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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Uarl Friedrich Bahrdt.

nicht minder rechtgläubigen Umgebung besitzen, wie die altersschwache Ortho¬
doxie jede Fähigkeit verloren hatte, die Heilsthatsachcn des Christentums zu
lebendiger innerer Aneignung zu bringen, wie sie jedes religiöse Leben auf¬
gesogen, wie sie als sittliche Macht, die im Volksleben wirksam sein sollte, völlig
bankerott gemacht hatte. All der rechtgläubige Eifer des jungen Magisters war
nichts als angelernter orthodoxer Jargon ohne jedes religiöse Pathos, ödeste
Scholastik, die ein feineres religiöses Empfinden nicht aufkommen ließ. Das
bischen Phantasie n"d Mystik bethätigte sich lediglich darin, daß der so ortho¬
doxe wie lüderliche Student als betrogener Betrüger mit dem Zauberbuche
"Fausts Höllenzwang" experimentirte,*) und auch das nicht etwa ans faustischem
Durst nach Erkenntnis, sondern nur in der unklaren Hoffnung, vielleicht Schätze
dadurch gewinnen und reichlicher von den verbotenen Früchten genießen zu
können, die dem vom Vater sehr knapp gehaltenen Jüngling zu seinem Kummer
versagt waren. Deun weder seine bewußte Rechtgläubigkeit noch die Würde
des allzu früh erlangten Amtes vermochten ihm einen sittlichen Halt zu geben;
ja er gab sogar schließlich durch einen in die Öffentlichkeit gedrungenen schmutzigen
Vorfall derartig Ärgernis, daß er fortan in Leipzig unmöglich war.

Da bot der Geheimrat Klotz in Halle dem Flüchtling die rettende Hand
dar. Er hatte mindestens ein ebenso weites Gewissen wie sein Schützling und
erfreute mit besondrer Vorliebe sittlich brüchige Naturen mit seinem Wohl¬
wollen. Er war gerade dabei, die neu hergestellte Universität zu Erfurt mit
seinen Kreaturen zu besetzen, und was dem leichtfertigen Riedel recht war, das
war dem nicht minder leichtfertigen Bahrdt billig. Er wurde -- nicht zu seinein
Glücke -- als Professor der biblischen Altertümer an die kurmainzische Hoch¬
schule**) berufen, wo sich Riedel freundschaftlichst seiner annahm und ihn in den
dort herrschenden Gcnictou einweihte. Denn ein gut Teil der dortigen Gesell¬
schaft trug alles Fratzenhafte des Genietums an sich, nur ohne die idealen Züge
jeuer bewegten Strebezeit, ja in deu Kreisen, in denen die jungen Professoren zu
verkehren pflegten, war ein so unglaublich gemeiner Ton gäng und gäbe, daß
selbst Bahrdt anfänglich eine Art Schamgefühl empfand und von dem abgehärteten
Riedel wie ein blöder Schäfer verspottet wurde. Doch da er gelehrig war, so
hatte er diese Anwandlung von Prüderie rasch wieder abgeschüttelt und schwamm
nun lustig mit in dem trüben Gewässer dieser Erfurter Geselligkeit. Er verpuffte
seinen Witz hinterm Glase Wein, sprach mit den Damen im Tone eines Fuhr¬
mannes und machte es als Dozent, trotz seiner äußeren Viclgeschäftigkeit, gerade
wie die Klotz und Riedel, da ja auch das Faulenzen zum Genieton gehörte.
In all seinem Thun und Treiben herrscht dieselbe Verwirrung aller sittlichen
Begriffe, wie sie dem ganzen Sturm und Drang eigen war; kommt aber bei




*) Goethe-Jahrbuch II, S, 67.
**) Über die zerfahrenen Zustände an dieser Universität vergl. Erhard, Überlieferungen
zur vaterländischen Geschichte, zweites Heft (Magdeburg, 1W7), S. 73 ff.
Uarl Friedrich Bahrdt.

