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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

im Wahlkampfe als Cartellbrüder der Reaktionären "mit blutigen Köpfen heini¬
geschickt zu werden." Nach den Wahlen gab dasselbe Organ für jedermann
aus dem Volke den deutschen Arbeiter für die "bürgerliche Demokratie" ver¬
loren, dagegen sollte sich Ersatz dafür in der arbeitenden Bevölkerung des
platten Landes bieten, "die keine grimmigeren Feinde habe als die, welche sich
so gern als ihre natürlichen Beschützer und Vormünder aufspielen."

So warf man nach verschiednen Seiten die Angel aus, aber ihr möglichstes
versuchten, wie gesagt, die Freisinnigen, um sich den vorher so verachteten und
mit Füßen getretenen Nationalliberalen als beste Freunde zu empfehlen. Sie
spekulirten auf jedes Anzeichen von einem möglicherweise eintretenden Nisse der
regierungsfreundlichen Parteien. Man wollte gar zu gern die Nationalliberaleii
herübertönten. "Wir hoffen -- schrieb Herrn Hänels Blatt am 29. März --,
daß die gegenseitige Anziehungskraft (des Zentrums und der Konservativen) alle
Hindernisse überwinden und schließlich zu einer Verschmelzung führen wird.
Erst wenn das geschehen wird, haben wir eine Hoffnung, daß anch die liberalen
Kräfte im Parlament sich wieder zu planvollen Wirken zusammenfinden. Daß
dies schließlich geschehen wird, bezweifeln wir nicht einen Augenblick." Die
Nationalliberalen werden gegenüber solchen Lockrufen zur Bildung der "großen
liberalen Partei" daran denken müssen, daß "die gegenseitige Anziehungskraft"
zwischen Zentrum und Freisinn bisher noch ein gut Teil stärker gewesen ist,
als zwischen Zentrum und Konservativen, und zwar ganz naturgemäß, da "das
planvolle Wirken" derer vom Fortschritt vor allem darin bestand, das Wirken
des Reichskanzlers unwirksam zu machen. Auch wehte, nachdem die National¬
liberalen sich wohl gehütet hatten, sich aufs neue umgarnen zu lassen, gar bald
eine ganz andre Luft. Wenn verlautete, daß eine Anzahl derselben der Be¬
seitigung des Sozialistengesetzes unter entsprechender Verschärfung der Preß-,
Vereins- und Strafgesetzgebung geneigt sei, so konnte man deshalb wohl er¬
warten, auch die Freisinnigen mit für den Plan eintreten zu sehen, weil Herr
Hänel als Vertreter der Fortschrittspartei dereinst bei der ersten Beratung des
Sozialistengesetzes erklärt hatte, lieber eine Verschärfung des gemeinen Rechts,
als ein Ausnahmegesetz gegen die arbeitenden Klassen in Kauf nehmen zu wollen,
und einen dahin gehenden Antrag gestellt hatte. Wenn jetzt nun von national-
liberaler Seite dieses "Ziel der Zukunft" ins Ange gefaßt wurde, so sieht der
edle Fortschritt nach der Volkszeitung vom 27. September darin einen Beweis,
"wie sehr jede auch aus ehrenwerten Absichten entspringende Berührung mit
dieser Gesellschaft vermieden werden muß."

Hatte der Fortschritt nicht lange vorher in den Klagegesang Windthorsts
mit eingestimmt über Erweiterung der Macht des Staates, so wurde nun zur
Abwechslung die Aussöhnung mit dem Papste als Stärkung der katholischen
Kirche bejammert. Daß diese Stärkung auf das Konto des Fortschritts zu
schreiben ist, kommt den freisinnigen Herren gar nicht in den Sinn. "Durch


Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession.

im Wahlkampfe als Cartellbrüder der Reaktionären „mit blutigen Köpfen heini¬
geschickt zu werden." Nach den Wahlen gab dasselbe Organ für jedermann
aus dem Volke den deutschen Arbeiter für die „bürgerliche Demokratie" ver¬
loren, dagegen sollte sich Ersatz dafür in der arbeitenden Bevölkerung des
platten Landes bieten, „die keine grimmigeren Feinde habe als die, welche sich
so gern als ihre natürlichen Beschützer und Vormünder aufspielen."

