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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

Freund Österreichs, den Mitbegründer der deutsch-österreichischen Allianz, welche
den Frieden Europas wahrt," und rühmte die innere reformatorische Thätigkeit
Bismarcks und seine unerschöpfliche Arbeitskraft. Und was sagten an diesem
Tage deutschfreisinnige Blätter, wie die Volkszeitung? Diese sah in Bismarck
"den Schnitter, der die Gedankensaat der deutschen Demokratie mit dem rück¬
sichtslosen Wagemut des Junkers in dichten Schwaden niederstreckte." Sie
beklagte, daß das neue Deutschland nicht demokratisch, sondern "bismärckisch"
geworden sei. Nun sei es thöricht, "das Urteil der Geschichte schelten zu
wollen, weil unser Gegner es kräftiger und schneller zu seinen Gunsten
zu wenden gewußt, als wir." Das deutsche Bürgertum habe leider
keinen Haupten und keinen Cromwell zu stellen gewußt, der dem Gegner
des Bürgertums das Schicksal Straffords bereitete. Nun müsse es seine
Schwäche eben damit büßen, "daß in dem neuen Deutschland die Strafford
und nicht die Haupten herrschen." Aber wenn er auch deu geschichtlichen Erfolg
habe, darum wachse Bismarck doch nicht über sei" eignes Maß hinaus. "Selbst
die auswärtige Politik des Fürsten Bismarck, die vielgefeierte, entbehrt der
schöpferischen Gedanken, welche den kleinsten Staatsmann durch einen Abgrund
auch von dem größten Diplomaten scheiden." Ein Staatsmann ist also Bismarck
uicht zu nennen, soweit hat er's an seinem fünfundzwanzigjährigen Jubiläum
als Minister noch nicht gebracht. In der innern Politik vollends sei Fürst
Bismarck nicht im entferntesten zu vergleichen mit einem Stein oder Hardenberg,
"Ne einem Disraeli oder Gladstone oder einem Grafen Cavour, da der eigent¬
liche Lebensodem von Bismarcks innerer Politik "das Regieren mit mechanischen
Gewaltmitteln" sei. Das war dcutschfreisiunige Sprache am 23. September
1887 (siehe Volkszeitung Ur. 222).

Wenn auch nicht in dem Maße, aber immer noch stark genng, wütete in
dieser Sprache die politische Naserei gegen die Freunde der Regierung. Als es
^eß, daß sich die Natioualliberalen mit den Konservativen über eine Verlängerung
^er Neichstagswahlperiode von drei auf fünf Jahre verständigt hätten, da ergoß
Ach auf erstere eine Flut von fortschrittlichen Schmähungen. Die Volkszeitung
^om 21. September brachte einen Leitartikel "Der erste Sturm auf die Ber¬
ufung," worin sie durch die beabsichtigte Verlängerung der Gesetzgebungs-
^erivde die Axt an die Wurzel der Verfassung gelegt sah durch eine Mehrheit,
^ sie mit dem schönen Namen eines "Angstprodukts" schmückte, deren einziger
Lebenszweck sei, "die Lasten des Volkes zu vermehren und die Rechte des Volkes
6u vermindern." Jetzt werde der Sturm auf die Verfassung an dem Wahl¬
rechte unternommen und das Volk da gezüchtigt, wo es gesündigt habe. Jetzt
hätten die Wähler von Rechtswegen den Schaden dafür zu tragen, daß sie
l'es hätten einreden lassen, "die zur großen Haupt- und Staatsaktion auf¬
geblähte Septennatsfrage sei nur um ihrer selbst willen da und nicht als eine
Maske für allerlei reaktionäre Schändlichkeiten." Und das sagten diese Schwätzer


Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

Freund Österreichs, den Mitbegründer der deutsch-österreichischen Allianz, welche
den Frieden Europas wahrt," und rühmte die innere reformatorische Thätigkeit
Bismarcks und seine unerschöpfliche Arbeitskraft. Und was sagten an diesem
Tage deutschfreisinnige Blätter, wie die Volkszeitung? Diese sah in Bismarck
»den Schnitter, der die Gedankensaat der deutschen Demokratie mit dem rück¬
sichtslosen Wagemut des Junkers in dichten Schwaden niederstreckte." Sie
beklagte, daß das neue Deutschland nicht demokratisch, sondern „bismärckisch"
geworden sei. Nun sei es thöricht, „das Urteil der Geschichte schelten zu
wollen, weil unser Gegner es kräftiger und schneller zu seinen Gunsten
zu wenden gewußt, als wir." Das deutsche Bürgertum habe leider
keinen Haupten und keinen Cromwell zu stellen gewußt, der dem Gegner
des Bürgertums das Schicksal Straffords bereitete. Nun müsse es seine
Schwäche eben damit büßen, „daß in dem neuen Deutschland die Strafford
und nicht die Haupten herrschen." Aber wenn er auch deu geschichtlichen Erfolg
habe, darum wachse Bismarck doch nicht über sei» eignes Maß hinaus. „Selbst
die auswärtige Politik des Fürsten Bismarck, die vielgefeierte, entbehrt der
schöpferischen Gedanken, welche den kleinsten Staatsmann durch einen Abgrund
auch von dem größten Diplomaten scheiden." Ein Staatsmann ist also Bismarck
uicht zu nennen, soweit hat er's an seinem fünfundzwanzigjährigen Jubiläum
als Minister noch nicht gebracht. In der innern Politik vollends sei Fürst
Bismarck nicht im entferntesten zu vergleichen mit einem Stein oder Hardenberg,
"Ne einem Disraeli oder Gladstone oder einem Grafen Cavour, da der eigent¬
liche Lebensodem von Bismarcks innerer Politik „das Regieren mit mechanischen
Gewaltmitteln" sei. Das war dcutschfreisiunige Sprache am 23. September
1887 (siehe Volkszeitung Ur. 222).

