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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Neue Dramen.

Conrad gesprochen wurde. Eine baierisch-patriotische Spitze ergab sich bei
diesem Stoffe von selbst, denn aus jener Heirat von Kindern zweier sich be¬
fehdenden Fürstenhäuser entstammte Agnes, die Gattin Ottos des Erlauchten
von Wittelsbach. In zarter poetischer Weise ist auch schon im "Löwen" ein
Lob Münchens und des ersten Fürsten des Landes aus dem Geschlechte der
Wittelsbcicher eingeflochten. So erscheinen einzelne Gestalten des ersten Schau¬
spiels im zweiten wieder, dessen Handlung dreizehn Jahre später (1194) sich
abspielt: der inzwischen ergraute Heinrich der Löwe, seine Getreuen, Gunzelin
und Wölpe. Es erscheint wieder der streberhafte Pfalzgraf Conrad bei Rhein,
dessen Tochter Agnes mit der Leidenschaft einer Julia Capulet, deren Schicksal
auch dem ihrigen so ähnelt, ihren Romeo, Heinrich von Braunschweig liebt,
übrigens eine Geschichte, die schon öfter von den Dichtern behandelt worden ist,
zuletzt von Franz Nissel. Sie wird verwickelt durch die Werbung des Königs
Karl von Frankreich um die Hand der staufischen Fürstentochter Agnes, obgleich
er zu Recht mit Ingeborg, der Tochter Waldemars von Dünemark, vermählt
ist; aus politischen Motiven will er sich der ungeliebten Dame entledigen, um
mit dem mächtigen deutschen Kaiserhause verbündet zu werden. Nicht mehr der
große Barbarossa ist Herrscher im heiligen römischen Reiche: er starb inzwischen
auf dem Kreuzzuge beim Baden in einem kalten Muffe. Sein Sohn Heinrich,
in dem der alte Staufenhaß gegen die Welsen wieder ausgelebt ist, ein herrsch¬
süchtiger, in seinen Mitteln nicht eben wählerischer, eitler und rachsüchtiger
Mann ist ihm unebenbürtig in der Würde nachgefolgt. Er unterstützt die
Werbung des Franken um Agnes, auch aus selbstsüchtig politischen Gründen.
Agnes jedoch weiß mit ihrem Heinrich, mit der Unterstützung ihrer Mutter,
mit derjenigen des Bischofs Burkhard von Worms und mit Hilfe eines wunder¬
baren Zufalls alle Hindernisse zu besiegen und das anerkannte Weib ihres von
Jugend auf geliebten Erziehungsgenossen Heinrich zu werden. Eben dieser
Zufall, ein wesentlich episches Motiv, das aber den Angelpunkt der Handlung
bildet und einen nicht recht glaublichen Umschlag in den Charakteren des wahr¬
haft bösen Pfalzgrafen Conrad und des Kaisers Heinrich hervorbringt, scheint
uns die Achillesferse des an Schönheiten sonst reichen Stückes zu sein. Der
Pfalzgraf ist nämlich über die Liebe seiner Tochter zu Heinrich und die hinter
seinem Rücken kirchlich abgeschlossene Ehe so wütend, daß er Agnes selbst in den
Kerker schickt, in die Pfalz im Rhein, und allen Ernstes entschlossen ist, sie
durch Henkershand richten zu lassen. Schon ist er mit den Knechten in
einer stürmischen Nacht auf dem Rhein, um das wahnsinnige Urteil voll¬
strecken zu lassen, da schlägt das Boot um, die Knechte versinken für immer,
ihn selbst rettet nur die ritterliche Menschenliebe des jungen Heinrich, der
eben kurz vorher auf demselben Wege zu Agnes gekommen war und sich
-- ohne zu wissen, wer untersank -- in die Wellen warf, den mit den
Unter ringenden Mann zu retten. Der ohnmächtige, von Wasser triefende


Neue Dramen.

