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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Alchemie.

mischen Autoritäten, welche ein Jahrtausend hindurch sich für die Möglichkeit
der künstlichen Hervorbringung edler Metalle verbürgt haben. Das bisher der
Alchemie geschenkte Vertrauen verwandelte sich allmählich in Mißtrauen, der
Glaube in Unglaube.

Man fragt staunend, wie es möglich war, daß eine auf objektiv Unwahrem
sich aufbauende Lehre nicht nur die Vorstellungen des Volkes, sondern auch
der erleuchtetsten Vertreter der Wissenschaft so lange beherrschte. Kein Zweifel,
daß dem am letzten Ende das auch in unsrer Zeit noch nicht ausgestorbene
Behagen am Wunderbaren zu Grunde lag. Und wenn irgendwo, so war in
der Alchemie der Wunsch der Vater des Gedankens: Am Golde hängt, nach
Golde drängt doch alles. Autoritäten ersten Ranges versicherten in jedem Jahr¬
hundert immer von neuem, die Metallverwcmdlung sei möglich, sie selbst hätten
sie mit Erfolg betrieben, man sah sie von Machthabern und gekrönten Häuptern
mit Gunst- und Ehrenbezeugungen überhäuft. Das alles forderte zum Glauben
heraus und verschaffte ihm immer neue Stützen. Der Unsinn des Ganzen
wurde bei dem tiefen Stande der exakten Naturwissenschaften nicht erkannt. Die
für unser Zeitalter so verdächtige Geheimniskrämerei, der Mangel an klaren
und bündigen Lehrsätzen und Anweisungen wog leicht im Vergleich mit den
scheinbar handgreiflichen Beweisen für die Richtigkeit der Sache. In vielen
Familien hatte man oft zu einem Schmuckstück verarbeitetes Gold, dessen Ur¬
sprung die Tradition aus einer alchemistischen Werkstätte mit Bestimmtheit her¬
leitete. In der Schatzkammer zu Wien befand sich noch 1797 eine große Denk¬
münze, gefertigt aus 2//^ Pfund angeblich alchemistischen Goldes. Eine gleiche
Denkmünze besaß die Sammlung auf Schloß Ambras in Tirol. Anderwärts
wurden aus alchemistischem Golde mehr oder weniger gangbare Münzen geschlagen.
Hierher gehören die englischen Nosenobel aus dem vierzehnten und dänische Du¬
katen ans dem siebzehnten Jahrhundert. Zahlreiche wohlthätige Stiftungen aus
derselben Quelle galten ebenso als notorisch, wie die höchst wohlthätige Wirkung
des Steins der Weisen ans den menschlichen Organismus. Wer heutzutage auf die
medizinische Wirkung der famosen Haarpillen oder das erfolgreiche Besprechen der
Gesichtsrose schwört, vermag der noch, ohne zu den scheinheiligen zu gehöre", über
alchemistische Verirrungen früherer Jahrhunderte die Achseln zu zucken?' Auch
Juristen stellten sich in ihren Erkenntnissen wiederholt auf den Standpunkt der
Wahrhaftigkeit der Alchemie. Und schließlich kam auch die Religion mit ins
Spiel. Es hatte sich die Auffnsfung gebildet, daß es auf besondrer göttlicher
Auswahl beruhe, wenn sich jemand zu dem höchsten alchemistischen Wissen erhebe,
und daß ein dazu nicht auserkorener weder durch geistige Anstrengung, noch
durch Anwendung von Gewaltmitteln das Ziel der Alchemie erreichen könne.
Moses und der Evangelist Johannes, Hiob, Salomo, Jesaias und andre
biblische Persönlichkeiten galten so als Alchemisten von Gottes Gnaden. Ander¬
seits sollte aber auch der Verstockteste und Bösartigste zu einem frommen und


Die Alchemie.

mischen Autoritäten, welche ein Jahrtausend hindurch sich für die Möglichkeit
der künstlichen Hervorbringung edler Metalle verbürgt haben. Das bisher der
Alchemie geschenkte Vertrauen verwandelte sich allmählich in Mißtrauen, der
Glaube in Unglaube.

