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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Aber dieser erkünstelte Heroismus war ein unhaltbarer Zustand. Mit der
ganzen Macht der Naturnotwendigkeit fühlte sie sich nach Jena, an Schellings
Seite, hingezogen, obgleich sie die Nähe Friedrichs und der Veit fürchtete wie
das Feuer. Nachdem sie gleichsam zögernd noch eine Reise nach Harburg und
Hamburg zu Verwandten gemacht hatte, kehrte sie nach Jena zurück. Ihr Gatte
war nicht sehr erbaut davon. Aber Karoline erklärte ihm unumwunden: "Ich
kann niemals Schelling als Freund verleugnen, aber auch keine Grenze über¬
schreiten, über die wir einverstanden sind. Dies ist das erste und einzige Ge¬
lübde meines Lebens, und ich werde es halten, denn ich habe ihn angenommen
in meiner Seele als den Bruder meines Kindes. Dadurch, daß ein verräte¬
risches Geheimnis zwischen uns wegfüllt, gewinnt alles eine andre Gestalt,
zuerst für uns selbst, und diese Sicherheit geht in die Umgebungen über. Ich
glaube daher nach Jena gehen zu können."

Im April 1801 kam sie dort an; um allem Gerede von vornherein die
Spitze abzubrechen, hatte sie sich von ihrer Schwester Luise begleiten lassen und
behielt diese einige Zeit bei sich. Friedrich schreibt an den Bruder: "Karoline
ist vorigen Donnerstag Abend hier angekommen. Ich glaubte auch, weil du sie
noch als deine Frau zu agnosziren scheinst, ihr einen Besuch machen zu müssen;
er ist zwar von beiden Seiten recht höflich ausgefallen, aber doch so frostig,
daß ich zweifle, ob ich ihn ohne besondre Veranlassung so bald wiederholen
werde." Wilhelm Schlegel war nun ganz in Försters Lage. Er erwarb sich
mühsam in Berlin seineu Unterhalt und mußte daneben für den Haushalt seiner
ihm halb entfremdeten Frau, ja für deren Ehrenwache sorgen. Und wie Förster
Hudern, so bewahrte er Schelling die aufrichtigste Freundschaft. Wiederholt
war er auf längere Zeit in Jena, aber freilich nur, um mehr und mehr einzu¬
sehen, wie die Kluft immer breiter wurde, die ihn von seiner Frau schied, denn
Karoline versenkte sich im täglichen vertrauten Umgange völlig in Schelling.
Zum Bruche mußte es kommen, selbst wenn Schlegel, wie Karoline es ver¬
langte, sich ganz von dem Bruder trennte. Aber auch dies konnte der gut¬
herzige und etwas schwache Mann nicht, er schwankte mit einer beträchtlichen
Neigung zu Friedrich und dessen Freunde. Eine merkwürdige literarische Fehde
beschleunigte endlich die Krisis. Am 2. Januar 1802 war Wilhelms "Ion"
auf der Weimarischen Bühne in Szene gegangen. Bald darauf erschien in der
von Spazier herausgegebenen "Zeitung für die elegante Welt" ein Bericht über
diese Aufführung, in dem die Leistungen der Darsteller in wohlwollender Weise
besprochen wurden. Der Aufsatz rührte von Karoline her, auch Schelling hatte
die Hand dabei im Spiele gehabt. Beide machten dem Freunde in Berlin gegen¬
über kein Geheimnis daraus, aber dieser ärgerte sich, daß des Dichters so
wenig gedacht und sein Ion "ein Schauspiel nach dem Euripides" genannt
worden war. In einer Erwiderung an den Herausgeber gerichtet bezeichnete
er, natürlich unter der Maske des unparteiischen Anonymus, das Stück als


Dichterfreundinnen.

Aber dieser erkünstelte Heroismus war ein unhaltbarer Zustand. Mit der
ganzen Macht der Naturnotwendigkeit fühlte sie sich nach Jena, an Schellings
Seite, hingezogen, obgleich sie die Nähe Friedrichs und der Veit fürchtete wie
das Feuer. Nachdem sie gleichsam zögernd noch eine Reise nach Harburg und
Hamburg zu Verwandten gemacht hatte, kehrte sie nach Jena zurück. Ihr Gatte
war nicht sehr erbaut davon. Aber Karoline erklärte ihm unumwunden: „Ich
kann niemals Schelling als Freund verleugnen, aber auch keine Grenze über¬
schreiten, über die wir einverstanden sind. Dies ist das erste und einzige Ge¬
lübde meines Lebens, und ich werde es halten, denn ich habe ihn angenommen
in meiner Seele als den Bruder meines Kindes. Dadurch, daß ein verräte¬
risches Geheimnis zwischen uns wegfüllt, gewinnt alles eine andre Gestalt,
zuerst für uns selbst, und diese Sicherheit geht in die Umgebungen über. Ich
glaube daher nach Jena gehen zu können."

Im April 1801 kam sie dort an; um allem Gerede von vornherein die
Spitze abzubrechen, hatte sie sich von ihrer Schwester Luise begleiten lassen und
behielt diese einige Zeit bei sich. Friedrich schreibt an den Bruder: „Karoline
ist vorigen Donnerstag Abend hier angekommen. Ich glaubte auch, weil du sie
noch als deine Frau zu agnosziren scheinst, ihr einen Besuch machen zu müssen;
er ist zwar von beiden Seiten recht höflich ausgefallen, aber doch so frostig,
daß ich zweifle, ob ich ihn ohne besondre Veranlassung so bald wiederholen
werde." Wilhelm Schlegel war nun ganz in Försters Lage. Er erwarb sich
mühsam in Berlin seineu Unterhalt und mußte daneben für den Haushalt seiner
ihm halb entfremdeten Frau, ja für deren Ehrenwache sorgen. Und wie Förster
Hudern, so bewahrte er Schelling die aufrichtigste Freundschaft. Wiederholt
war er auf längere Zeit in Jena, aber freilich nur, um mehr und mehr einzu¬
sehen, wie die Kluft immer breiter wurde, die ihn von seiner Frau schied, denn
Karoline versenkte sich im täglichen vertrauten Umgange völlig in Schelling.
Zum Bruche mußte es kommen, selbst wenn Schlegel, wie Karoline es ver¬
langte, sich ganz von dem Bruder trennte. Aber auch dies konnte der gut¬
herzige und etwas schwache Mann nicht, er schwankte mit einer beträchtlichen
Neigung zu Friedrich und dessen Freunde. Eine merkwürdige literarische Fehde
beschleunigte endlich die Krisis. Am 2. Januar 1802 war Wilhelms „Ion"
auf der Weimarischen Bühne in Szene gegangen. Bald darauf erschien in der
von Spazier herausgegebenen „Zeitung für die elegante Welt" ein Bericht über
diese Aufführung, in dem die Leistungen der Darsteller in wohlwollender Weise
besprochen wurden. Der Aufsatz rührte von Karoline her, auch Schelling hatte
die Hand dabei im Spiele gehabt. Beide machten dem Freunde in Berlin gegen¬
über kein Geheimnis daraus, aber dieser ärgerte sich, daß des Dichters so
wenig gedacht und sein Ion „ein Schauspiel nach dem Euripides" genannt
worden war. In einer Erwiderung an den Herausgeber gerichtet bezeichnete
er, natürlich unter der Maske des unparteiischen Anonymus, das Stück als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/239>, abgerufen am 22.07.2024.