Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.Galeotto. Umstände nicht gerechnet: in diesem Hause befindet sich eine junge Frau -- seine Man sage nicht, daß uns der Analogieteufel im Nacken sitze: ein Stück Galeotto. Umstände nicht gerechnet: in diesem Hause befindet sich eine junge Frau — seine Man sage nicht, daß uns der Analogieteufel im Nacken sitze: ein Stück <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201674"/> <fw type="header" place="top"> Galeotto.</fw><lb/> <p xml:id="ID_569" prev="#ID_568"> Umstände nicht gerechnet: in diesem Hause befindet sich eine junge Frau — seine<lb/> Frau. Der junge Mann, ein Dichter, aber zugleich ein Charakter (kein Tcisso,<lb/> wie man verglichen hat), lernt umso rascher damit rechnen. Alle Versuche, ihm<lb/> auszuweichen, scheitern an dem reinen, gutmütigen Sinne des unbeugsamen<lb/> Wohlthäters. Das ist doch wohl schon eine Art Grundplan, und durch<lb/> ein merkwürdiges Zusammentreffen kann unser Publikum in dem gleichzeitig<lb/> im Residenzthcater aufgeführten dramatisirten Zugroman des französischen<lb/> „Marlitt," der „Gräfin Sarah" des George Ohnet, beobachten, wie sich seine<lb/> Ausführung etwa ausnimmt. Sie ist schon nicht mehr ganz französisch, vor<lb/> dem raffinirten „auf die Spitze treiben" des „Sittendramas" schreckt Ohnet<lb/> bereits zurück; wie überhaupt in diesem Schriftsteller diese Art Arg-mets litte-<lb/> raturs, deren Bekämpfung noch vor kurzem frei nach „Meister Laube" nur dem<lb/> gelben Neide „unausgeführter" deutscher Autoren Schuld gegeben wurde, sich<lb/> allmählich wieder in die Kotzebueschen Niederungen zu verlaufen scheint, von<lb/> denen sie ihren Ausgang genommen hat. Der Spanier macht jedenfalls den<lb/> Eindruck, vor nichts zurückgeschreckt zu sein. Er wäre leidenschaftlich, bitter,<lb/> gewaltsam, nach einem eingefügten Gedichte zu urteilen auch poetisch, wenngleich<lb/> nicht lyrisch gewesen. Hier scheint die Grenze seiner Begabung ihm fühlbar<lb/> geworden zu sein, nicht zu seinem Nachteil, denn er teilt sie mit seiner Zeit.<lb/> Dieser Zeit, wie sie nicht lyrisch ist, steht überhaupt diese Art Stoffe, die be¬<lb/> rauschende Blüte einer aufs äußerste lyrischen Periode, nicht an. Sie sind<lb/> überdies — ganz natürlich — nicht dramatisch. Richard Wagner hat neuer¬<lb/> dings beides (jedenfalls zum Schaden seiner Tantiemen, wie auch die „Gemeinde"<lb/> zugeben wird) in seinem Tristan erfahren. Von der Art, in der die französischen<lb/> Ehebruchsdramatiker sich — allerdings sehr zeitgemäß! — diesen Stoff zurecht¬<lb/> zustutzen verstanden, wird uusern spanischen Dichter gesunder Sinn und poetisches<lb/> Verständnis bald abgebracht haben. Aber was soll der dramatische Dichter,<lb/> nicht bloß in Madrid, heutzutage thun? Er befindet sich einem Publikum,<lb/> noch mehr vielleicht Direktionen gegenüber, die solche Kost verlangen, in ihr<lb/> schon den feinsten möglichen Geschmack (von Kant-Aout könnte man ja reden!)<lb/> der fortschreitenden Literatur erkennen. sarkastisch weist das erwähnte Vorspiel<lb/> darauf hin. Er hält sich also an das vorgeschriebene, so eng umgrenzte Stoff¬<lb/> gebiet, und sinnt und diftelt in der Weise seines Dichters im Vorspiel, wieder<lb/> einmal im Sinne des estilo oulto, des spanischen, das hieß „gesuchten" Ge¬<lb/> schmackes nach etwas Neuem. Und — vielleicht infolge der langen Erholung,<lb/> die sich die Literatur des Cervantes gegönnt hat! — gelingt dem Sucher wieder<lb/> einmal ein glücklicher, d. h. ungesuchter Griff, noch kein Don Quixote, aber<lb/> doch fo ein Stück davon. Und wer weiß! Glückliche Finder pflegen nicht bloß<lb/> einmal Glück zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_570" next="#ID_571"> Man sage nicht, daß uns der Analogieteufel im Nacken sitze: ein Stück<lb/> Don Quixote ist dieser Galeotto schließlich seiner Gattung, den Familien- und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Galeotto.
