Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.reich das Fortbestehen der republikanischen Regierungsform verlange, für die reich das Fortbestehen der republikanischen Regierungsform verlange, für die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201692"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_607" prev="#ID_606"> reich das Fortbestehen der republikanischen Regierungsform verlange, für die<lb/> ministerielle Stetigkeit sorgen, welche so notwendig sei für die gute Führung<lb/> der Geschäfte, für die Würde der Republik und für ihr Ansehen in der übrigen<lb/> Welt, und zu diesem Zwecke dringend Einigung der republikanischen Parteien<lb/> zur Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit empfohlen. Diese Mahnung<lb/> war in den Wind gesprochen; denn sie vertrug sich nicht mit dem Geiste der<lb/> Parteien. Noch war kein Jahr seit dem Amtsantritte Freycinets vergangen,<lb/> als er, der ohne Zweifel zu den befähigtsten und ehrlichsten Politikern des heu¬<lb/> tigen Frankreichs gehört, bereits genötigt wurde, sich zurückzuziehen, und zwar in<lb/> einer wenig bedeutenden Frage und infolge einer Intrigue der Radikalen, welche die<lb/> Zeit für gekommen hielten, die Ministcrstühle mit ihren Führern zu besetzen.<lb/> Der Abgeordnete Colfavru stellte am 3. Dezember 1886 den Antrag, die Ge¬<lb/> halte der Unterpräfekten, zusammen etwa drei Millionen Franken, zu streichen.<lb/> Der Minister des Innern bekämpfte denselben, sagte aber zu, er wolle demnächst<lb/> eine Vorlage über Verminderung dieser Beamtenstellen macheu. Vergebens<lb/> wies Freycinet darauf hin, daß es nicht angehe, eine ganze Kategorie von<lb/> Staatsdienern durch Streichung der Gehalte aufzuheben und so den Einfluß<lb/> der Zentralgewalt auf die innere Verwaltung zu schwache», und stellte die Ver¬<lb/> trauensfrage. Mit den Radikalen hatten sich die Abgeordneten von der monar¬<lb/> chischen Rechten verbunden, und der Antrag Colfcwrus erhielt eine Mehrheit<lb/> von fünfzehn Stimmen, worauf die Minister, gehorsam dem Branche des fran¬<lb/> zösischen Parlamentarismus, den Präsidenten Grevy um ihre Entlassung baten.<lb/> Der letztere hatte es sehr schwer, einen neuen Leiter des Kabinets zu finden,<lb/> da die Kammermehrheit äußerst unzuverlässig war. Man dachte auf Seiten<lb/> der Radikalen an den Kammerpräsidenten Floqnet. Aber er hatte dem Kaiser<lb/> Alexander II. einmal ein Vivs ?0log'us! zugernfen (seine tunesische Vergangen¬<lb/> heit war vergessen und hatte bei seiner Partei nichts auf sich), und so paßte er<lb/> nicht zu der russischen Freundschaft, die man erstrebte. Endlich ließ sich der<lb/> bisherige Kultusminister Goblet bewegen, die Bildung eines neuen Kabinets zu<lb/> übernehmen, und es gelang, dasselbe zustande zu bringen. Acht Mitglieder des<lb/> alten behielten ihre Posten, darunter auch der Kriegsminister Voulanger. Nur<lb/> die Besetzung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten wollte nicht<lb/> wsch von statten gehen, da selbständige Persönlichkeiten Bedenken trugen, neben<lb/> Boulanger, der seine Kollegen beherrschte und trotz der friedfertigen Redensarten,<lb/> die er gelegentlich vernehmen ließ, mit Macht auf den Revanchclneg hinarbeitete,<lb/> die auswärtigen Interessen Frankreichs zu wahren. Zuletzt ließ sich Floureus,<lb/> der Vizepräsident des Staatsrates, bereit finden, der zwar weder parlamentarisches<lb/> Ansehen noch diplomatische Erfahrung mitbrachte, aber sich in der Folge nicht<lb/> ungeschickt ermies und so anch, als Goblet, welcher gleichfalls dauerhafter war,<lb/> als viele erwartet hatten, endlich auch dem Moloch des Parlamentarismus<lb/> zum Opfer fiel, in das neue Kabinet Rouvier hinübergenommen wurde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