Man fragt staunend, wie es möglich war, daß eine auf objektiv Unwahrem
sich aufbauende Lehre nicht nur die Vorstellungen des Volkes, sondern auch
der erleuchtetsten Vertreter der Wissenschaft so lange beherrschte. Kein Zweifel,
daß dem am letzten Ende das auch in unsrer Zeit noch nicht ausgestorbene
Behagen am Wunderbaren zu Grunde lag. Und wenn irgendwo, so war in
der Alchemie der Wunsch der Vater des Gedankens: Am Golde hängt, nach
Golde drängt doch alles. Autoritäten ersten Ranges versicherten in jedem Jahr¬
hundert immer von neuem, die Metallverwcmdlung sei möglich, sie selbst hätten
sie mit Erfolg betrieben, man sah sie von Machthabern und gekrönten Häuptern
mit Gunst- und Ehrenbezeugungen überhäuft. Das alles forderte zum Glauben
heraus und verschaffte ihm immer neue Stützen. Der Unsinn des Ganzen
wurde bei dem tiefen Stande der exakten Naturwissenschaften nicht erkannt. Die
für unser Zeitalter so verdächtige Geheimniskrämerei, der Mangel an klaren
und bündigen Lehrsätzen und Anweisungen wog leicht im Vergleich mit den
scheinbar handgreiflichen Beweisen für die Richtigkeit der Sache. In vielen
Familien hatte man oft zu einem Schmuckstück verarbeitetes Gold, dessen Ur¬
sprung die Tradition aus einer alchemistischen Werkstätte mit Bestimmtheit her¬
leitete. In der Schatzkammer zu Wien befand sich noch 1797 eine große Denk¬
münze, gefertigt aus 2//^ Pfund angeblich alchemistischen Goldes. Eine gleiche
Denkmünze besaß die Sammlung auf Schloß Ambras in Tirol. Anderwärts
wurden aus alchemistischem Golde mehr oder weniger gangbare Münzen geschlagen.
Hierher gehören die englischen Nosenobel aus dem vierzehnten und dänische Du¬
katen ans dem siebzehnten Jahrhundert. Zahlreiche wohlthätige Stiftungen aus
derselben Quelle galten ebenso als notorisch, wie die höchst wohlthätige Wirkung
des Steins der Weisen ans den menschlichen Organismus. Wer heutzutage auf die
medizinische Wirkung der famosen Haarpillen oder das erfolgreiche Besprechen der
Gesichtsrose schwört, vermag der noch, ohne zu den scheinheiligen zu gehöre», über
alchemistische Verirrungen früherer Jahrhunderte die Achseln zu zucken?' Auch
Juristen stellten sich in ihren Erkenntnissen wiederholt auf den Standpunkt der
Wahrhaftigkeit der Alchemie. Und schließlich kam auch die Religion mit ins
Spiel. Es hatte sich die Auffnsfung gebildet, daß es auf besondrer göttlicher
Auswahl beruhe, wenn sich jemand zu dem höchsten alchemistischen Wissen erhebe,
und daß ein dazu nicht auserkorener weder durch geistige Anstrengung, noch
durch Anwendung von Gewaltmitteln das Ziel der Alchemie erreichen könne.
Moses und der Evangelist Johannes, Hiob, Salomo, Jesaias und andre
biblische Persönlichkeiten galten so als Alchemisten von Gottes Gnaden. Ander¬
seits sollte aber auch der Verstockteste und Bösartigste zu einem frommen und


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[0227] Die Alchemie. mischen Autoritäten, welche ein Jahrtausend hindurch sich für die Möglichkeit der künstlichen Hervorbringung edler Metalle verbürgt haben. Das bisher der Alchemie geschenkte Vertrauen verwandelte sich allmählich in Mißtrauen, der Glaube in Unglaube. Man fragt staunend, wie es möglich war, daß eine auf objektiv Unwahrem sich aufbauende Lehre nicht nur die Vorstellungen des Volkes, sondern auch der erleuchtetsten Vertreter der Wissenschaft so lange beherrschte. Kein Zweifel, daß dem am letzten Ende das auch in unsrer Zeit noch nicht ausgestorbene Behagen am Wunderbaren zu Grunde lag. Und wenn irgendwo, so war in der Alchemie der Wunsch der Vater des Gedankens: Am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles. Autoritäten ersten Ranges versicherten in jedem Jahr¬ hundert immer von neuem, die Metallverwcmdlung sei möglich, sie selbst hätten sie mit Erfolg betrieben, man sah sie von Machthabern und gekrönten Häuptern mit Gunst- und Ehrenbezeugungen überhäuft. Das alles forderte zum Glauben heraus und verschaffte ihm immer neue Stützen. Der Unsinn des Ganzen wurde bei dem tiefen Stande der exakten Naturwissenschaften nicht erkannt. Die für unser Zeitalter so verdächtige Geheimniskrämerei, der Mangel an klaren und bündigen Lehrsätzen und Anweisungen wog leicht im Vergleich mit den scheinbar handgreiflichen Beweisen für die Richtigkeit der Sache. In vielen Familien hatte man oft zu einem Schmuckstück verarbeitetes Gold, dessen Ur¬ sprung die Tradition aus einer alchemistischen Werkstätte mit Bestimmtheit her¬ leitete. In der Schatzkammer zu Wien befand sich noch 1797 eine große Denk¬ münze, gefertigt aus 2//^ Pfund angeblich alchemistischen Goldes. Eine gleiche Denkmünze besaß die Sammlung auf Schloß Ambras in Tirol. Anderwärts wurden aus alchemistischem Golde mehr oder weniger gangbare Münzen geschlagen. Hierher gehören die englischen Nosenobel aus dem vierzehnten und dänische Du¬ katen ans dem siebzehnten Jahrhundert. Zahlreiche wohlthätige Stiftungen aus derselben Quelle galten ebenso als notorisch, wie die höchst wohlthätige Wirkung des Steins der Weisen ans den menschlichen Organismus. Wer heutzutage auf die medizinische Wirkung der famosen Haarpillen oder das erfolgreiche Besprechen der Gesichtsrose schwört, vermag der noch, ohne zu den scheinheiligen zu gehöre», über alchemistische Verirrungen früherer Jahrhunderte die Achseln zu zucken?' Auch Juristen stellten sich in ihren Erkenntnissen wiederholt auf den Standpunkt der Wahrhaftigkeit der Alchemie. Und schließlich kam auch die Religion mit ins Spiel. Es hatte sich die Auffnsfung gebildet, daß es auf besondrer göttlicher Auswahl beruhe, wenn sich jemand zu dem höchsten alchemistischen Wissen erhebe, und daß ein dazu nicht auserkorener weder durch geistige Anstrengung, noch durch Anwendung von Gewaltmitteln das Ziel der Alchemie erreichen könne. Moses und der Evangelist Johannes, Hiob, Salomo, Jesaias und andre biblische Persönlichkeiten galten so als Alchemisten von Gottes Gnaden. Ander¬ seits sollte aber auch der Verstockteste und Bösartigste zu einem frommen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/227>, abgerufen am 25.08.2024.