So warf man nach verschiednen Seiten die Angel aus, aber ihr möglichstes
versuchten, wie gesagt, die Freisinnigen, um sich den vorher so verachteten und
mit Füßen getretenen Nationalliberalen als beste Freunde zu empfehlen. Sie
spekulirten auf jedes Anzeichen von einem möglicherweise eintretenden Nisse der
regierungsfreundlichen Parteien. Man wollte gar zu gern die Nationalliberaleii
herübertönten. „Wir hoffen — schrieb Herrn Hänels Blatt am 29. März —,
daß die gegenseitige Anziehungskraft (des Zentrums und der Konservativen) alle
Hindernisse überwinden und schließlich zu einer Verschmelzung führen wird.
Erst wenn das geschehen wird, haben wir eine Hoffnung, daß anch die liberalen
Kräfte im Parlament sich wieder zu planvollen Wirken zusammenfinden. Daß
dies schließlich geschehen wird, bezweifeln wir nicht einen Augenblick." Die
Nationalliberalen werden gegenüber solchen Lockrufen zur Bildung der „großen
liberalen Partei" daran denken müssen, daß „die gegenseitige Anziehungskraft"
zwischen Zentrum und Freisinn bisher noch ein gut Teil stärker gewesen ist,
als zwischen Zentrum und Konservativen, und zwar ganz naturgemäß, da „das
planvolle Wirken" derer vom Fortschritt vor allem darin bestand, das Wirken
des Reichskanzlers unwirksam zu machen. Auch wehte, nachdem die National¬
liberalen sich wohl gehütet hatten, sich aufs neue umgarnen zu lassen, gar bald
eine ganz andre Luft. Wenn verlautete, daß eine Anzahl derselben der Be¬
seitigung des Sozialistengesetzes unter entsprechender Verschärfung der Preß-,
Vereins- und Strafgesetzgebung geneigt sei, so konnte man deshalb wohl er¬
warten, auch die Freisinnigen mit für den Plan eintreten zu sehen, weil Herr
Hänel als Vertreter der Fortschrittspartei dereinst bei der ersten Beratung des
Sozialistengesetzes erklärt hatte, lieber eine Verschärfung des gemeinen Rechts,
als ein Ausnahmegesetz gegen die arbeitenden Klassen in Kauf nehmen zu wollen,
und einen dahin gehenden Antrag gestellt hatte. Wenn jetzt nun von national-
liberaler Seite dieses „Ziel der Zukunft" ins Ange gefaßt wurde, so sieht der
edle Fortschritt nach der Volkszeitung vom 27. September darin einen Beweis,
„wie sehr jede auch aus ehrenwerten Absichten entspringende Berührung mit
dieser Gesellschaft vermieden werden muß."

Hatte der Fortschritt nicht lange vorher in den Klagegesang Windthorsts
mit eingestimmt über Erweiterung der Macht des Staates, so wurde nun zur
Abwechslung die Aussöhnung mit dem Papste als Stärkung der katholischen
Kirche bejammert. Daß diese Stärkung auf das Konto des Fortschritts zu
schreiben ist, kommt den freisinnigen Herren gar nicht in den Sinn. „Durch


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[0308] Die Opposition während und nach der letzten Reichstagssession. im Wahlkampfe als Cartellbrüder der Reaktionären „mit blutigen Köpfen heini¬ geschickt zu werden." Nach den Wahlen gab dasselbe Organ für jedermann aus dem Volke den deutschen Arbeiter für die „bürgerliche Demokratie" ver¬ loren, dagegen sollte sich Ersatz dafür in der arbeitenden Bevölkerung des platten Landes bieten, „die keine grimmigeren Feinde habe als die, welche sich so gern als ihre natürlichen Beschützer und Vormünder aufspielen." So warf man nach verschiednen Seiten die Angel aus, aber ihr möglichstes versuchten, wie gesagt, die Freisinnigen, um sich den vorher so verachteten und mit Füßen getretenen Nationalliberalen als beste Freunde zu empfehlen. Sie spekulirten auf jedes Anzeichen von einem möglicherweise eintretenden Nisse der regierungsfreundlichen Parteien. Man wollte gar zu gern die Nationalliberaleii herübertönten. „Wir hoffen — schrieb Herrn Hänels Blatt am 29. März —, daß die gegenseitige Anziehungskraft (des Zentrums und der Konservativen) alle Hindernisse überwinden und schließlich zu einer Verschmelzung führen wird. Erst wenn das geschehen wird, haben wir eine Hoffnung, daß anch die liberalen Kräfte im Parlament sich wieder zu planvollen Wirken zusammenfinden. Daß dies schließlich geschehen wird, bezweifeln wir nicht einen Augenblick." Die Nationalliberalen werden gegenüber solchen Lockrufen zur Bildung der „großen liberalen Partei" daran denken müssen, daß „die gegenseitige Anziehungskraft" zwischen Zentrum und Freisinn bisher noch ein gut Teil stärker gewesen ist, als zwischen Zentrum und Konservativen, und zwar ganz naturgemäß, da „das planvolle Wirken" derer vom Fortschritt vor allem darin bestand, das Wirken des Reichskanzlers unwirksam zu machen. Auch wehte, nachdem die National¬ liberalen sich wohl gehütet hatten, sich aufs neue umgarnen zu lassen, gar bald eine ganz andre Luft. Wenn verlautete, daß eine Anzahl derselben der Be¬ seitigung des Sozialistengesetzes unter entsprechender Verschärfung der Preß-, Vereins- und Strafgesetzgebung geneigt sei, so konnte man deshalb wohl er¬ warten, auch die Freisinnigen mit für den Plan eintreten zu sehen, weil Herr Hänel als Vertreter der Fortschrittspartei dereinst bei der ersten Beratung des Sozialistengesetzes erklärt hatte, lieber eine Verschärfung des gemeinen Rechts, als ein Ausnahmegesetz gegen die arbeitenden Klassen in Kauf nehmen zu wollen, und einen dahin gehenden Antrag gestellt hatte. Wenn jetzt nun von national- liberaler Seite dieses „Ziel der Zukunft" ins Ange gefaßt wurde, so sieht der edle Fortschritt nach der Volkszeitung vom 27. September darin einen Beweis, „wie sehr jede auch aus ehrenwerten Absichten entspringende Berührung mit dieser Gesellschaft vermieden werden muß." Hatte der Fortschritt nicht lange vorher in den Klagegesang Windthorsts mit eingestimmt über Erweiterung der Macht des Staates, so wurde nun zur Abwechslung die Aussöhnung mit dem Papste als Stärkung der katholischen Kirche bejammert. Daß diese Stärkung auf das Konto des Fortschritts zu schreiben ist, kommt den freisinnigen Herren gar nicht in den Sinn. „Durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/308>, abgerufen am 22.07.2024.