Conrad gesprochen wurde. Eine baierisch-patriotische Spitze ergab sich bei
diesem Stoffe von selbst, denn aus jener Heirat von Kindern zweier sich be¬
fehdenden Fürstenhäuser entstammte Agnes, die Gattin Ottos des Erlauchten
von Wittelsbach. In zarter poetischer Weise ist auch schon im „Löwen" ein
Lob Münchens und des ersten Fürsten des Landes aus dem Geschlechte der
Wittelsbcicher eingeflochten. So erscheinen einzelne Gestalten des ersten Schau¬
spiels im zweiten wieder, dessen Handlung dreizehn Jahre später (1194) sich
abspielt: der inzwischen ergraute Heinrich der Löwe, seine Getreuen, Gunzelin
und Wölpe. Es erscheint wieder der streberhafte Pfalzgraf Conrad bei Rhein,
dessen Tochter Agnes mit der Leidenschaft einer Julia Capulet, deren Schicksal
auch dem ihrigen so ähnelt, ihren Romeo, Heinrich von Braunschweig liebt,
übrigens eine Geschichte, die schon öfter von den Dichtern behandelt worden ist,
zuletzt von Franz Nissel. Sie wird verwickelt durch die Werbung des Königs
Karl von Frankreich um die Hand der staufischen Fürstentochter Agnes, obgleich
er zu Recht mit Ingeborg, der Tochter Waldemars von Dünemark, vermählt
ist; aus politischen Motiven will er sich der ungeliebten Dame entledigen, um
mit dem mächtigen deutschen Kaiserhause verbündet zu werden. Nicht mehr der
große Barbarossa ist Herrscher im heiligen römischen Reiche: er starb inzwischen
auf dem Kreuzzuge beim Baden in einem kalten Muffe. Sein Sohn Heinrich,
in dem der alte Staufenhaß gegen die Welsen wieder ausgelebt ist, ein herrsch¬
süchtiger, in seinen Mitteln nicht eben wählerischer, eitler und rachsüchtiger
Mann ist ihm unebenbürtig in der Würde nachgefolgt. Er unterstützt die
Werbung des Franken um Agnes, auch aus selbstsüchtig politischen Gründen.
Agnes jedoch weiß mit ihrem Heinrich, mit der Unterstützung ihrer Mutter,
mit derjenigen des Bischofs Burkhard von Worms und mit Hilfe eines wunder¬
baren Zufalls alle Hindernisse zu besiegen und das anerkannte Weib ihres von
Jugend auf geliebten Erziehungsgenossen Heinrich zu werden. Eben dieser
Zufall, ein wesentlich episches Motiv, das aber den Angelpunkt der Handlung
bildet und einen nicht recht glaublichen Umschlag in den Charakteren des wahr¬
haft bösen Pfalzgrafen Conrad und des Kaisers Heinrich hervorbringt, scheint
uns die Achillesferse des an Schönheiten sonst reichen Stückes zu sein. Der
Pfalzgraf ist nämlich über die Liebe seiner Tochter zu Heinrich und die hinter
seinem Rücken kirchlich abgeschlossene Ehe so wütend, daß er Agnes selbst in den
Kerker schickt, in die Pfalz im Rhein, und allen Ernstes entschlossen ist, sie
durch Henkershand richten zu lassen. Schon ist er mit den Knechten in
einer stürmischen Nacht auf dem Rhein, um das wahnsinnige Urteil voll¬
strecken zu lassen, da schlägt das Boot um, die Knechte versinken für immer,
ihn selbst rettet nur die ritterliche Menschenliebe des jungen Heinrich, der
eben kurz vorher auf demselben Wege zu Agnes gekommen war und sich
— ohne zu wissen, wer untersank — in die Wellen warf, den mit den
Unter ringenden Mann zu retten. Der ohnmächtige, von Wasser triefende


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[0285] Neue Dramen. Conrad gesprochen wurde. Eine baierisch-patriotische Spitze ergab sich bei diesem Stoffe von selbst, denn aus jener Heirat von Kindern zweier sich be¬ fehdenden Fürstenhäuser entstammte Agnes, die Gattin Ottos des Erlauchten von Wittelsbach. In zarter poetischer Weise ist auch schon im „Löwen" ein Lob Münchens und des ersten Fürsten des Landes aus dem Geschlechte der Wittelsbcicher eingeflochten. So erscheinen einzelne Gestalten des ersten Schau¬ spiels im zweiten wieder, dessen Handlung dreizehn Jahre später (1194) sich abspielt: der inzwischen ergraute Heinrich der Löwe, seine Getreuen, Gunzelin und Wölpe. Es erscheint wieder der streberhafte Pfalzgraf Conrad bei Rhein, dessen Tochter Agnes mit der Leidenschaft einer Julia Capulet, deren Schicksal auch dem ihrigen so ähnelt, ihren Romeo, Heinrich von Braunschweig liebt, übrigens eine Geschichte, die schon öfter von den Dichtern behandelt worden ist, zuletzt von Franz Nissel. Sie wird verwickelt durch die Werbung des Königs Karl von Frankreich um die Hand der staufischen Fürstentochter Agnes, obgleich er zu Recht mit Ingeborg, der Tochter Waldemars von Dünemark, vermählt ist; aus politischen Motiven will er sich der ungeliebten Dame entledigen, um mit dem mächtigen deutschen Kaiserhause verbündet zu werden. Nicht mehr der große Barbarossa ist Herrscher im heiligen römischen Reiche: er starb inzwischen auf dem Kreuzzuge beim Baden in einem kalten Muffe. Sein Sohn Heinrich, in dem der alte Staufenhaß gegen die Welsen wieder ausgelebt ist, ein herrsch¬ süchtiger, in seinen Mitteln nicht eben wählerischer, eitler und rachsüchtiger Mann ist ihm unebenbürtig in der Würde nachgefolgt. Er unterstützt die Werbung des Franken um Agnes, auch aus selbstsüchtig politischen Gründen. Agnes jedoch weiß mit ihrem Heinrich, mit der Unterstützung ihrer Mutter, mit derjenigen des Bischofs Burkhard von Worms und mit Hilfe eines wunder¬ baren Zufalls alle Hindernisse zu besiegen und das anerkannte Weib ihres von Jugend auf geliebten Erziehungsgenossen Heinrich zu werden. Eben dieser Zufall, ein wesentlich episches Motiv, das aber den Angelpunkt der Handlung bildet und einen nicht recht glaublichen Umschlag in den Charakteren des wahr¬ haft bösen Pfalzgrafen Conrad und des Kaisers Heinrich hervorbringt, scheint uns die Achillesferse des an Schönheiten sonst reichen Stückes zu sein. Der Pfalzgraf ist nämlich über die Liebe seiner Tochter zu Heinrich und die hinter seinem Rücken kirchlich abgeschlossene Ehe so wütend, daß er Agnes selbst in den Kerker schickt, in die Pfalz im Rhein, und allen Ernstes entschlossen ist, sie durch Henkershand richten zu lassen. Schon ist er mit den Knechten in einer stürmischen Nacht auf dem Rhein, um das wahnsinnige Urteil voll¬ strecken zu lassen, da schlägt das Boot um, die Knechte versinken für immer, ihn selbst rettet nur die ritterliche Menschenliebe des jungen Heinrich, der eben kurz vorher auf demselben Wege zu Agnes gekommen war und sich — ohne zu wissen, wer untersank — in die Wellen warf, den mit den Unter ringenden Mann zu retten. Der ohnmächtige, von Wasser triefende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/285>, abgerufen am 22.07.2024.