Wenn auch nicht in dem Maße, aber immer noch stark genng, wütete in
dieser Sprache die politische Naserei gegen die Freunde der Regierung. Als es
^eß, daß sich die Natioualliberalen mit den Konservativen über eine Verlängerung
^er Neichstagswahlperiode von drei auf fünf Jahre verständigt hätten, da ergoß
Ach auf erstere eine Flut von fortschrittlichen Schmähungen. Die Volkszeitung
^om 21. September brachte einen Leitartikel „Der erste Sturm auf die Ber¬
ufung," worin sie durch die beabsichtigte Verlängerung der Gesetzgebungs-
^erivde die Axt an die Wurzel der Verfassung gelegt sah durch eine Mehrheit,
^ sie mit dem schönen Namen eines „Angstprodukts" schmückte, deren einziger
Lebenszweck sei, „die Lasten des Volkes zu vermehren und die Rechte des Volkes
6u vermindern." Jetzt werde der Sturm auf die Verfassung an dem Wahl¬
rechte unternommen und das Volk da gezüchtigt, wo es gesündigt habe. Jetzt
hätten die Wähler von Rechtswegen den Schaden dafür zu tragen, daß sie
l'es hätten einreden lassen, „die zur großen Haupt- und Staatsaktion auf¬
geblähte Septennatsfrage sei nur um ihrer selbst willen da und nicht als eine
Maske für allerlei reaktionäre Schändlichkeiten." Und das sagten diese Schwätzer


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[0315] Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession. Freund Österreichs, den Mitbegründer der deutsch-österreichischen Allianz, welche den Frieden Europas wahrt," und rühmte die innere reformatorische Thätigkeit Bismarcks und seine unerschöpfliche Arbeitskraft. Und was sagten an diesem Tage deutschfreisinnige Blätter, wie die Volkszeitung? Diese sah in Bismarck »den Schnitter, der die Gedankensaat der deutschen Demokratie mit dem rück¬ sichtslosen Wagemut des Junkers in dichten Schwaden niederstreckte." Sie beklagte, daß das neue Deutschland nicht demokratisch, sondern „bismärckisch" geworden sei. Nun sei es thöricht, „das Urteil der Geschichte schelten zu wollen, weil unser Gegner es kräftiger und schneller zu seinen Gunsten zu wenden gewußt, als wir." Das deutsche Bürgertum habe leider keinen Haupten und keinen Cromwell zu stellen gewußt, der dem Gegner des Bürgertums das Schicksal Straffords bereitete. Nun müsse es seine Schwäche eben damit büßen, „daß in dem neuen Deutschland die Strafford und nicht die Haupten herrschen." Aber wenn er auch deu geschichtlichen Erfolg habe, darum wachse Bismarck doch nicht über sei» eignes Maß hinaus. „Selbst die auswärtige Politik des Fürsten Bismarck, die vielgefeierte, entbehrt der schöpferischen Gedanken, welche den kleinsten Staatsmann durch einen Abgrund auch von dem größten Diplomaten scheiden." Ein Staatsmann ist also Bismarck uicht zu nennen, soweit hat er's an seinem fünfundzwanzigjährigen Jubiläum als Minister noch nicht gebracht. In der innern Politik vollends sei Fürst Bismarck nicht im entferntesten zu vergleichen mit einem Stein oder Hardenberg, "Ne einem Disraeli oder Gladstone oder einem Grafen Cavour, da der eigent¬ liche Lebensodem von Bismarcks innerer Politik „das Regieren mit mechanischen Gewaltmitteln" sei. Das war dcutschfreisiunige Sprache am 23. September 1887 (siehe Volkszeitung Ur. 222). Wenn auch nicht in dem Maße, aber immer noch stark genng, wütete in dieser Sprache die politische Naserei gegen die Freunde der Regierung. Als es ^eß, daß sich die Natioualliberalen mit den Konservativen über eine Verlängerung ^er Neichstagswahlperiode von drei auf fünf Jahre verständigt hätten, da ergoß Ach auf erstere eine Flut von fortschrittlichen Schmähungen. Die Volkszeitung ^om 21. September brachte einen Leitartikel „Der erste Sturm auf die Ber¬ ufung," worin sie durch die beabsichtigte Verlängerung der Gesetzgebungs- ^erivde die Axt an die Wurzel der Verfassung gelegt sah durch eine Mehrheit, ^ sie mit dem schönen Namen eines „Angstprodukts" schmückte, deren einziger Lebenszweck sei, „die Lasten des Volkes zu vermehren und die Rechte des Volkes 6u vermindern." Jetzt werde der Sturm auf die Verfassung an dem Wahl¬ rechte unternommen und das Volk da gezüchtigt, wo es gesündigt habe. Jetzt hätten die Wähler von Rechtswegen den Schaden dafür zu tragen, daß sie l'es hätten einreden lassen, „die zur großen Haupt- und Staatsaktion auf¬ geblähte Septennatsfrage sei nur um ihrer selbst willen da und nicht als eine Maske für allerlei reaktionäre Schändlichkeiten." Und das sagten diese Schwätzer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/315>, abgerufen am 22.07.2024.