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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Neue Dramen.

bares Wunder des Himmels. Sie sinken vor dem Geschmähten zerknirscht in
die Kniee, dieser aber zieht seine Matrosen empor und küßt sie. Mit einem
Monologe des Columbus (aus dem leider zu sehr der Dichter selbst spricht, um
den Schluß zu begründen) und der Entfaltung der spanischen Fahne im Ange-
sichte des über den Horizont getretenen neuen Landes schließt das Stück.

So wirkungsvoll rührend nun -- beinahe schon ein Theatercoup -- dieser
Schluß ist, so kann man doch nicht sagen, daß das Stück einen reinen Eindruck
hinterlasse. Man behält die Empfindung von einer tendenziösen Kunst. Wohl
ist es richtig, daß der Dichter seine Bilder und Gesichte mit einem geistigen
Gehalte erfüllen soll, allein nicht alles Bild darf sich in ein geistreiches Apercu
auflösen lassen. Hier, bei Herrigs Stück, hat man nur allzuoft das Gefühl,
als ob der Dichter erklärend hinter uns stünde, uns auf die Schulter tippte
und als treuer Schüler Schopenhauers flüsterte: 1s. tvmri Wi! Das bist dn!
So ist die Welt! Die Absichtlichkeit also tritt bei aller Kunst störend hervor,
sie zerstört das Bild und die damit verbundene freie Gemütsstimmung, und
giebt bloß dem Denken Nahrung. Sodann ist das Drama für den Genieknltus
auch nicht die geeignetste Form. In die Fehler andrer, welche Geistesheroen auf
der Bühne verherrlichten, ist Herrig gewiß nicht verfallen, davor bewahrte ihn
sein tiefer Geist und sein guter Geschmack. Aber die Bühne vermag ihrem
Wesen nach nur unser rein menschliches Mitgefühl zu erregen: der kämpfende
Columbus ist ästhetisch wirksam, der Columbus in dem Strahlenkranze seines
Erfolges langweilig. Herrig hört ja in der That auch in diesem Augenblicke
auf; aber dem Zuschauer ist dies gleichwohl kein befriedigender Abschluß für
die gesamte Handlung. Nur die geschichtsphilosophische Reflexion sagt sich mit
dem Monologe des Helden, den Herrig ihm schließlich in den Mund gelegt:


Was liegt an mir noch in den ki'
uft'gen Tagen?
Nun ich erfüllte das, weshalb ich kam,
Nun bin ich grad' so viel, wie diese alle,
Ein Werkzeug Gottes, das er abgenutzt --

Also Columbus, der Entdecker, sei nunmehr eigentlich poetisch tot. Und doch
^ er es wieder nicht! Er lebt ja fort und wird zurückkehren und um den
Lohn für seine Entdeckung von neuem kämpfen! Wir vermögen doch nicht so
Mez und gar den Menschen Columbus vom Entdecker zu trennen. An dieser
ästhetischen Unklarheit leidet dieser Abschluß des in allem andern so geistvollen
und kunstreichen Dramas. Mit Abstraktionen läßt sich keine Handlung ab¬
schließen.

Dem neuen Schauspiel in fünf Akten: Die Bregenzer Klause von
Hermann Lingg (München. Ackermann, 1887) konnten wir keinen Geschmack
abgewinnen. Ein nüchternes, schwungloses Werk: nüchtern in seiner ungeadelten
Prosa, nüchtern in der kraftlosen Charakteristik, nüchtern in seinem versöhnlichen


Grenzboten IV. 1387. 36
Neue Dramen.

bares Wunder des Himmels. Sie sinken vor dem Geschmähten zerknirscht in
die Kniee, dieser aber zieht seine Matrosen empor und küßt sie. Mit einem
Monologe des Columbus (aus dem leider zu sehr der Dichter selbst spricht, um
den Schluß zu begründen) und der Entfaltung der spanischen Fahne im Ange-
sichte des über den Horizont getretenen neuen Landes schließt das Stück.

So wirkungsvoll rührend nun — beinahe schon ein Theatercoup — dieser
Schluß ist, so kann man doch nicht sagen, daß das Stück einen reinen Eindruck
hinterlasse. Man behält die Empfindung von einer tendenziösen Kunst. Wohl
ist es richtig, daß der Dichter seine Bilder und Gesichte mit einem geistigen
Gehalte erfüllen soll, allein nicht alles Bild darf sich in ein geistreiches Apercu
auflösen lassen. Hier, bei Herrigs Stück, hat man nur allzuoft das Gefühl,
als ob der Dichter erklärend hinter uns stünde, uns auf die Schulter tippte
und als treuer Schüler Schopenhauers flüsterte: 1s. tvmri Wi! Das bist dn!
So ist die Welt! Die Absichtlichkeit also tritt bei aller Kunst störend hervor,
sie zerstört das Bild und die damit verbundene freie Gemütsstimmung, und
giebt bloß dem Denken Nahrung. Sodann ist das Drama für den Genieknltus
auch nicht die geeignetste Form. In die Fehler andrer, welche Geistesheroen auf
der Bühne verherrlichten, ist Herrig gewiß nicht verfallen, davor bewahrte ihn
sein tiefer Geist und sein guter Geschmack. Aber die Bühne vermag ihrem
Wesen nach nur unser rein menschliches Mitgefühl zu erregen: der kämpfende
Columbus ist ästhetisch wirksam, der Columbus in dem Strahlenkranze seines
Erfolges langweilig. Herrig hört ja in der That auch in diesem Augenblicke
auf; aber dem Zuschauer ist dies gleichwohl kein befriedigender Abschluß für
die gesamte Handlung. Nur die geschichtsphilosophische Reflexion sagt sich mit
dem Monologe des Helden, den Herrig ihm schließlich in den Mund gelegt:


