Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichterfreundinnen.

sie selbst so manches durchlebt hatte, war ihre Tochter Auguste (geb. 1785) zur
fünfzehnjährigen Jungfrau Herangewachsen. In den Briefen, die beide Schlegel
und die Mutter an sie richten, sowie aus deu Äußerungen, die sie gelegentlich
gethan haben soll, erkennt man in ihr wenig mehr als ein sehr frühreifes und
mit aller Gewalt zur Frühreife hingedrängtes Kind, das in der kritisch-ironischen
Atmosphäre der Romantik geistig wie in heißer Treibhausluft aufschoß, doch
wird sie auch von Fernerstehenden als ein sehr liebenswürdiges und hochbegabtes
Mädchen gepriesen, und das Bild, welches G. Waitz dem ersten Bande seiner
"Karoline" vorangestellt hat, widerspricht dem nicht. Diese Tochter bestimmte
Karoline ihrem angebeteten Schelling zur Frau und wollte ihn damit als Sohn
an ihr Herz ziehen. Schelling scheint ganz damit einverstanden gewesen zu sein,
das trauliche Du zwischen den so Verbundenen besiegelte den Bund. Im
Frühjahr 1800 erkrankte Karoline am Nervenfieber und hatte an den Folgen
desselben so schwer zu leiden, daß der Arzt ihr dringend riet, ein Bad zu be¬
suchen. Von Augusten und Schelling begleitet, ging sie nach Bocktet. Wie merk¬
würdig verschlungen das Verhältnis der drei Seelenfreunde war, ersieht man
aus einem Briefe Augustens an Schelling, ihren "lieben Mull": "Ich danke dir
recht sehr für das Mittel, das du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen
zu amüsiren, es schlägt herrlich an. Wenn ich auch noch so viel Narrenspossen
treibe, sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: "wie
sehr er dich liebt," und sie wird gleich mutig. Das erste mal, als ich es ihr
sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr du sie denn liebtest, da war nun meine
Weisheit aus, und ich half mir nur geschwind damit, daß ich sagte: mehr als
alles; sie war zufrieden, und ich hoffe, du wirst es auch sein." In Bamberg
gab es einen mehrwochentlichen Aufenthalt, weil die Witterung auffallend kühl
wurde, Schelling machte unterdes eine Reise nach Schwaben und traf mit seinen
Lieben erst in Bocktet wieder zusammen, wo er Karolinen vollkommen hergestellt,
Augusten aber krank fand. Das zarte Kind wurde von der Ruhr ergriffen
und starb am 12. August. Zum Unglück entstand noch ein schlimmes Gerede,
welches Schelling beschuldigte, den Tod der Kranken durch eine zu starke Dosis
Opium herbeigeführt zu haben und welches noch zwei Jahre später ein Pasquill
in der Jenaer Literaturzeitung hervorrief. Durch das übereinstimmende Zeugnis
Wilhelm Schlegels und mehrerer Ärzte, die Auguste zwar nicht behandelt hatten,
aber um diese Zeit in Bocktet gewesen waren, wurde Schelling gerechtfertigt
und der Nachweis geführt, daß der behandelnde Arzt, um den Verdacht der
Ungeschicklichkeit von sich abzuwenden, das Gerücht ausgesprengt hatte.

Die Wirkung, welche dieser erschütternde Fall auf die davon betroffenen
ausübte, wirft ein grelles Licht über den kleinen, von Leidenschaften beengten
Kreis. Natürlich und zugleich maßvoll erscheint der Schmerz bei Karolinen:
sie trauerte tief, litt körperlich darunter, aber suchte sich zu fassen, indem sie
ihre Gedanken zu einem höheren und allgemeineren Standpunkte.hindrängte;


Dichterfreundinnen.

