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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

dyncistie (Osman, Orchan, Bajazet, die beiden Murads und Mohammed I.)
ruhen. Die Besichtigung des Innern einer solchen Turbe bietet wenig Inter¬
essantes; über dem eigentlichen, mit einer Marmortafel bedeckten Grabe erhebt
sich ein Sarkophag, der gewöhnlich mit Sammet bekleidet und mit goldgestickten
Arabesken oder Inschriften bedeckt ist. Oben an der Spitze ist der Turban
(jetzt Fez) des Verstorbenen befestigt, und an seinen Seiten hängen zahlreiche
persische oder türkische Shawls. Riesige Silberkandelaber vervollständigen das
feierliche Bild; zu ihrer Seite ruhen auf kleinen Brctgestellen die Korane der
Verstorbene", oft kostbare Handschriften.

Selten mag Wohl Orchans Grab des Nachts besucht worden sein. Von
dem Felsrande der Gräber breitet sich zu den Füßen die malerisch gelegene
Stadt, aus der einzelne Lichter auftauchten, während sonst nur der Glanz des
Mondes die einzelnen Umrisse zeichnete. Wir saßen lange an dieser Stelle,
ringsum in tiefer Ruhe, die mir dnrch den Klagcgcsang eines türkischen Imam
oder durch das melodische Lied eines griechischen Mädchens unterbrochen wurde.
Ein solcher Augenblick ist am ersten geeignet, sich in die Vergangenheit zu
versenken und jenes unerbittlichen Nömerfeindes zu gedenken, der, von der
Übermacht Roms zu Boden geworfen und von dem mißtrauischen Feinde ver¬
folgt, nicht einmal in Bithynien vor seinen Widersachern Ruhe fand. Die
Schilderung, die Mommsen in seiner Römischen Geschichte von Hannibal und
von seinen letzten Allgenblicken in diesem Lande gab, trat mir lebendig wieder
vor die Seele. Aber freilich ist es nur Tradition, daß Hannibal der Gründer
des zu Ehren seines Gastfreundes genannten Prusn gewesen sein soll; aus jener
alten Zeit mögen nur noch die Mauern als stumme Zeugen zurückgeblieben
sein, denn der Eintritt Brussas in die Geschichte beginnt erst mit den Er-
oberungszügen der Araber und mit den Kämpfen zwischen den Osmanen und
Byzanz. Hier schlug Orchcm in drohender Nähe, der alten Kaiserstadt gegen¬
über, 1317 seine Residenz ans, bis sie sechzig Jahre später nach Adrianopel
verlegt wurde, vou wo aus der Untergang des byzantinischen Reiches sich er¬
füllen sollte. Aus dieser sagenreichen Zeit stammen auch die Moscheen, vou
denen leider ein nicht geringer Teil durch Erdbeben und Vernachlässigung in
Trümmern liegt. Aber noch zeigen die kunstvollen Arabesken von Marmor und
die blauen und grünen Fayeiicebeklcidungen der grünen Moschee (Jeschil
Dschami), wie ein kraftvolles Volk auch selbständig zu einer Kunst gelangt.

Von solchen Gedanken erfüllt, ist auch der Schlaf des Nachts nur ein
halber, der Geist kann nicht zur Ruhe kommen. Das Gesehene und Erlebte
kämpft schon mit dem zu Erwartenden, die Traumbilder fließen in einander.
Als endlich die Seele Ruhe fand, da klopfte schon Homeros an die Thür und
meldete, daß die Esel zum Ritt auf den Olympos bereit stünden.

Olympos, Olympos, welche Erinnerungen werden bei deinem Namen
wach!


Line Fahrt in den Grient.

dyncistie (Osman, Orchan, Bajazet, die beiden Murads und Mohammed I.)
ruhen. Die Besichtigung des Innern einer solchen Turbe bietet wenig Inter¬
essantes; über dem eigentlichen, mit einer Marmortafel bedeckten Grabe erhebt
sich ein Sarkophag, der gewöhnlich mit Sammet bekleidet und mit goldgestickten
Arabesken oder Inschriften bedeckt ist. Oben an der Spitze ist der Turban
(jetzt Fez) des Verstorbenen befestigt, und an seinen Seiten hängen zahlreiche
persische oder türkische Shawls. Riesige Silberkandelaber vervollständigen das
feierliche Bild; zu ihrer Seite ruhen auf kleinen Brctgestellen die Korane der
Verstorbene», oft kostbare Handschriften.