reich das Fortbestehen der republikanischen Regierungsform verlange, für die
ministerielle Stetigkeit sorgen, welche so notwendig sei für die gute Führung
der Geschäfte, für die Würde der Republik und für ihr Ansehen in der übrigen
Welt, und zu diesem Zwecke dringend Einigung der republikanischen Parteien
zur Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit empfohlen. Diese Mahnung
war in den Wind gesprochen; denn sie vertrug sich nicht mit dem Geiste der
Parteien. Noch war kein Jahr seit dem Amtsantritte Freycinets vergangen,
als er, der ohne Zweifel zu den befähigtsten und ehrlichsten Politikern des heu¬
tigen Frankreichs gehört, bereits genötigt wurde, sich zurückzuziehen, und zwar in
einer wenig bedeutenden Frage und infolge einer Intrigue der Radikalen, welche die
Zeit für gekommen hielten, die Ministcrstühle mit ihren Führern zu besetzen.
Der Abgeordnete Colfavru stellte am 3. Dezember 1886 den Antrag, die Ge¬
halte der Unterpräfekten, zusammen etwa drei Millionen Franken, zu streichen.
Der Minister des Innern bekämpfte denselben, sagte aber zu, er wolle demnächst
eine Vorlage über Verminderung dieser Beamtenstellen macheu. Vergebens
wies Freycinet darauf hin, daß es nicht angehe, eine ganze Kategorie von
Staatsdienern durch Streichung der Gehalte aufzuheben und so den Einfluß
der Zentralgewalt auf die innere Verwaltung zu schwache», und stellte die Ver¬
trauensfrage. Mit den Radikalen hatten sich die Abgeordneten von der monar¬
chischen Rechten verbunden, und der Antrag Colfcwrus erhielt eine Mehrheit
von fünfzehn Stimmen, worauf die Minister, gehorsam dem Branche des fran¬
zösischen Parlamentarismus, den Präsidenten Grevy um ihre Entlassung baten.
Der letztere hatte es sehr schwer, einen neuen Leiter des Kabinets zu finden,
da die Kammermehrheit äußerst unzuverlässig war. Man dachte auf Seiten
der Radikalen an den Kammerpräsidenten Floqnet. Aber er hatte dem Kaiser
Alexander II. einmal ein Vivs ?0log'us! zugernfen (seine tunesische Vergangen¬
heit war vergessen und hatte bei seiner Partei nichts auf sich), und so paßte er
nicht zu der russischen Freundschaft, die man erstrebte. Endlich ließ sich der
bisherige Kultusminister Goblet bewegen, die Bildung eines neuen Kabinets zu
übernehmen, und es gelang, dasselbe zustande zu bringen. Acht Mitglieder des
alten behielten ihre Posten, darunter auch der Kriegsminister Voulanger. Nur
die Besetzung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten wollte nicht
wsch von statten gehen, da selbständige Persönlichkeiten Bedenken trugen, neben
Boulanger, der seine Kollegen beherrschte und trotz der friedfertigen Redensarten,
die er gelegentlich vernehmen ließ, mit Macht auf den Revanchclneg hinarbeitete,
die auswärtigen Interessen Frankreichs zu wahren. Zuletzt ließ sich Floureus,
der Vizepräsident des Staatsrates, bereit finden, der zwar weder parlamentarisches
Ansehen noch diplomatische Erfahrung mitbrachte, aber sich in der Folge nicht
ungeschickt ermies und so anch, als Goblet, welcher gleichfalls dauerhafter war,
als viele erwartet hatten, endlich auch dem Moloch des Parlamentarismus
zum Opfer fiel, in das neue Kabinet Rouvier hinübergenommen wurde.
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