sie selbst so manches durchlebt hatte, war ihre Tochter Auguste (geb. 1785) zur
fünfzehnjährigen Jungfrau Herangewachsen. In den Briefen, die beide Schlegel
und die Mutter an sie richten, sowie aus deu Äußerungen, die sie gelegentlich
gethan haben soll, erkennt man in ihr wenig mehr als ein sehr frühreifes und
mit aller Gewalt zur Frühreife hingedrängtes Kind, das in der kritisch-ironischen
Atmosphäre der Romantik geistig wie in heißer Treibhausluft aufschoß, doch
wird sie auch von Fernerstehenden als ein sehr liebenswürdiges und hochbegabtes
Mädchen gepriesen, und das Bild, welches G. Waitz dem ersten Bande seiner
„Karoline" vorangestellt hat, widerspricht dem nicht. Diese Tochter bestimmte
Karoline ihrem angebeteten Schelling zur Frau und wollte ihn damit als Sohn
an ihr Herz ziehen. Schelling scheint ganz damit einverstanden gewesen zu sein,
das trauliche Du zwischen den so Verbundenen besiegelte den Bund. Im
Frühjahr 1800 erkrankte Karoline am Nervenfieber und hatte an den Folgen
desselben so schwer zu leiden, daß der Arzt ihr dringend riet, ein Bad zu be¬
suchen. Von Augusten und Schelling begleitet, ging sie nach Bocktet. Wie merk¬
würdig verschlungen das Verhältnis der drei Seelenfreunde war, ersieht man
aus einem Briefe Augustens an Schelling, ihren „lieben Mull": „Ich danke dir
recht sehr für das Mittel, das du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen
zu amüsiren, es schlägt herrlich an. Wenn ich auch noch so viel Narrenspossen
treibe, sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: »wie
sehr er dich liebt,« und sie wird gleich mutig. Das erste mal, als ich es ihr
sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr du sie denn liebtest, da war nun meine
Weisheit aus, und ich half mir nur geschwind damit, daß ich sagte: mehr als
alles; sie war zufrieden, und ich hoffe, du wirst es auch sein." In Bamberg
gab es einen mehrwochentlichen Aufenthalt, weil die Witterung auffallend kühl
wurde, Schelling machte unterdes eine Reise nach Schwaben und traf mit seinen
Lieben erst in Bocktet wieder zusammen, wo er Karolinen vollkommen hergestellt,
Augusten aber krank fand. Das zarte Kind wurde von der Ruhr ergriffen
und starb am 12. August. Zum Unglück entstand noch ein schlimmes Gerede,
welches Schelling beschuldigte, den Tod der Kranken durch eine zu starke Dosis
Opium herbeigeführt zu haben und welches noch zwei Jahre später ein Pasquill
in der Jenaer Literaturzeitung hervorrief. Durch das übereinstimmende Zeugnis
Wilhelm Schlegels und mehrerer Ärzte, die Auguste zwar nicht behandelt hatten,
aber um diese Zeit in Bocktet gewesen waren, wurde Schelling gerechtfertigt
und der Nachweis geführt, daß der behandelnde Arzt, um den Verdacht der
Ungeschicklichkeit von sich abzuwenden, das Gerücht ausgesprengt hatte.

