etwas vom Leben.
2. Vom Zusammenleben.

as Leben des Einzelnen kann ihm kein wirkliches Einzelleben, kein
vereinzeltes sein oder bleiben, es wäre als solches dem Eingehen
verfallen. Wer im Leben mit sich allein auszukommen versucht,
wie das jetzt als letzte Lebensweisheit bei vielen angetroffen wird,
der täuscht sich, wenn er das wirklich fertig zu bringen glaubt.
Man muß ja die schwere Kunst lernen oder daran studiren, weil für Jeden
Zeiten eintreten, wo er in sich selbst zurückkehren muß und sich in sich selbst
neu sichern, aber nicht um da versteckt zu bleiben, sondern um da Kraft zu
schöpfen zu neuem Anlauf und Eingreifen in das Getriebe der Welt. Wer sich
aber diese Kunst des Einzellebens zur Lebenskunst überhaupt machen will, der
bringt es doch mir so weit, durch verringerte Berührung oder Einigung mit
dem Außenleben sein Leben selbst zu verringern, er wird wie eine Pflanze,
der vom Boden oder vom Menschen nur dürftige Nahrung zugeführt wird, daß
sie verkümmert ebenso dahin lebt. Der Begriff oder das Wesen des Lebens
auch im Einzelnen schließt das ein, daß es, um wirklich Leben zu bleiben oder
zu werden, in das Gesamtleben einschlagen muß. Wirkliches Leben ist nur ein
Zusammenleben, in dem doch das einzelne Leben als solches nicht aufgeht,
sondern erst recht zu sich kommt, auch zu einer Steigerung und Vertiefung,
die es aus sich selbst nimmermehr haben könnte. Klingt das recht abstract, so
läßt es sich doch anch als ganz thatsächlich aufzeigen aus dem jeden bekannten
Leben, davon nachher.

Vorerst sei noch einmal an Goethes Begriffsdefinition vom Leben erinnert,
wenn man seine Äußerung so nennen kann, das Leben als die rotirende Be¬
wegung der Monas um sich selbst. Damit ist weiter zu kommen auch für den hier
zu spinnenden Gebankenfaden. Er selbst spricht in dem dort folgenden Absatz


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[0326] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. rielle Gewinne lohnen würde, herbeigewünscht und empfohlen, sondern es soll damit nur gezeigt werden, daß wir bei ihm nicht so viel zu befürchten und zu wagen haben würden als die, welche ihn uns aufzwüngen, als namentlich die Franzosen, um deren Aussichten bei ihrem bisherigen Denken und Verhalten unsre Betrachtung sich vornehmlich bewegte. Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. 8. Etwas vom Leben. 2. Vom Zusammenleben. as Leben des Einzelnen kann ihm kein wirkliches Einzelleben, kein vereinzeltes sein oder bleiben, es wäre als solches dem Eingehen verfallen. Wer im Leben mit sich allein auszukommen versucht, wie das jetzt als letzte Lebensweisheit bei vielen angetroffen wird, der täuscht sich, wenn er das wirklich fertig zu bringen glaubt. Man muß ja die schwere Kunst lernen oder daran studiren, weil für Jeden Zeiten eintreten, wo er in sich selbst zurückkehren muß und sich in sich selbst neu sichern, aber nicht um da versteckt zu bleiben, sondern um da Kraft zu schöpfen zu neuem Anlauf und Eingreifen in das Getriebe der Welt. Wer sich aber diese Kunst des Einzellebens zur Lebenskunst überhaupt machen will, der bringt es doch mir so weit, durch verringerte Berührung oder Einigung mit dem Außenleben sein Leben selbst zu verringern, er wird wie eine Pflanze, der vom Boden oder vom Menschen nur dürftige Nahrung zugeführt wird, daß sie verkümmert ebenso dahin lebt. Der Begriff oder das Wesen des Lebens auch im Einzelnen schließt das ein, daß es, um wirklich Leben zu bleiben oder zu werden, in das Gesamtleben einschlagen muß. Wirkliches Leben ist nur ein Zusammenleben, in dem doch das einzelne Leben als solches nicht aufgeht, sondern erst recht zu sich kommt, auch zu einer Steigerung und Vertiefung, die es aus sich selbst nimmermehr haben könnte. Klingt das recht abstract, so läßt es sich doch anch als ganz thatsächlich aufzeigen aus dem jeden bekannten Leben, davon nachher. Vorerst sei noch einmal an Goethes Begriffsdefinition vom Leben erinnert, wenn man seine Äußerung so nennen kann, das Leben als die rotirende Be¬ wegung der Monas um sich selbst. Damit ist weiter zu kommen auch für den hier zu spinnenden Gebankenfaden. Er selbst spricht in dem dort folgenden Absatz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/326>, abgerufen am 22.07.2024.