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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Alchemie.

tugendhaft", Menschen werden, wenn solche Gnade über ihn gekommen sei,
Adept der Alchemie zu werden. Erst um die Mitte des achtzehnten Jahr¬
hunderts, zugleich mit der Erschütterung des Wunderglaubens auf andern Ge¬
bieten, vollzog sich der Umschwung zu Ungunsten der Alchemie. Die Alchemisten
waren zu allen Zeiten Betrogene oder Betrüger gewesen. Bekannt waren alche¬
mistische Betrügereien schon in früheren Jahrhunderten. Münzen, angeblich
alchemistischen Ursprunges, ergaben sich als aus unedeln Metall bestehend,
andre Produkte der geheimen Kunst erwiesen sich lediglich als geringwertige
gold- oder Silberfarbige Legirungen. Freilich kam bei andern alchemistischen
Arbeiten wirkliches Gold und Silber zum Vorschein, aber nur als das Ergebnis
der gröblichsten Täuschungen: edles Metall wurde vor Beginn der Arbeit in
dem doppelten Boden des Tiegels oder in einer Höhlung des Rührstabes ver¬
borgen, und was dergleichen Taschenspielerkünste mehr waren. Die Zahl solcher
bewußten und absichtlichen Gaunereien nahm aber mit der Zeit umsomehr zu,
je stärker sich das Bedürfnis nach alchemistischer Hilfe zumal an fürstlichen
Höfen geltend machte, und ihre Entlarvung hatte umso härtere Strafen zur
Folge, je mehr persönliche Einbuße die Beschützer der Künstler erlitten hatten.
Körperliche Züchtigung war noch eine milde Form; in vielen Füllen wurden
alchemistische Betrüger durch die Todesstrafe getroffen, deren Anwendung zu¬
gleich das sicherste Mittel war, diejenigen, deren Vertrauen so arg getäuscht
worden war, vor bloßstellenden Erzählungen ihrer Leichtgläubigkeit und Habgier
zu schützen. Wenn schon die kostspieligen Versuche der im Dienste von Hoch¬
gestellten arbeitenden Alchemisten mehr auf die Leerung als auf die Füllung
der Taschen ihrer Dienstherren hinausliefen, so gerieten die Arbeiter selbst nicht
minder in Elend und Geldbedrängnis. Oft war von Verständigeren davor
gewarnt worden, obgleich die bitteren Erfahrungen allein laut genug dagegen
hätten predige" können. Aber thatsächlich fanden solche Mahnungen erst im
achtzehnten Jahrhundert in weiteren Kreisen Gehör. Jetzt mehrte sich much die
Zahl der antialchemistischen Schriften, Schwarzkünstler erschienen auf der Bühne
als komische Figuren. Von nachhaltigster Bedeutung war es jedoch, daß die
wissenschaftliche Chemie ihre Unterstützung der Alchemie mehr und mehr entzog.
Noch glimmte der Glaube an sie besonders in den weniger unterrichteten
Schichten des Volkes weiter; daß er anch da bald erlöschen werde, wurde gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts gehofft, aber noch einmal flackerte er auf, und
zwar in hochstehenden Kreisen der Gesellschaft, dnrch die Verbreitung rvsen-
kreuzerischer Bestrebungen.

Ein Theologe, namens Andreae, hatte zu Anfang des siebzehnten Jahr¬
hunderts in einigen Schriften auf einen angeblich zweihundert Jahre vorher
durch einen gewissen Rosenkranz gestifteten Bund aufmerksam gemacht, der die
Besserung der Welt und der Menschen durch Hinführung derselben zur wahren
Philosophie und Religion, sowie die Verminderung des menschlichen Elends


Die Alchemie.

tugendhaft«, Menschen werden, wenn solche Gnade über ihn gekommen sei,
Adept der Alchemie zu werden. Erst um die Mitte des achtzehnten Jahr¬
hunderts, zugleich mit der Erschütterung des Wunderglaubens auf andern Ge¬
bieten, vollzog sich der Umschwung zu Ungunsten der Alchemie. Die Alchemisten
waren zu allen Zeiten Betrogene oder Betrüger gewesen. Bekannt waren alche¬
mistische Betrügereien schon in früheren Jahrhunderten. Münzen, angeblich
alchemistischen Ursprunges, ergaben sich als aus unedeln Metall bestehend,
andre Produkte der geheimen Kunst erwiesen sich lediglich als geringwertige
gold- oder Silberfarbige Legirungen. Freilich kam bei andern alchemistischen
Arbeiten wirkliches Gold und Silber zum Vorschein, aber nur als das Ergebnis
der gröblichsten Täuschungen: edles Metall wurde vor Beginn der Arbeit in
dem doppelten Boden des Tiegels oder in einer Höhlung des Rührstabes ver¬
borgen, und was dergleichen Taschenspielerkünste mehr waren. Die Zahl solcher
bewußten und absichtlichen Gaunereien nahm aber mit der Zeit umsomehr zu,
je stärker sich das Bedürfnis nach alchemistischer Hilfe zumal an fürstlichen
Höfen geltend machte, und ihre Entlarvung hatte umso härtere Strafen zur
Folge, je mehr persönliche Einbuße die Beschützer der Künstler erlitten hatten.
Körperliche Züchtigung war noch eine milde Form; in vielen Füllen wurden
alchemistische Betrüger durch die Todesstrafe getroffen, deren Anwendung zu¬
gleich das sicherste Mittel war, diejenigen, deren Vertrauen so arg getäuscht
worden war, vor bloßstellenden Erzählungen ihrer Leichtgläubigkeit und Habgier
zu schützen. Wenn schon die kostspieligen Versuche der im Dienste von Hoch¬
gestellten arbeitenden Alchemisten mehr auf die Leerung als auf die Füllung
der Taschen ihrer Dienstherren hinausliefen, so gerieten die Arbeiter selbst nicht
minder in Elend und Geldbedrängnis. Oft war von Verständigeren davor
gewarnt worden, obgleich die bitteren Erfahrungen allein laut genug dagegen
hätten predige» können. Aber thatsächlich fanden solche Mahnungen erst im
achtzehnten Jahrhundert in weiteren Kreisen Gehör. Jetzt mehrte sich much die
Zahl der antialchemistischen Schriften, Schwarzkünstler erschienen auf der Bühne
als komische Figuren. Von nachhaltigster Bedeutung war es jedoch, daß die
wissenschaftliche Chemie ihre Unterstützung der Alchemie mehr und mehr entzog.
Noch glimmte der Glaube an sie besonders in den weniger unterrichteten
Schichten des Volkes weiter; daß er anch da bald erlöschen werde, wurde gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts gehofft, aber noch einmal flackerte er auf, und
zwar in hochstehenden Kreisen der Gesellschaft, dnrch die Verbreitung rvsen-
kreuzerischer Bestrebungen.