Die Wirkung, welche dieser erschütternde Fall auf die davon betroffenen
ausübte, wirft ein grelles Licht über den kleinen, von Leidenschaften beengten
Kreis. Natürlich und zugleich maßvoll erscheint der Schmerz bei Karolinen:
sie trauerte tief, litt körperlich darunter, aber suchte sich zu fassen, indem sie
ihre Gedanken zu einem höheren und allgemeineren Standpunkte.hindrängte;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201665"/>
          <fw type="header" place="top"> Dichterfreundinnen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_550" prev="#ID_549"> sie selbst so manches durchlebt hatte, war ihre Tochter Auguste (geb. 1785) zur<lb/>
fünfzehnjährigen Jungfrau Herangewachsen. In den Briefen, die beide Schlegel<lb/>
und die Mutter an sie richten, sowie aus deu Äußerungen, die sie gelegentlich<lb/>
gethan haben soll, erkennt man in ihr wenig mehr als ein sehr frühreifes und<lb/>
mit aller Gewalt zur Frühreife hingedrängtes Kind, das in der kritisch-ironischen<lb/>
Atmosphäre der Romantik geistig wie in heißer Treibhausluft aufschoß, doch<lb/>
wird sie auch von Fernerstehenden als ein sehr liebenswürdiges und hochbegabtes<lb/>
Mädchen gepriesen, und das Bild, welches G. Waitz dem ersten Bande seiner<lb/>
&#x201E;Karoline" vorangestellt hat, widerspricht dem nicht. Diese Tochter bestimmte<lb/>
Karoline ihrem angebeteten Schelling zur Frau und wollte ihn damit als Sohn<lb/>
an ihr Herz ziehen. Schelling scheint ganz damit einverstanden gewesen zu sein,<lb/>
das trauliche Du zwischen den so Verbundenen besiegelte den Bund. Im<lb/>
Frühjahr 1800 erkrankte Karoline am Nervenfieber und hatte an den Folgen<lb/>
desselben so schwer zu leiden, daß der Arzt ihr dringend riet, ein Bad zu be¬<lb/>
suchen. Von Augusten und Schelling begleitet, ging sie nach Bocktet. Wie merk¬<lb/>
würdig verschlungen das Verhältnis der drei Seelenfreunde war, ersieht man<lb/>
aus einem Briefe Augustens an Schelling, ihren &#x201E;lieben Mull": &#x201E;Ich danke dir<lb/>
recht sehr für das Mittel, das du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen<lb/>
zu amüsiren, es schlägt herrlich an. Wenn ich auch noch so viel Narrenspossen<lb/>
treibe, sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: »wie<lb/>
sehr er dich liebt,« und sie wird gleich mutig. Das erste mal, als ich es ihr<lb/>
sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr du sie denn liebtest, da war nun meine<lb/>
Weisheit aus, und ich half mir nur geschwind damit, daß ich sagte: mehr als<lb/>
alles; sie war zufrieden, und ich hoffe, du wirst es auch sein." In Bamberg<lb/>
gab es einen mehrwochentlichen Aufenthalt, weil die Witterung auffallend kühl<lb/>
wurde, Schelling machte unterdes eine Reise nach Schwaben und traf mit seinen<lb/>
Lieben erst in Bocktet wieder zusammen, wo er Karolinen vollkommen hergestellt,<lb/>
Augusten aber krank fand. Das zarte Kind wurde von der Ruhr ergriffen<lb/>
und starb am 12. August. Zum Unglück entstand noch ein schlimmes Gerede,<lb/>
welches Schelling beschuldigte, den Tod der Kranken durch eine zu starke Dosis<lb/>
Opium herbeigeführt zu haben und welches noch zwei Jahre später ein Pasquill<lb/>
in der Jenaer Literaturzeitung hervorrief. Durch das übereinstimmende Zeugnis<lb/>
Wilhelm Schlegels und mehrerer Ärzte, die Auguste zwar nicht behandelt hatten,<lb/>
aber um diese Zeit in Bocktet gewesen waren, wurde Schelling gerechtfertigt<lb/>
und der Nachweis geführt, daß der behandelnde Arzt, um den Verdacht der<lb/>
Ungeschicklichkeit von sich abzuwenden, das Gerücht ausgesprengt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_551" next="#ID_552"> Die Wirkung, welche dieser erschütternde Fall auf die davon betroffenen<lb/>