Was liegt an mir noch in den ki'
uft'gen Tagen?
Nun ich erfüllte das, weshalb ich kam,
Nun bin ich grad' so viel, wie diese alle,
Ein Werkzeug Gottes, das er abgenutzt —

Also Columbus, der Entdecker, sei nunmehr eigentlich poetisch tot. Und doch
^ er es wieder nicht! Er lebt ja fort und wird zurückkehren und um den
Lohn für seine Entdeckung von neuem kämpfen! Wir vermögen doch nicht so
Mez und gar den Menschen Columbus vom Entdecker zu trennen. An dieser
ästhetischen Unklarheit leidet dieser Abschluß des in allem andern so geistvollen
und kunstreichen Dramas. Mit Abstraktionen läßt sich keine Handlung ab¬
schließen.

Dem neuen Schauspiel in fünf Akten: Die Bregenzer Klause von
Hermann Lingg (München. Ackermann, 1887) konnten wir keinen Geschmack
abgewinnen. Ein nüchternes, schwungloses Werk: nüchtern in seiner ungeadelten
Prosa, nüchtern in der kraftlosen Charakteristik, nüchtern in seinem versöhnlichen


Grenzboten IV. 1387. 36
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[0281] Neue Dramen. bares Wunder des Himmels. Sie sinken vor dem Geschmähten zerknirscht in die Kniee, dieser aber zieht seine Matrosen empor und küßt sie. Mit einem Monologe des Columbus (aus dem leider zu sehr der Dichter selbst spricht, um den Schluß zu begründen) und der Entfaltung der spanischen Fahne im Ange- sichte des über den Horizont getretenen neuen Landes schließt das Stück. So wirkungsvoll rührend nun — beinahe schon ein Theatercoup — dieser Schluß ist, so kann man doch nicht sagen, daß das Stück einen reinen Eindruck hinterlasse. Man behält die Empfindung von einer tendenziösen Kunst. Wohl ist es richtig, daß der Dichter seine Bilder und Gesichte mit einem geistigen Gehalte erfüllen soll, allein nicht alles Bild darf sich in ein geistreiches Apercu auflösen lassen. Hier, bei Herrigs Stück, hat man nur allzuoft das Gefühl, als ob der Dichter erklärend hinter uns stünde, uns auf die Schulter tippte und als treuer Schüler Schopenhauers flüsterte: 1s. tvmri Wi! Das bist dn! So ist die Welt! Die Absichtlichkeit also tritt bei aller Kunst störend hervor, sie zerstört das Bild und die damit verbundene freie Gemütsstimmung, und giebt bloß dem Denken Nahrung. Sodann ist das Drama für den Genieknltus auch nicht die geeignetste Form. In die Fehler andrer, welche Geistesheroen auf der Bühne verherrlichten, ist Herrig gewiß nicht verfallen, davor bewahrte ihn sein tiefer Geist und sein guter Geschmack. Aber die Bühne vermag ihrem Wesen nach nur unser rein menschliches Mitgefühl zu erregen: der kämpfende Columbus ist ästhetisch wirksam, der Columbus in dem Strahlenkranze seines Erfolges langweilig. Herrig hört ja in der That auch in diesem Augenblicke auf; aber dem Zuschauer ist dies gleichwohl kein befriedigender Abschluß für die gesamte Handlung. Nur die geschichtsphilosophische Reflexion sagt sich mit dem Monologe des Helden, den Herrig ihm schließlich in den Mund gelegt: Was liegt an mir noch in den ki' uft'gen Tagen? Nun ich erfüllte das, weshalb ich kam, Nun bin ich grad' so viel, wie diese alle, Ein Werkzeug Gottes, das er abgenutzt — Also Columbus, der Entdecker, sei nunmehr eigentlich poetisch tot. Und doch ^ er es wieder nicht! Er lebt ja fort und wird zurückkehren und um den Lohn für seine Entdeckung von neuem kämpfen! Wir vermögen doch nicht so Mez und gar den Menschen Columbus vom Entdecker zu trennen. An dieser ästhetischen Unklarheit leidet dieser Abschluß des in allem andern so geistvollen und kunstreichen Dramas. Mit Abstraktionen läßt sich keine Handlung ab¬ schließen. Dem neuen Schauspiel in fünf Akten: Die Bregenzer Klause von Hermann Lingg (München. Ackermann, 1887) konnten wir keinen Geschmack abgewinnen. Ein nüchternes, schwungloses Werk: nüchtern in seiner ungeadelten Prosa, nüchtern in der kraftlosen Charakteristik, nüchtern in seinem versöhnlichen Grenzboten IV. 1387. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/281>, abgerufen am 22.07.2024.