nicht minder rechtgläubigen Umgebung besitzen, wie die altersschwache Ortho¬
doxie jede Fähigkeit verloren hatte, die Heilsthatsachcn des Christentums zu
lebendiger innerer Aneignung zu bringen, wie sie jedes religiöse Leben auf¬
gesogen, wie sie als sittliche Macht, die im Volksleben wirksam sein sollte, völlig
bankerott gemacht hatte. All der rechtgläubige Eifer des jungen Magisters war
nichts als angelernter orthodoxer Jargon ohne jedes religiöse Pathos, ödeste
Scholastik, die ein feineres religiöses Empfinden nicht aufkommen ließ. Das
bischen Phantasie n»d Mystik bethätigte sich lediglich darin, daß der so ortho¬
doxe wie lüderliche Student als betrogener Betrüger mit dem Zauberbuche
„Fausts Höllenzwang" experimentirte,*) und auch das nicht etwa ans faustischem
Durst nach Erkenntnis, sondern nur in der unklaren Hoffnung, vielleicht Schätze
dadurch gewinnen und reichlicher von den verbotenen Früchten genießen zu
können, die dem vom Vater sehr knapp gehaltenen Jüngling zu seinem Kummer
versagt waren. Deun weder seine bewußte Rechtgläubigkeit noch die Würde
des allzu früh erlangten Amtes vermochten ihm einen sittlichen Halt zu geben;
ja er gab sogar schließlich durch einen in die Öffentlichkeit gedrungenen schmutzigen
Vorfall derartig Ärgernis, daß er fortan in Leipzig unmöglich war.

Da bot der Geheimrat Klotz in Halle dem Flüchtling die rettende Hand
dar. Er hatte mindestens ein ebenso weites Gewissen wie sein Schützling und
erfreute mit besondrer Vorliebe sittlich brüchige Naturen mit seinem Wohl¬
wollen. Er war gerade dabei, die neu hergestellte Universität zu Erfurt mit
seinen Kreaturen zu besetzen, und was dem leichtfertigen Riedel recht war, das
war dem nicht minder leichtfertigen Bahrdt billig. Er wurde — nicht zu seinein
Glücke — als Professor der biblischen Altertümer an die kurmainzische Hoch¬
schule**) berufen, wo sich Riedel freundschaftlichst seiner annahm und ihn in den
dort herrschenden Gcnictou einweihte. Denn ein gut Teil der dortigen Gesell¬
schaft trug alles Fratzenhafte des Genietums an sich, nur ohne die idealen Züge
jeuer bewegten Strebezeit, ja in deu Kreisen, in denen die jungen Professoren zu
verkehren pflegten, war ein so unglaublich gemeiner Ton gäng und gäbe, daß
selbst Bahrdt anfänglich eine Art Schamgefühl empfand und von dem abgehärteten
Riedel wie ein blöder Schäfer verspottet wurde. Doch da er gelehrig war, so
hatte er diese Anwandlung von Prüderie rasch wieder abgeschüttelt und schwamm
nun lustig mit in dem trüben Gewässer dieser Erfurter Geselligkeit. Er verpuffte
seinen Witz hinterm Glase Wein, sprach mit den Damen im Tone eines Fuhr¬
mannes und machte es als Dozent, trotz seiner äußeren Viclgeschäftigkeit, gerade
wie die Klotz und Riedel, da ja auch das Faulenzen zum Genieton gehörte.
In all seinem Thun und Treiben herrscht dieselbe Verwirrung aller sittlichen
Begriffe, wie sie dem ganzen Sturm und Drang eigen war; kommt aber bei




*) Goethe-Jahrbuch II, S, 67.
**) Über die zerfahrenen Zustände an dieser Universität vergl. Erhard, Überlieferungen
zur vaterländischen Geschichte, zweites Heft (Magdeburg, 1W7), S. 73 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/24>, abgerufen am 04.07.2024.