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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Neue Dramen.

Mcirfisa ist mit der Leiche Reinholds im Bodensee versunken -- eine wohl¬
gemeinte historische Symbolik.

Ein Schauspiel im breiten massigen Stile Shakespearescher Historien, in
dem es auch viel zu schauen giebt, wozu die auf ein weites geographisches
Gebiet (zwischen Pavia und der Lüneburger Haide) verteilte Szenerie allein
schon Gelegenheit giebt, ist Martin Greiff fünfaktiges Drama Heinrich der
Löwe (Stuttgart, Cotta, 1887). Den altererbter Gegensatz zwischen Staufen
und Welsen hat Greif in dem Streite zwischen dem sagenverklärten Kaiser
Friedrich Barbarossa und den, glänzenden Herzog der Sachsen und Baiern,
Heinrich dem Löwen von Braunschweig, in deu Hintergrund seines Dramas ge¬
schoben, jener Gegensatz dient nur dazu, im Blute liegende welfische Treulosigkeit
überhaupt anzudeuten. Dagegen hat Greif, seiner, wie es in der Lyrik sich zeigt,
dem Meister Uhland verwandten poetischen nennr gemäß, die sittliche Idee der
Freundestreue, deren Zwang noch durch die Vasallen- und Vaterlandspflicht
verstärkt wird, zum eigentlichen Motiv seiner gestaltenreichen Dichtung gemacht.
Er hat im Kaiser Friedrich Barbarossa und in seinem Gegner Heinrich zwei
große, lebensvoll heraustretende, dabei durchans einfache Mannesgcstalten ge¬
schaffen, die, vielleicht nicht zum Vorteil der einheitlichen Wirkung des ganzen
Schauspiels, um das Interesse des Zuschauers mit einander wetteifern; nachdem
der Löwe ausgespielt hat, nimmt der Kaiser unsre Teilnahme übermächtig in
Anspruch. Der Herzog wird als ein heißblütiger, rasch auffahrender, seines
Wertes sich wohl bewußter Kriegsherr hingestellt. Er hat sich unleugbar große
Verdienste um Kaiser und Reich erworben; er hat jenem einmal in der Schlacht
das Leben gerettet, er hat diesem zum Heil die Wenden besiegt, in Italien oft
das Kriegsglück entschieden. Friedrich II., sein Jugendfreund und auch durch
seine welfische Gattin Beatrix mit ihm verschwägert, eine wahrhaft königliche
Na>tur, zum Herrschen berufen, sparte nicht mit Dank und Auszeichnungen:
H^zog Heinrich ist der mächtigste Vasall im Reiche geworden. Aber je mehr
Macht er in seiner Hand vereinigte, umso ländergieriger, umso stolzer wurde
er, und sein hitziges Naturell faßte leicht Argwohn selbst gegen die wahrhaft
redliche, offene Seele des befreundeten Staufenkaisers. Als dessen junger Sohn
Heinrich von allen Großen des Reiches zum deutschen König erwählt wird, da
verweigert ihm der Löwe seine Stimme, und Kaiser Barbarossa muß sich zu
spät sagen: "Den Mann haben wir zu groß gemacht!" Aber er ist in Not,
er bedarf um jeden Preis der Unterstützung des Baiernherzogs. In diesem hat
jedoch das Mißtrauen gegen die Aufrichtigkeit des Kaisers schon so tiefe Wurzeln
gefaßt -- obgleich er sich mit eignen Auge" von der guten Absicht desselben
hätte überzeugen können an dem Benehmen des Herzogs Wels, seines Agnaten --,
Heinrichs Stolz und Ehrgeiz sind überdies so mächtig geworden, daß er seiner
Treuepflicht und des schuldigen Vasallengehorsams vergißt und den Kaiser mitten
w der größten Bedrängnis im Stiche läßt. Aber Hochmut kommt vor dem


Neue Dramen.

Mcirfisa ist mit der Leiche Reinholds im Bodensee versunken — eine wohl¬
gemeinte historische Symbolik.

