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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Neue Dramen.

als wir das Buch aus der Hand legten. Den Grund werden wir gleich
erkennen.

Die echt künstlerische Art, in der Herrig seine -- nicht Welt-, sondern so
ganz eigentlich -- Menschenanschauung zur Darstellung gebracht hat, verdient
aufrichtige Anerkennung. Eine gleich stramme Komposition, die konzentrisch
jeden Zug der Handlung zur Beleuchtung des in der Mitte stehenden Cha¬
rakters benutzt, die mit der Kunst der Gegensätze so wirksam spielt, eine Figur
durch die andre erklärt, die gesamte Dichtung zu einer harmonischen und doch
bewegten Einheit gestaltet, dürfte gegenwärtig so leicht nicht wieder gefunden
werden. Die größte Sorgfalt ist auf das Charakterbild des Columbus ver¬
wendet; hier sind auch jene historisch-irrationalen Elemente aufgenommen, die
aus dem Typus ein bestimmtes Individuum machen. Alles einzelne können
wir hier nicht, ohne breit zu werden, wiedergeben, aber wir wollen doch durch
eine kurze Erzählung das gesagte beweisen.

Mit zwei sinnreichen Gegensätzen wird Columbus in das Stück eingeführt.
Vor der Audienz bei dem aragvnisch-kastilischen Königspaare, Ferdinand und
Jsabella, trifft er mit zwei Menschen zusammen, die gleich ihm Schwärmer sind
in den Augen der nüchternen Menschen: mit dem verliebten Edelmann Ojeda,
der die Hofdame Anna mit echt spanischer Leidenschaft (seine Verse haben auch
den Rhythmus spanischer Romanzen) verfolgt, das Fräulein ist aber spröde,
und der arme Verliebte dürstet nach Ruhm, um sich vor ihr auszuzeichnen. Die
zweite Begegnung ist die mit einem Greise, der das Rezept Gold zu machen in
der Tasche trägt und nun den König Ferdinand für feine Künste gewinnen
will. Wodurch aber unterscheidet sich Columbus, der gleichfalls die Menschen
aus der gewohnten Bahn reißen will, von dem Alchemisten, der den Stein der
Weisen gefunden hat? Und was soll der gut realistische Staatsmann Ferdinand
solchen Leuten erwiedern? Columbus hat für sein Anliegen auch nichts andres
als Hypothesen vorzubringen. Und ist er nicht schon mit einem portugiesischen
Schiffe ausgezogen und erfolglos wieder heimgekehrt? Dem Goldmacher wirft
Ferdinand einen Beutel mit Geld hin, und dieser hebt ihn auf. froh, so viel er¬
beutet zu haben. Auch dem Columbus, dessen würdiges Auftreten dem Könige
gefällt, der ihm als tüchtiger Seemann gepriesen wird, will sich Ferdinand ge¬
fällig erweisen. Die befragten Gelehrten und Theologen geben Columbus in
Gegenwart des Königs den beleidigenden Rat, sich gründlicher der Wissen¬
schaft zu widmen. Für neue Ideen sind Büchermenschen am wenigsten em¬
pfänglich. Also will Ferdinand den Genueser in den ehrenvollen Dienst seiner
Flotte nehmen. Was aber sagt Columbus darauf? Er sagt es später (im
zweiten Akt) zu vertrauten Freunden:


Umherzulaufen als gehender Narr!
Bin ich ein Narr, gut denn! so will ichs bleiben.
Sie werden schon an meinem Grabe stehn

Neue Dramen.

als wir das Buch aus der Hand legten. Den Grund werden wir gleich
erkennen.

Die echt künstlerische Art, in der Herrig seine — nicht Welt-, sondern so
ganz eigentlich — Menschenanschauung zur Darstellung gebracht hat, verdient
aufrichtige Anerkennung. Eine gleich stramme Komposition, die konzentrisch
jeden Zug der Handlung zur Beleuchtung des in der Mitte stehenden Cha¬
rakters benutzt, die mit der Kunst der Gegensätze so wirksam spielt, eine Figur
durch die andre erklärt, die gesamte Dichtung zu einer harmonischen und doch
bewegten Einheit gestaltet, dürfte gegenwärtig so leicht nicht wieder gefunden
werden. Die größte Sorgfalt ist auf das Charakterbild des Columbus ver¬
wendet; hier sind auch jene historisch-irrationalen Elemente aufgenommen, die
aus dem Typus ein bestimmtes Individuum machen. Alles einzelne können
wir hier nicht, ohne breit zu werden, wiedergeben, aber wir wollen doch durch
eine kurze Erzählung das gesagte beweisen.

