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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

ein besseres Agitatiousmittel zu haben, als der Ruf: Weg mit dem Kaffcezoll!
Das ganze Verhalten der Freisinnigen in der Debatte über die Branntweiu-
steucrvvrlage zeigt den unwürdigen und lügenhaften Charakter der Partei. Seit
vielen Jahren, sobald andre Steuergesetze dem Reiche vorlagen, wies gerade
diese Partei darauf hiu, das; der Branntwein hinten wüsse. Mit dem Pathos
sittlicher Entrüstung, worin sie so Großes leisten, werfen sie dem Bundesrat
vor, er wolle nur aus Schonung der kartosfelbrcnnenden Großgrundbesitzer der
östlichen Provinzen den Branntwein nicht zur Steuererhöhung benutzen. Nun,
da er als Steuerobjekt zur Bestreitung unbedingt notwendiger Neichsausgaben
und zur Abstellung der Dcsizitwirtfchaft aufgestellt wurde, gingen die Frei¬
sinnigen mit den unwürdigsten Angriffen besonders gegen die Nativnalliberalen,
die an Lakaiengcsinnung das Äußerste leisten sollten, bis zu dem Grade von
Böswilligkeit vor, daß sie das Fuselöl für unschädlich erklärten. Und wie
sprachen sie! Zwischen Rickert und Richter und den Sozialdemokraten, die sich
in die Ehre teilten, die Branntweinsteucrvorlage zu bekämpfen, war so wenig
Unterschied, daß die drei in der gleichen Phraseologie des Agitators auf¬
gingen, einer Phraseologie, die in ihrer Leerheit und Blöße sich um so wider¬
wärtiger zeigte, je mehr die Redner der staatserhaltenden Parteien, sowohl die
Konservativen als die Nationcilliberalcn, mit der Beherrschung des Stoffes eine
überaus treffende und edle Sprache verbanden. Mirbachs und Mignels
Reden waren und wirkten überzeugend. Vom Zentrum stimmten nur wenige
mit Windthorst; dieser und seine Welsen standen mit Freisinn und Sozial-
demokraten in Gemeinschaft gegen die Vorlage. Aber die Mühle der Firma
Windthorst'Richter-Grillenbcrger konnte nnr noch mühsam klappern. Auf wen
soll auch noch, und wäre es der beschränkteste politische Verstand, eine solche
Gaukelei Eindruck machen! Das Reich bedarf ein Plus von achtzig bis neunzig
Millionen für seine Einnahmen; die mag es, wenn es nun einmal nicht anders
geht, ans dein Branntwein erhalten; dafür soll es aber fünfzig Millionen aus
dem Kaffee verlieren! Das sind keine Männer mehr, die solches Spiel treiben,
das sind Jungenstreiche. Eine ehrliche Partei, wenn sie einmal im Kampfe unter¬
legt, kann tröstlich zu sich sagen: "Wir sinken, mutige Fechter -- Ermattet im
heißen Strauß -- Es kommen neue Geschlechter -- Und fechten ihn ehrlich
aus." Aber den Störenfried weist jeder wohlmeinende Mann fort von seiner
Hausthür.

Die nationale Zuverlässigkeit des in diesen, Reichstage nun vollends welfisch-
Ullransigcnt-ultramontan gewordenen Freisinns trat in ihrer ganzen Glorie bei
der Debatte über den Gesetzentwurf von Elsaß-Lothringen betreffend die Er¬
kennung und Besoldung der Bürgermeister und Beigeordneten hervor. Der
Entwurf verlangte weiter nichts, als was bis zum 22. Juli 1870 geltende
französische Gemeindcgesetzgebung gewesen war. Von Seiten des Reichs kam
es darauf an, die Gefahr zu beseitigen, daß in den Gemeinderat die erbittertsten


Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

ein besseres Agitatiousmittel zu haben, als der Ruf: Weg mit dem Kaffcezoll!
Das ganze Verhalten der Freisinnigen in der Debatte über die Branntweiu-
steucrvvrlage zeigt den unwürdigen und lügenhaften Charakter der Partei. Seit
vielen Jahren, sobald andre Steuergesetze dem Reiche vorlagen, wies gerade
diese Partei darauf hiu, das; der Branntwein hinten wüsse. Mit dem Pathos
sittlicher Entrüstung, worin sie so Großes leisten, werfen sie dem Bundesrat
vor, er wolle nur aus Schonung der kartosfelbrcnnenden Großgrundbesitzer der
östlichen Provinzen den Branntwein nicht zur Steuererhöhung benutzen. Nun,
da er als Steuerobjekt zur Bestreitung unbedingt notwendiger Neichsausgaben
und zur Abstellung der Dcsizitwirtfchaft aufgestellt wurde, gingen die Frei¬
sinnigen mit den unwürdigsten Angriffen besonders gegen die Nativnalliberalen,
die an Lakaiengcsinnung das Äußerste leisten sollten, bis zu dem Grade von
Böswilligkeit vor, daß sie das Fuselöl für unschädlich erklärten. Und wie
sprachen sie! Zwischen Rickert und Richter und den Sozialdemokraten, die sich
in die Ehre teilten, die Branntweinsteucrvorlage zu bekämpfen, war so wenig
Unterschied, daß die drei in der gleichen Phraseologie des Agitators auf¬
gingen, einer Phraseologie, die in ihrer Leerheit und Blöße sich um so wider¬
wärtiger zeigte, je mehr die Redner der staatserhaltenden Parteien, sowohl die
Konservativen als die Nationcilliberalcn, mit der Beherrschung des Stoffes eine
überaus treffende und edle Sprache verbanden. Mirbachs und Mignels
Reden waren und wirkten überzeugend. Vom Zentrum stimmten nur wenige
mit Windthorst; dieser und seine Welsen standen mit Freisinn und Sozial-
demokraten in Gemeinschaft gegen die Vorlage. Aber die Mühle der Firma
Windthorst'Richter-Grillenbcrger konnte nnr noch mühsam klappern. Auf wen
soll auch noch, und wäre es der beschränkteste politische Verstand, eine solche
Gaukelei Eindruck machen! Das Reich bedarf ein Plus von achtzig bis neunzig
Millionen für seine Einnahmen; die mag es, wenn es nun einmal nicht anders
geht, ans dein Branntwein erhalten; dafür soll es aber fünfzig Millionen aus
dem Kaffee verlieren! Das sind keine Männer mehr, die solches Spiel treiben,
das sind Jungenstreiche. Eine ehrliche Partei, wenn sie einmal im Kampfe unter¬
legt, kann tröstlich zu sich sagen: „Wir sinken, mutige Fechter — Ermattet im
heißen Strauß — Es kommen neue Geschlechter — Und fechten ihn ehrlich
aus." Aber den Störenfried weist jeder wohlmeinende Mann fort von seiner
Hausthür.

Die nationale Zuverlässigkeit des in diesen, Reichstage nun vollends welfisch-
Ullransigcnt-ultramontan gewordenen Freisinns trat in ihrer ganzen Glorie bei
der Debatte über den Gesetzentwurf von Elsaß-Lothringen betreffend die Er¬
kennung und Besoldung der Bürgermeister und Beigeordneten hervor. Der
Entwurf verlangte weiter nichts, als was bis zum 22. Juli 1870 geltende
französische Gemeindcgesetzgebung gewesen war. Von Seiten des Reichs kam
es darauf an, die Gefahr zu beseitigen, daß in den Gemeinderat die erbittertsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/311>, abgerufen am 23.07.2024.