Selten mag Wohl Orchans Grab des Nachts besucht worden sein. Von
dem Felsrande der Gräber breitet sich zu den Füßen die malerisch gelegene
Stadt, aus der einzelne Lichter auftauchten, während sonst nur der Glanz des
Mondes die einzelnen Umrisse zeichnete. Wir saßen lange an dieser Stelle,
ringsum in tiefer Ruhe, die mir dnrch den Klagcgcsang eines türkischen Imam
oder durch das melodische Lied eines griechischen Mädchens unterbrochen wurde.
Ein solcher Augenblick ist am ersten geeignet, sich in die Vergangenheit zu
versenken und jenes unerbittlichen Nömerfeindes zu gedenken, der, von der
Übermacht Roms zu Boden geworfen und von dem mißtrauischen Feinde ver¬
folgt, nicht einmal in Bithynien vor seinen Widersachern Ruhe fand. Die
Schilderung, die Mommsen in seiner Römischen Geschichte von Hannibal und
von seinen letzten Allgenblicken in diesem Lande gab, trat mir lebendig wieder
vor die Seele. Aber freilich ist es nur Tradition, daß Hannibal der Gründer
des zu Ehren seines Gastfreundes genannten Prusn gewesen sein soll; aus jener
alten Zeit mögen nur noch die Mauern als stumme Zeugen zurückgeblieben
sein, denn der Eintritt Brussas in die Geschichte beginnt erst mit den Er-
oberungszügen der Araber und mit den Kämpfen zwischen den Osmanen und
Byzanz. Hier schlug Orchcm in drohender Nähe, der alten Kaiserstadt gegen¬
über, 1317 seine Residenz ans, bis sie sechzig Jahre später nach Adrianopel
verlegt wurde, vou wo aus der Untergang des byzantinischen Reiches sich er¬
füllen sollte. Aus dieser sagenreichen Zeit stammen auch die Moscheen, vou
denen leider ein nicht geringer Teil durch Erdbeben und Vernachlässigung in
Trümmern liegt. Aber noch zeigen die kunstvollen Arabesken von Marmor und
die blauen und grünen Fayeiicebeklcidungen der grünen Moschee (Jeschil
Dschami), wie ein kraftvolles Volk auch selbständig zu einer Kunst gelangt.

Von solchen Gedanken erfüllt, ist auch der Schlaf des Nachts nur ein
halber, der Geist kann nicht zur Ruhe kommen. Das Gesehene und Erlebte
kämpft schon mit dem zu Erwartenden, die Traumbilder fließen in einander.
Als endlich die Seele Ruhe fand, da klopfte schon Homeros an die Thür und
meldete, daß die Esel zum Ritt auf den Olympos bereit stünden.

Olympos, Olympos, welche Erinnerungen werden bei deinem Namen
wach!


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[0253] Line Fahrt in den Grient. dyncistie (Osman, Orchan, Bajazet, die beiden Murads und Mohammed I.) ruhen. Die Besichtigung des Innern einer solchen Turbe bietet wenig Inter¬ essantes; über dem eigentlichen, mit einer Marmortafel bedeckten Grabe erhebt sich ein Sarkophag, der gewöhnlich mit Sammet bekleidet und mit goldgestickten Arabesken oder Inschriften bedeckt ist. Oben an der Spitze ist der Turban (jetzt Fez) des Verstorbenen befestigt, und an seinen Seiten hängen zahlreiche persische oder türkische Shawls. Riesige Silberkandelaber vervollständigen das feierliche Bild; zu ihrer Seite ruhen auf kleinen Brctgestellen die Korane der Verstorbene», oft kostbare Handschriften. Selten mag Wohl Orchans Grab des Nachts besucht worden sein. Von dem Felsrande der Gräber breitet sich zu den Füßen die malerisch gelegene Stadt, aus der einzelne Lichter auftauchten, während sonst nur der Glanz des Mondes die einzelnen Umrisse zeichnete. Wir saßen lange an dieser Stelle, ringsum in tiefer Ruhe, die mir dnrch den Klagcgcsang eines türkischen Imam oder durch das melodische Lied eines griechischen Mädchens unterbrochen wurde. Ein solcher Augenblick ist am ersten geeignet, sich in die Vergangenheit zu versenken und jenes unerbittlichen Nömerfeindes zu gedenken, der, von der Übermacht Roms zu Boden geworfen und von dem mißtrauischen Feinde ver¬ folgt, nicht einmal in Bithynien vor seinen Widersachern Ruhe fand. Die Schilderung, die Mommsen in seiner Römischen Geschichte von Hannibal und von seinen letzten Allgenblicken in diesem Lande gab, trat mir lebendig wieder vor die Seele. Aber freilich ist es nur Tradition, daß Hannibal der Gründer des zu Ehren seines Gastfreundes genannten Prusn gewesen sein soll; aus jener alten Zeit mögen nur noch die Mauern als stumme Zeugen zurückgeblieben sein, denn der Eintritt Brussas in die Geschichte beginnt erst mit den Er- oberungszügen der Araber und mit den Kämpfen zwischen den Osmanen und Byzanz. Hier schlug Orchcm in drohender Nähe, der alten Kaiserstadt gegen¬ über, 1317 seine Residenz ans, bis sie sechzig Jahre später nach Adrianopel verlegt wurde, vou wo aus der Untergang des byzantinischen Reiches sich er¬ füllen sollte. Aus dieser sagenreichen Zeit stammen auch die Moscheen, vou denen leider ein nicht geringer Teil durch Erdbeben und Vernachlässigung in Trümmern liegt. Aber noch zeigen die kunstvollen Arabesken von Marmor und die blauen und grünen Fayeiicebeklcidungen der grünen Moschee (Jeschil Dschami), wie ein kraftvolles Volk auch selbständig zu einer Kunst gelangt. Von solchen Gedanken erfüllt, ist auch der Schlaf des Nachts nur ein halber, der Geist kann nicht zur Ruhe kommen. Das Gesehene und Erlebte kämpft schon mit dem zu Erwartenden, die Traumbilder fließen in einander. Als endlich die Seele Ruhe fand, da klopfte schon Homeros an die Thür und meldete, daß die Esel zum Ritt auf den Olympos bereit stünden. Olympos, Olympos, welche Erinnerungen werden bei deinem Namen wach!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/253>, abgerufen am 25.08.2024.