Mit zwei sinnreichen Gegensätzen wird Columbus in das Stück eingeführt.
Vor der Audienz bei dem aragvnisch-kastilischen Königspaare, Ferdinand und
Jsabella, trifft er mit zwei Menschen zusammen, die gleich ihm Schwärmer sind
in den Augen der nüchternen Menschen: mit dem verliebten Edelmann Ojeda,
der die Hofdame Anna mit echt spanischer Leidenschaft (seine Verse haben auch
den Rhythmus spanischer Romanzen) verfolgt, das Fräulein ist aber spröde,
und der arme Verliebte dürstet nach Ruhm, um sich vor ihr auszuzeichnen. Die
zweite Begegnung ist die mit einem Greise, der das Rezept Gold zu machen in
der Tasche trägt und nun den König Ferdinand für feine Künste gewinnen
will. Wodurch aber unterscheidet sich Columbus, der gleichfalls die Menschen
aus der gewohnten Bahn reißen will, von dem Alchemisten, der den Stein der
Weisen gefunden hat? Und was soll der gut realistische Staatsmann Ferdinand
solchen Leuten erwiedern? Columbus hat für sein Anliegen auch nichts andres
als Hypothesen vorzubringen. Und ist er nicht schon mit einem portugiesischen
Schiffe ausgezogen und erfolglos wieder heimgekehrt? Dem Goldmacher wirft
Ferdinand einen Beutel mit Geld hin, und dieser hebt ihn auf. froh, so viel er¬
beutet zu haben. Auch dem Columbus, dessen würdiges Auftreten dem Könige
gefällt, der ihm als tüchtiger Seemann gepriesen wird, will sich Ferdinand ge¬
fällig erweisen. Die befragten Gelehrten und Theologen geben Columbus in
Gegenwart des Königs den beleidigenden Rat, sich gründlicher der Wissen¬
schaft zu widmen. Für neue Ideen sind Büchermenschen am wenigsten em¬
pfänglich. Also will Ferdinand den Genueser in den ehrenvollen Dienst seiner
Flotte nehmen. Was aber sagt Columbus darauf? Er sagt es später (im
zweiten Akt) zu vertrauten Freunden:


Umherzulaufen als gehender Narr!
Bin ich ein Narr, gut denn! so will ichs bleiben.
Sie werden schon an meinem Grabe stehn

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[0278] Neue Dramen. als wir das Buch aus der Hand legten. Den Grund werden wir gleich erkennen. Die echt künstlerische Art, in der Herrig seine — nicht Welt-, sondern so ganz eigentlich — Menschenanschauung zur Darstellung gebracht hat, verdient aufrichtige Anerkennung. Eine gleich stramme Komposition, die konzentrisch jeden Zug der Handlung zur Beleuchtung des in der Mitte stehenden Cha¬ rakters benutzt, die mit der Kunst der Gegensätze so wirksam spielt, eine Figur durch die andre erklärt, die gesamte Dichtung zu einer harmonischen und doch bewegten Einheit gestaltet, dürfte gegenwärtig so leicht nicht wieder gefunden werden. Die größte Sorgfalt ist auf das Charakterbild des Columbus ver¬ wendet; hier sind auch jene historisch-irrationalen Elemente aufgenommen, die aus dem Typus ein bestimmtes Individuum machen. Alles einzelne können wir hier nicht, ohne breit zu werden, wiedergeben, aber wir wollen doch durch eine kurze Erzählung das gesagte beweisen. Mit zwei sinnreichen Gegensätzen wird Columbus in das Stück eingeführt. Vor der Audienz bei dem aragvnisch-kastilischen Königspaare, Ferdinand und Jsabella, trifft er mit zwei Menschen zusammen, die gleich ihm Schwärmer sind in den Augen der nüchternen Menschen: mit dem verliebten Edelmann Ojeda, der die Hofdame Anna mit echt spanischer Leidenschaft (seine Verse haben auch den Rhythmus spanischer Romanzen) verfolgt, das Fräulein ist aber spröde, und der arme Verliebte dürstet nach Ruhm, um sich vor ihr auszuzeichnen. Die zweite Begegnung ist die mit einem Greise, der das Rezept Gold zu machen in der Tasche trägt und nun den König Ferdinand für feine Künste gewinnen will. Wodurch aber unterscheidet sich Columbus, der gleichfalls die Menschen aus der gewohnten Bahn reißen will, von dem Alchemisten, der den Stein der Weisen gefunden hat? Und was soll der gut realistische Staatsmann Ferdinand solchen Leuten erwiedern? Columbus hat für sein Anliegen auch nichts andres als Hypothesen vorzubringen. Und ist er nicht schon mit einem portugiesischen Schiffe ausgezogen und erfolglos wieder heimgekehrt? Dem Goldmacher wirft Ferdinand einen Beutel mit Geld hin, und dieser hebt ihn auf. froh, so viel er¬ beutet zu haben. Auch dem Columbus, dessen würdiges Auftreten dem Könige gefällt, der ihm als tüchtiger Seemann gepriesen wird, will sich Ferdinand ge¬ fällig erweisen. Die befragten Gelehrten und Theologen geben Columbus in Gegenwart des Königs den beleidigenden Rat, sich gründlicher der Wissen¬ schaft zu widmen. Für neue Ideen sind Büchermenschen am wenigsten em¬ pfänglich. Also will Ferdinand den Genueser in den ehrenvollen Dienst seiner Flotte nehmen. Was aber sagt Columbus darauf? Er sagt es später (im zweiten Akt) zu vertrauten Freunden: Umherzulaufen als gehender Narr! Bin ich ein Narr, gut denn! so will ichs bleiben. Sie werden schon an meinem Grabe stehn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/278>, abgerufen am 25.08.2024.