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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

Zwecke erfüllen wird, wie bisher, wo gegen sie nur minirt wurde, so auch, wenn
einmal eine Explosion gegen sie erfolgen sollte. Wir unterschätzen die militä¬
rische Kraft Frankreichs nicht und ebensowenig die der Russen, soweit es sich bei
dem letztern um Verteidigung handeln würde -- ihr Angriff war im Kriege mit
der Pforte nicht der Art, daß man ihn für die Zukunft hätte fürchten lernen --,
wir schlagen die wahrscheinliche Mitwirkung von Mächten auf der Balkanhalb¬
insel, die ihr Interesse an die Seite der drei Verbündeten führen würde, nicht
sehr hoch an, wir rechnen nicht auf englische Hilfe oder gar auf spanische, wir
missen, daß der Schlachtengott Launen hat, wir halten das Auftreten großer Ge¬
nerale an der Spitze französischer oder russischer Armeen nicht für undenkbar,
und wir hoffen auf den Sieg der Fahnen Mitteleuropas nicht, weil sie über der
guten Sache wehen werden. Wohl aber verbürgen uns andre Dinge wo nicht
den sofortigen, doch den endlichen Sieg, so weit menschliche Blicke reichen: die
rasch zu entwickelnde Stärke der verbündeten Heere und die Tüchtigkeit ihrer
Offiziere, vor allen der preußischen und der deutschen überhaupt. Über den
Gang eines solchen riesigen Kampfes läßt sich wenig sicheres vermuten, wenn
man nicht zu den Vertrauten Moltkes gehört, der unzweifelhaft den Plan dazu
in Erwägung gezogen und ihn wohl auch in seinen allgemeinen Umrissen schon
entworfen hat, und der, wenn er nicht mehr da wäre, "in seine Ausführung zu
leiten, eine Schule hinterlassen haben würde, die von seinem Geiste erfüllt ist.
Als bestimmt dürfen wir annehmen, daß man sich zuerst gegen die Franzosen als
den nächsten und zuerst bereiten Feind wenden würde. Anfangs könnte Deutsch¬
land von seinen 39 Infanteriedivisionen 33 im Verein mit 10 Kavallerie¬
divisionen, zusammen ungefähr 500 000 Mann, über die westliche Grenze vor¬
brechen lassen, und einige Wochen später könnten neugebildete Heereskörper in
hinreichender Zahl nachfolgen. Zu gleicher Zeit könnte Italien mit 9 von
seinen 12 Armeekorps in die ihm einst von Frankreich abgenommenen Alpen¬
länder vordringen lind von da aus die Verbindung mit dem deutschen Heere
suchen, während es mit 3 Armeekorps in Verbindung mit seiner starken Flotte,
55 Schlachtschiffen und gegen 100 Torpedobooten, seine Küsten schützte. So
würden gleich zu Beginn des Krieges etwa 51 Infanterie- und 12 bis 14 Ka-
valleriedivisionen den Franzosen konzentrisch entgegenrücken, deuen sie, da die
Grenzfestungen stark zu besetzen wären, sür den Augenblick höchstens 32 bis
33 Infanterie- und 10 Kavalleriedivisionen entgegenzustellen vermöchten. Zwar
zählt Frankreich eine Feldarmee von 1 200 000 Mann, zu der noch eine halb
so starke Territorialarmee kommt, aber ehe das alles auf die Beine gebracht
wird, wird ziemlich viel Zeit vergehen, die in Deutschland so wenig unbenutzt
bleiben wird, wie in Italien, wo man eine Feldarmee von fast 600 000 und
eine Mobilmiliz von 360 000 Mann zu Operationen außer Landes marschiren
lassen kann. Einige große Entscheidungsschlachten auf französischem Boden
werden mit ihrem Ausgange das weitere bestimmen. Endigen sie mit Siegen


Politische Zustände und Aussichten in Frankreich.

Zwecke erfüllen wird, wie bisher, wo gegen sie nur minirt wurde, so auch, wenn
einmal eine Explosion gegen sie erfolgen sollte. Wir unterschätzen die militä¬
rische Kraft Frankreichs nicht und ebensowenig die der Russen, soweit es sich bei
dem letztern um Verteidigung handeln würde — ihr Angriff war im Kriege mit
der Pforte nicht der Art, daß man ihn für die Zukunft hätte fürchten lernen —,
wir schlagen die wahrscheinliche Mitwirkung von Mächten auf der Balkanhalb¬
insel, die ihr Interesse an die Seite der drei Verbündeten führen würde, nicht
sehr hoch an, wir rechnen nicht auf englische Hilfe oder gar auf spanische, wir
missen, daß der Schlachtengott Launen hat, wir halten das Auftreten großer Ge¬
nerale an der Spitze französischer oder russischer Armeen nicht für undenkbar,
und wir hoffen auf den Sieg der Fahnen Mitteleuropas nicht, weil sie über der
guten Sache wehen werden. Wohl aber verbürgen uns andre Dinge wo nicht
den sofortigen, doch den endlichen Sieg, so weit menschliche Blicke reichen: die
rasch zu entwickelnde Stärke der verbündeten Heere und die Tüchtigkeit ihrer
Offiziere, vor allen der preußischen und der deutschen überhaupt. Über den
Gang eines solchen riesigen Kampfes läßt sich wenig sicheres vermuten, wenn
man nicht zu den Vertrauten Moltkes gehört, der unzweifelhaft den Plan dazu
in Erwägung gezogen und ihn wohl auch in seinen allgemeinen Umrissen schon
entworfen hat, und der, wenn er nicht mehr da wäre, »in seine Ausführung zu
leiten, eine Schule hinterlassen haben würde, die von seinem Geiste erfüllt ist.
Als bestimmt dürfen wir annehmen, daß man sich zuerst gegen die Franzosen als
den nächsten und zuerst bereiten Feind wenden würde. Anfangs könnte Deutsch¬
land von seinen 39 Infanteriedivisionen 33 im Verein mit 10 Kavallerie¬
divisionen, zusammen ungefähr 500 000 Mann, über die westliche Grenze vor¬
brechen lassen, und einige Wochen später könnten neugebildete Heereskörper in
hinreichender Zahl nachfolgen. Zu gleicher Zeit könnte Italien mit 9 von
seinen 12 Armeekorps in die ihm einst von Frankreich abgenommenen Alpen¬
länder vordringen lind von da aus die Verbindung mit dem deutschen Heere
suchen, während es mit 3 Armeekorps in Verbindung mit seiner starken Flotte,
55 Schlachtschiffen und gegen 100 Torpedobooten, seine Küsten schützte. So
würden gleich zu Beginn des Krieges etwa 51 Infanterie- und 12 bis 14 Ka-
valleriedivisionen den Franzosen konzentrisch entgegenrücken, deuen sie, da die
Grenzfestungen stark zu besetzen wären, sür den Augenblick höchstens 32 bis
33 Infanterie- und 10 Kavalleriedivisionen entgegenzustellen vermöchten. Zwar
zählt Frankreich eine Feldarmee von 1 200 000 Mann, zu der noch eine halb
so starke Territorialarmee kommt, aber ehe das alles auf die Beine gebracht
wird, wird ziemlich viel Zeit vergehen, die in Deutschland so wenig unbenutzt
bleiben wird, wie in Italien, wo man eine Feldarmee von fast 600 000 und
eine Mobilmiliz von 360 000 Mann zu Operationen außer Landes marschiren
lassen kann. Einige große Entscheidungsschlachten auf französischem Boden
werden mit ihrem Ausgange das weitere bestimmen. Endigen sie mit Siegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/324>, abgerufen am 03.07.2024.