Ein Theologe, namens Andreae, hatte zu Anfang des siebzehnten Jahr¬
hunderts in einigen Schriften auf einen angeblich zweihundert Jahre vorher
durch einen gewissen Rosenkranz gestifteten Bund aufmerksam gemacht, der die
Besserung der Welt und der Menschen durch Hinführung derselben zur wahren
Philosophie und Religion, sowie die Verminderung des menschlichen Elends


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[0228] Die Alchemie. tugendhaft«, Menschen werden, wenn solche Gnade über ihn gekommen sei, Adept der Alchemie zu werden. Erst um die Mitte des achtzehnten Jahr¬ hunderts, zugleich mit der Erschütterung des Wunderglaubens auf andern Ge¬ bieten, vollzog sich der Umschwung zu Ungunsten der Alchemie. Die Alchemisten waren zu allen Zeiten Betrogene oder Betrüger gewesen. Bekannt waren alche¬ mistische Betrügereien schon in früheren Jahrhunderten. Münzen, angeblich alchemistischen Ursprunges, ergaben sich als aus unedeln Metall bestehend, andre Produkte der geheimen Kunst erwiesen sich lediglich als geringwertige gold- oder Silberfarbige Legirungen. Freilich kam bei andern alchemistischen Arbeiten wirkliches Gold und Silber zum Vorschein, aber nur als das Ergebnis der gröblichsten Täuschungen: edles Metall wurde vor Beginn der Arbeit in dem doppelten Boden des Tiegels oder in einer Höhlung des Rührstabes ver¬ borgen, und was dergleichen Taschenspielerkünste mehr waren. Die Zahl solcher bewußten und absichtlichen Gaunereien nahm aber mit der Zeit umsomehr zu, je stärker sich das Bedürfnis nach alchemistischer Hilfe zumal an fürstlichen Höfen geltend machte, und ihre Entlarvung hatte umso härtere Strafen zur Folge, je mehr persönliche Einbuße die Beschützer der Künstler erlitten hatten. Körperliche Züchtigung war noch eine milde Form; in vielen Füllen wurden alchemistische Betrüger durch die Todesstrafe getroffen, deren Anwendung zu¬ gleich das sicherste Mittel war, diejenigen, deren Vertrauen so arg getäuscht worden war, vor bloßstellenden Erzählungen ihrer Leichtgläubigkeit und Habgier zu schützen. Wenn schon die kostspieligen Versuche der im Dienste von Hoch¬ gestellten arbeitenden Alchemisten mehr auf die Leerung als auf die Füllung der Taschen ihrer Dienstherren hinausliefen, so gerieten die Arbeiter selbst nicht minder in Elend und Geldbedrängnis. Oft war von Verständigeren davor gewarnt worden, obgleich die bitteren Erfahrungen allein laut genug dagegen hätten predige» können. Aber thatsächlich fanden solche Mahnungen erst im achtzehnten Jahrhundert in weiteren Kreisen Gehör. Jetzt mehrte sich much die Zahl der antialchemistischen Schriften, Schwarzkünstler erschienen auf der Bühne als komische Figuren. Von nachhaltigster Bedeutung war es jedoch, daß die wissenschaftliche Chemie ihre Unterstützung der Alchemie mehr und mehr entzog. Noch glimmte der Glaube an sie besonders in den weniger unterrichteten Schichten des Volkes weiter; daß er anch da bald erlöschen werde, wurde gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gehofft, aber noch einmal flackerte er auf, und zwar in hochstehenden Kreisen der Gesellschaft, dnrch die Verbreitung rvsen- kreuzerischer Bestrebungen. Ein Theologe, namens Andreae, hatte zu Anfang des siebzehnten Jahr¬ hunderts in einigen Schriften auf einen angeblich zweihundert Jahre vorher durch einen gewissen Rosenkranz gestifteten Bund aufmerksam gemacht, der die Besserung der Welt und der Menschen durch Hinführung derselben zur wahren Philosophie und Religion, sowie die Verminderung des menschlichen Elends

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/228>, abgerufen am 22.07.2024.