Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Kleinere Mitteilungen. zelne kaum dem Knabenalter entwachsen schienen, drehten sich langsam um sich, Unser Freund meinte, daß er, um Verrückte zu sehen, nicht erst nach Kleinere Mitteilungen. Fortschrittliche Ideale. Die Tagesblätter bringen die Palm odie des Ab¬ Kleinere Mitteilungen. zelne kaum dem Knabenalter entwachsen schienen, drehten sich langsam um sich, Unser Freund meinte, daß er, um Verrückte zu sehen, nicht erst nach Kleinere Mitteilungen. Fortschrittliche Ideale. Die Tagesblätter bringen die Palm odie des Ab¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201728"/> <fw type="header" place="top"> Kleinere Mitteilungen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_677" prev="#ID_676"> zelne kaum dem Knabenalter entwachsen schienen, drehten sich langsam um sich,<lb/> indem sie gleichzeitig sich in? Kreise fortbewegten. Die Augen haben sie ge¬<lb/> schlossen, sei es zum Zeichen innerer Verzückung oder — was wahrscheinlicher<lb/> ist — um nicht vom Schwindel erfaßt zu werden; die Arme halten sie aus¬<lb/> gestreckt, wobei sie die eine Hand nach unten, die andre nach oben öffnen. Auch<lb/> dieser Wirbeltanz mochte eine Stunde dauern, am Ende schlössen sie einen Kreis,<lb/> worauf einer eine lauge Rede hielt, welche das anwesende Volk mit Andacht<lb/> anhörte, dann knieten alle nieder, riefen: KM und verloren sich in die Zellen<lb/> ihres Klosters. Das sind die Derwische, welche zu dem Orden der Mevlevi<lb/> gehören; es sind Anhänger des Sufismus. deren Streben in einer Ver¬<lb/> geistigung der islamitischen Religion besteht und die viele Berührungspunkte mit<lb/> den Pessimisten haben. So also sieht die ideale Seite des Mohammedanismus<lb/> aus, die euch wohl die Lust benehmen wird, Bekanntschaft mit den realeren<lb/> Teilen zu macheu. Der Eindruck, den alle diese merkwürdigen Übungen auf<lb/> das Volk machen, läßt sich schwer beschreiben; der Orientale sitzt unbeweglich<lb/> mit uutergekreuzten Beinen da, sieht sich alles genau an und verzieht keine<lb/> Miene; nur wo gewisse Anrufungen Gottes oder des Propheten umkommen,<lb/> spricht er die üblichen Segeusformeln nach.</p><lb/> <p xml:id="ID_678"> Unser Freund meinte, daß er, um Verrückte zu sehen, nicht erst nach<lb/> Stambul zu reisen brauche, das hätte er in Dalldorf näher; er lehnte es ab,<lb/> Scheußlichkeiten dieser Art zum Gegenstände philosophischer Erörterungen zu<lb/> macheu, da er glaubt, daß die Philosophie da aufhöre, wo die Pathologie<lb/> anfängt. (Fortsetzung folgt.,</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Kleinere Mitteilungen.</head><lb/> <div n="2"> <head> Fortschrittliche Ideale.</head> <p xml:id="ID_679" next="#ID_680"> Die Tagesblätter bringen die Palm odie des Ab¬<lb/> geordneten Ludwig Bamberger gegen seine früher ausgesprochene Ansicht betreffs<lb/> der Verlängerung der Wahlperioden von drei auf fünf Jahre. Der Vorwarf der<lb/> Inkonsequenz, gegen welchen sich der Redner verteidigt, wird schwerlich und vielen,<lb/> Nachdruck gegen ihn geltend gemacht werden; denn er nimmt mit Recht für sich<lb/> N'le für jeden im öffentlichen Leben stehenden Mann das Recht in Anspruch, sich<lb/> durch gute Gründe von einer früher gehegten Meinung abbringen zu lassen. Aber<lb/> das, was uns höchst seltsam erscheint, sind eben die Gründe. Herr Bamberger<lb/> sagt nämlich: „Ich bin noch heute wie vor dreizehn Jahren der Meinung, daß<lb/> drei Jahre zu kurz und fünf eine gute Frist sind. Aber ich werde dennoch gegen<lb/> den Antrag auf die Einführung der fünf Jahre stimmen, und zwar nicht etwa<lb/> bloß aus Parteidiszipliu, obwohl man das in einer bloßen Zahlenfrage auch zu</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Kleinere Mitteilungen.
zelne kaum dem Knabenalter entwachsen schienen, drehten sich langsam um sich,
indem sie gleichzeitig sich in? Kreise fortbewegten. Die Augen haben sie ge¬
schlossen, sei es zum Zeichen innerer Verzückung oder — was wahrscheinlicher
ist — um nicht vom Schwindel erfaßt zu werden; die Arme halten sie aus¬
gestreckt, wobei sie die eine Hand nach unten, die andre nach oben öffnen. Auch
dieser Wirbeltanz mochte eine Stunde dauern, am Ende schlössen sie einen Kreis,
worauf einer eine lauge Rede hielt, welche das anwesende Volk mit Andacht
anhörte, dann knieten alle nieder, riefen: KM und verloren sich in die Zellen
ihres Klosters. Das sind die Derwische, welche zu dem Orden der Mevlevi
gehören; es sind Anhänger des Sufismus. deren Streben in einer Ver¬
geistigung der islamitischen Religion besteht und die viele Berührungspunkte mit
den Pessimisten haben. So also sieht die ideale Seite des Mohammedanismus
aus, die euch wohl die Lust benehmen wird, Bekanntschaft mit den realeren
Teilen zu macheu. Der Eindruck, den alle diese merkwürdigen Übungen auf
das Volk machen, läßt sich schwer beschreiben; der Orientale sitzt unbeweglich
mit uutergekreuzten Beinen da, sieht sich alles genau an und verzieht keine
Miene; nur wo gewisse Anrufungen Gottes oder des Propheten umkommen,
spricht er die üblichen Segeusformeln nach.
Unser Freund meinte, daß er, um Verrückte zu sehen, nicht erst nach
Stambul zu reisen brauche, das hätte er in Dalldorf näher; er lehnte es ab,
Scheußlichkeiten dieser Art zum Gegenstände philosophischer Erörterungen zu
macheu, da er glaubt, daß die Philosophie da aufhöre, wo die Pathologie
anfängt. (Fortsetzung folgt.,
Kleinere Mitteilungen.
Fortschrittliche Ideale. Die Tagesblätter bringen die Palm odie des Ab¬
geordneten Ludwig Bamberger gegen seine früher ausgesprochene Ansicht betreffs
der Verlängerung der Wahlperioden von drei auf fünf Jahre. Der Vorwarf der
Inkonsequenz, gegen welchen sich der Redner verteidigt, wird schwerlich und vielen,
Nachdruck gegen ihn geltend gemacht werden; denn er nimmt mit Recht für sich
N'le für jeden im öffentlichen Leben stehenden Mann das Recht in Anspruch, sich
durch gute Gründe von einer früher gehegten Meinung abbringen zu lassen. Aber
das, was uns höchst seltsam erscheint, sind eben die Gründe. Herr Bamberger
sagt nämlich: „Ich bin noch heute wie vor dreizehn Jahren der Meinung, daß
drei Jahre zu kurz und fünf eine gute Frist sind. Aber ich werde dennoch gegen
den Antrag auf die Einführung der fünf Jahre stimmen, und zwar nicht etwa
bloß aus Parteidiszipliu, obwohl man das in einer bloßen Zahlenfrage auch zu
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