Ein Schauspiel im breiten massigen Stile Shakespearescher Historien, in
dem es auch viel zu schauen giebt, wozu die auf ein weites geographisches
Gebiet (zwischen Pavia und der Lüneburger Haide) verteilte Szenerie allein
schon Gelegenheit giebt, ist Martin Greiff fünfaktiges Drama Heinrich der
Löwe (Stuttgart, Cotta, 1887). Den altererbter Gegensatz zwischen Staufen
und Welsen hat Greif in dem Streite zwischen dem sagenverklärten Kaiser
Friedrich Barbarossa und den, glänzenden Herzog der Sachsen und Baiern,
Heinrich dem Löwen von Braunschweig, in deu Hintergrund seines Dramas ge¬
schoben, jener Gegensatz dient nur dazu, im Blute liegende welfische Treulosigkeit
überhaupt anzudeuten. Dagegen hat Greif, seiner, wie es in der Lyrik sich zeigt,
dem Meister Uhland verwandten poetischen nennr gemäß, die sittliche Idee der
Freundestreue, deren Zwang noch durch die Vasallen- und Vaterlandspflicht
verstärkt wird, zum eigentlichen Motiv seiner gestaltenreichen Dichtung gemacht.
Er hat im Kaiser Friedrich Barbarossa und in seinem Gegner Heinrich zwei
große, lebensvoll heraustretende, dabei durchans einfache Mannesgcstalten ge¬
schaffen, die, vielleicht nicht zum Vorteil der einheitlichen Wirkung des ganzen
Schauspiels, um das Interesse des Zuschauers mit einander wetteifern; nachdem
der Löwe ausgespielt hat, nimmt der Kaiser unsre Teilnahme übermächtig in
Anspruch. Der Herzog wird als ein heißblütiger, rasch auffahrender, seines
Wertes sich wohl bewußter Kriegsherr hingestellt. Er hat sich unleugbar große
Verdienste um Kaiser und Reich erworben; er hat jenem einmal in der Schlacht
das Leben gerettet, er hat diesem zum Heil die Wenden besiegt, in Italien oft
das Kriegsglück entschieden. Friedrich II., sein Jugendfreund und auch durch
seine welfische Gattin Beatrix mit ihm verschwägert, eine wahrhaft königliche
Na>tur, zum Herrschen berufen, sparte nicht mit Dank und Auszeichnungen:
H^zog Heinrich ist der mächtigste Vasall im Reiche geworden. Aber je mehr
Macht er in seiner Hand vereinigte, umso ländergieriger, umso stolzer wurde
er, und sein hitziges Naturell faßte leicht Argwohn selbst gegen die wahrhaft
redliche, offene Seele des befreundeten Staufenkaisers. Als dessen junger Sohn
Heinrich von allen Großen des Reiches zum deutschen König erwählt wird, da
verweigert ihm der Löwe seine Stimme, und Kaiser Barbarossa muß sich zu
spät sagen: „Den Mann haben wir zu groß gemacht!" Aber er ist in Not,
er bedarf um jeden Preis der Unterstützung des Baiernherzogs. In diesem hat
jedoch das Mißtrauen gegen die Aufrichtigkeit des Kaisers schon so tiefe Wurzeln
gefaßt — obgleich er sich mit eignen Auge» von der guten Absicht desselben
hätte überzeugen können an dem Benehmen des Herzogs Wels, seines Agnaten —,
Heinrichs Stolz und Ehrgeiz sind überdies so mächtig geworden, daß er seiner
Treuepflicht und des schuldigen Vasallengehorsams vergißt und den Kaiser mitten
w der größten Bedrängnis im Stiche läßt. Aber Hochmut kommt vor dem


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[0283] Neue Dramen. Mcirfisa ist mit der Leiche Reinholds im Bodensee versunken — eine wohl¬ gemeinte historische Symbolik. Ein Schauspiel im breiten massigen Stile Shakespearescher Historien, in dem es auch viel zu schauen giebt, wozu die auf ein weites geographisches Gebiet (zwischen Pavia und der Lüneburger Haide) verteilte Szenerie allein schon Gelegenheit giebt, ist Martin Greiff fünfaktiges Drama Heinrich der Löwe (Stuttgart, Cotta, 1887). Den altererbter Gegensatz zwischen Staufen und Welsen hat Greif in dem Streite zwischen dem sagenverklärten Kaiser Friedrich Barbarossa und den, glänzenden Herzog der Sachsen und Baiern, Heinrich dem Löwen von Braunschweig, in deu Hintergrund seines Dramas ge¬ schoben, jener Gegensatz dient nur dazu, im Blute liegende welfische Treulosigkeit überhaupt anzudeuten. Dagegen hat Greif, seiner, wie es in der Lyrik sich zeigt, dem Meister Uhland verwandten poetischen nennr gemäß, die sittliche Idee der Freundestreue, deren Zwang noch durch die Vasallen- und Vaterlandspflicht verstärkt wird, zum eigentlichen Motiv seiner gestaltenreichen Dichtung gemacht. Er hat im Kaiser Friedrich Barbarossa und in seinem Gegner Heinrich zwei große, lebensvoll heraustretende, dabei durchans einfache Mannesgcstalten ge¬ schaffen, die, vielleicht nicht zum Vorteil der einheitlichen Wirkung des ganzen Schauspiels, um das Interesse des Zuschauers mit einander wetteifern; nachdem der Löwe ausgespielt hat, nimmt der Kaiser unsre Teilnahme übermächtig in Anspruch. Der Herzog wird als ein heißblütiger, rasch auffahrender, seines Wertes sich wohl bewußter Kriegsherr hingestellt. Er hat sich unleugbar große Verdienste um Kaiser und Reich erworben; er hat jenem einmal in der Schlacht das Leben gerettet, er hat diesem zum Heil die Wenden besiegt, in Italien oft das Kriegsglück entschieden. Friedrich II., sein Jugendfreund und auch durch seine welfische Gattin Beatrix mit ihm verschwägert, eine wahrhaft königliche Na>tur, zum Herrschen berufen, sparte nicht mit Dank und Auszeichnungen: H^zog Heinrich ist der mächtigste Vasall im Reiche geworden. Aber je mehr Macht er in seiner Hand vereinigte, umso ländergieriger, umso stolzer wurde er, und sein hitziges Naturell faßte leicht Argwohn selbst gegen die wahrhaft redliche, offene Seele des befreundeten Staufenkaisers. Als dessen junger Sohn Heinrich von allen Großen des Reiches zum deutschen König erwählt wird, da verweigert ihm der Löwe seine Stimme, und Kaiser Barbarossa muß sich zu spät sagen: „Den Mann haben wir zu groß gemacht!" Aber er ist in Not, er bedarf um jeden Preis der Unterstützung des Baiernherzogs. In diesem hat jedoch das Mißtrauen gegen die Aufrichtigkeit des Kaisers schon so tiefe Wurzeln gefaßt — obgleich er sich mit eignen Auge» von der guten Absicht desselben hätte überzeugen können an dem Benehmen des Herzogs Wels, seines Agnaten —, Heinrichs Stolz und Ehrgeiz sind überdies so mächtig geworden, daß er seiner Treuepflicht und des schuldigen Vasallengehorsams vergißt und den Kaiser mitten w der größten Bedrängnis im Stiche läßt. Aber Hochmut kommt vor dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/283>, abgerufen am 22.07.2024.