Umstände nicht gerechnet: in diesem Hause befindet sich eine junge Frau — seine
Frau. Der junge Mann, ein Dichter, aber zugleich ein Charakter (kein Tcisso,
wie man verglichen hat), lernt umso rascher damit rechnen. Alle Versuche, ihm
auszuweichen, scheitern an dem reinen, gutmütigen Sinne des unbeugsamen
Wohlthäters. Das ist doch wohl schon eine Art Grundplan, und durch
ein merkwürdiges Zusammentreffen kann unser Publikum in dem gleichzeitig
im Residenzthcater aufgeführten dramatisirten Zugroman des französischen
„Marlitt," der „Gräfin Sarah" des George Ohnet, beobachten, wie sich seine
Ausführung etwa ausnimmt. Sie ist schon nicht mehr ganz französisch, vor
dem raffinirten „auf die Spitze treiben" des „Sittendramas" schreckt Ohnet
bereits zurück; wie überhaupt in diesem Schriftsteller diese Art Arg-mets litte-
raturs, deren Bekämpfung noch vor kurzem frei nach „Meister Laube" nur dem
gelben Neide „unausgeführter" deutscher Autoren Schuld gegeben wurde, sich
allmählich wieder in die Kotzebueschen Niederungen zu verlaufen scheint, von
denen sie ihren Ausgang genommen hat. Der Spanier macht jedenfalls den
Eindruck, vor nichts zurückgeschreckt zu sein. Er wäre leidenschaftlich, bitter,
gewaltsam, nach einem eingefügten Gedichte zu urteilen auch poetisch, wenngleich
nicht lyrisch gewesen. Hier scheint die Grenze seiner Begabung ihm fühlbar
geworden zu sein, nicht zu seinem Nachteil, denn er teilt sie mit seiner Zeit.
Dieser Zeit, wie sie nicht lyrisch ist, steht überhaupt diese Art Stoffe, die be¬
rauschende Blüte einer aufs äußerste lyrischen Periode, nicht an. Sie sind
überdies — ganz natürlich — nicht dramatisch. Richard Wagner hat neuer¬
dings beides (jedenfalls zum Schaden seiner Tantiemen, wie auch die „Gemeinde"
zugeben wird) in seinem Tristan erfahren. Von der Art, in der die französischen
Ehebruchsdramatiker sich — allerdings sehr zeitgemäß! — diesen Stoff zurecht¬
zustutzen verstanden, wird uusern spanischen Dichter gesunder Sinn und poetisches
Verständnis bald abgebracht haben. Aber was soll der dramatische Dichter,
nicht bloß in Madrid, heutzutage thun? Er befindet sich einem Publikum,
noch mehr vielleicht Direktionen gegenüber, die solche Kost verlangen, in ihr
schon den feinsten möglichen Geschmack (von Kant-Aout könnte man ja reden!)
der fortschreitenden Literatur erkennen. sarkastisch weist das erwähnte Vorspiel
darauf hin. Er hält sich also an das vorgeschriebene, so eng umgrenzte Stoff¬
gebiet, und sinnt und diftelt in der Weise seines Dichters im Vorspiel, wieder
einmal im Sinne des estilo oulto, des spanischen, das hieß „gesuchten" Ge¬
schmackes nach etwas Neuem. Und — vielleicht infolge der langen Erholung,
die sich die Literatur des Cervantes gegönnt hat! — gelingt dem Sucher wieder
einmal ein glücklicher, d. h. ungesuchter Griff, noch kein Don Quixote, aber
doch fo ein Stück davon. Und wer weiß! Glückliche Finder pflegen nicht bloß
einmal Glück zu haben.
Man sage nicht, daß uns der Analogieteufel im Nacken sitze: ein Stück
Don Quixote ist dieser Galeotto schließlich seiner Gattung, den Familien- und
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