ausübte, wirft ein grelles Licht über den kleinen, von Leidenschaften beengten<lb/>
Kreis. Natürlich und zugleich maßvoll erscheint der Schmerz bei Karolinen:<lb/>
sie trauerte tief, litt körperlich darunter, aber suchte sich zu fassen, indem sie<lb/>
ihre Gedanken zu einem höheren und allgemeineren Standpunkte.hindrängte;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] Dichterfreundinnen. sie selbst so manches durchlebt hatte, war ihre Tochter Auguste (geb. 1785) zur fünfzehnjährigen Jungfrau Herangewachsen. In den Briefen, die beide Schlegel und die Mutter an sie richten, sowie aus deu Äußerungen, die sie gelegentlich gethan haben soll, erkennt man in ihr wenig mehr als ein sehr frühreifes und mit aller Gewalt zur Frühreife hingedrängtes Kind, das in der kritisch-ironischen Atmosphäre der Romantik geistig wie in heißer Treibhausluft aufschoß, doch wird sie auch von Fernerstehenden als ein sehr liebenswürdiges und hochbegabtes Mädchen gepriesen, und das Bild, welches G. Waitz dem ersten Bande seiner „Karoline" vorangestellt hat, widerspricht dem nicht. Diese Tochter bestimmte Karoline ihrem angebeteten Schelling zur Frau und wollte ihn damit als Sohn an ihr Herz ziehen. Schelling scheint ganz damit einverstanden gewesen zu sein, das trauliche Du zwischen den so Verbundenen besiegelte den Bund. Im Frühjahr 1800 erkrankte Karoline am Nervenfieber und hatte an den Folgen desselben so schwer zu leiden, daß der Arzt ihr dringend riet, ein Bad zu be¬ suchen. Von Augusten und Schelling begleitet, ging sie nach Bocktet. Wie merk¬ würdig verschlungen das Verhältnis der drei Seelenfreunde war, ersieht man aus einem Briefe Augustens an Schelling, ihren „lieben Mull": „Ich danke dir recht sehr für das Mittel, das du mir an die Hand gegeben hast, Mütterchen zu amüsiren, es schlägt herrlich an. Wenn ich auch noch so viel Narrenspossen treibe, sie zu unterhalten, und es will nicht anschlagen, so sage ich nur: »wie sehr er dich liebt,« und sie wird gleich mutig. Das erste mal, als ich es ihr sagte, wollte sie auch wissen, wie sehr du sie denn liebtest, da war nun meine Weisheit aus, und ich half mir nur geschwind damit, daß ich sagte: mehr als alles; sie war zufrieden, und ich hoffe, du wirst es auch sein." In Bamberg gab es einen mehrwochentlichen Aufenthalt, weil die Witterung auffallend kühl wurde, Schelling machte unterdes eine Reise nach Schwaben und traf mit seinen Lieben erst in Bocktet wieder zusammen, wo er Karolinen vollkommen hergestellt, Augusten aber krank fand. Das zarte Kind wurde von der Ruhr ergriffen und starb am 12. August. Zum Unglück entstand noch ein schlimmes Gerede, welches Schelling beschuldigte, den Tod der Kranken durch eine zu starke Dosis Opium herbeigeführt zu haben und welches noch zwei Jahre später ein Pasquill in der Jenaer Literaturzeitung hervorrief. Durch das übereinstimmende Zeugnis Wilhelm Schlegels und mehrerer Ärzte, die Auguste zwar nicht behandelt hatten, aber um diese Zeit in Bocktet gewesen waren, wurde Schelling gerechtfertigt und der Nachweis geführt, daß der behandelnde Arzt, um den Verdacht der Ungeschicklichkeit von sich abzuwenden, das Gerücht ausgesprengt hatte. Die Wirkung, welche dieser erschütternde Fall auf die davon betroffenen ausübte, wirft ein grelles Licht über den kleinen, von Leidenschaften beengten Kreis. Natürlich und zugleich maßvoll erscheint der Schmerz bei Karolinen: sie trauerte tief, litt körperlich darunter, aber suchte sich zu fassen, indem sie ihre Gedanken zu einem höheren und allgemeineren Standpunkte.hindrängte;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/236>, abgerufen am 22.07.2024.