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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Alchemie.

neuen, willkürlichen, krausen, oft mystisch unverständlichen Nomenklatur hinzu¬
gefügt, viel thatsächlich Falsches mit wenig Wahren vermengt, Unverstandenes
mit Verstandenem, wirklich Beobachtetes mit lediglich Geglaubten vorig,
mala, Mo zu einem wüsten Knäuel durcheinander gewirrt, dessen Entfaltung
eine sehr anerkennenswerte Leistung des Verfassers ist. Die Arbeit war umso
mühevoller, als man bei dem ausgesprochenen Autoritätsbedürfnis früherer
Zeiten sehr geneigt war, berühmten Namen einzelne, den alchemistischen Lehren
günstige Zeugnisse oder Abhandlungen unterzuschieben, von denen sich bei ge¬
wissenhafter Nachforschung ergiebt, daß sie in gar keiner Beziehung zu ihnen
stehen. Um die literarische Verwirrung zu vollenden, haben endlich viele
Alchemisten während eines langen Lebens in sich selbst Wandlungen erfahren,
sind aus begeisterten Adepten Zweifler geworden oder haben auch den umge¬
kehrten Weg zurückgelegt, ohne immer klar erkennen zu lassen, auf welcher Stufe
ihrer Entwicklung sie angelangt waren, und wie weit feste Überzeugung, wie weit
nur die Rücksicht auf ihren Ruf und äußere Vorteile ihnen bei ihren jeweiligen
vielfach gewundenen und auf Schrauben gestellten schriftlichen Auslassungen die
Feder geführt hat.

Nur einzelne literarische Erscheinungen können hier, ohne den Rahmen
eines Berichtes zu überschreiten, herausgegriffen werden. Thomas von Aquino,
geboren 1224 oder 1227, vom Papste Johann XXII. kcmonisirt und in der
Encyklika Leos XIII. vom Jahre 1879 als ein Muster für die richtige Art
des Forschens und Lehrens aufgestellt, war eine in alchemistischer Beziehung
viel umstrittene Größe. Die Dominikaner, die den Vorwurf der bald nach
Thomas' Zeit kirchlich verpöntem Beschäftigung mit Alchemie von dieser Zierde
ihres Ordens abzuwälzen bestrebt wäre", wiesen die ihm zugeschriebenen Bücher
als unecht zurück, andre aber bezeichneten Thomas als eine" unverwerflichen
Zeugen dafür, daß die Alchemie das verwirklichen könne, was von ihr gehofft
wurde. Ein Zeitgenosse desselben, Bacon, der voetor mirMlis, der den Aber¬
glauben seiner Zeit richtig beurteilte und dem Wissen auf Autorität hin, sowie
dem Wissen durch Schlußfolgerung das Wissen auf Grund experimenteller
Forschung gegenüberstellte, war gleichwohl von der Möglichkeit der Metall¬
veredlung überzeugt. Aber das Meisterstück wurde dem um dieselbe Zeit le¬
benden Rcchmundus Lullus zugesprochen. Eine Drachme des vollkommenen
Steins der Weisen wandle hunderttausend Drachmen Quecksilber zu einem mit
allen Eigenschaften der ersteren kostbaren Substanz ausgestattete" Pulver um,
von welchem eine Drachme in gleicher Weise auf hunderttausend Drachmen
Quecksilber einwirke, und dies könne hundertmal wiederholt werden, bevor die
wunderbare Kraft des Steins sich erschöpfe.

Wenn in den folgenden Jahrhunderten gewisse bildliche Ausdrücke auf¬
tauchten, wenn man z. B. die Umwandlung eines Metalls in Gold so aus¬
gedrückt findet, daß dem ersteren Metall der Königsmantel angezogen werde,


Die Alchemie.

neuen, willkürlichen, krausen, oft mystisch unverständlichen Nomenklatur hinzu¬
gefügt, viel thatsächlich Falsches mit wenig Wahren vermengt, Unverstandenes
mit Verstandenem, wirklich Beobachtetes mit lediglich Geglaubten vorig,
mala, Mo zu einem wüsten Knäuel durcheinander gewirrt, dessen Entfaltung
eine sehr anerkennenswerte Leistung des Verfassers ist. Die Arbeit war umso
mühevoller, als man bei dem ausgesprochenen Autoritätsbedürfnis früherer
Zeiten sehr geneigt war, berühmten Namen einzelne, den alchemistischen Lehren
günstige Zeugnisse oder Abhandlungen unterzuschieben, von denen sich bei ge¬
wissenhafter Nachforschung ergiebt, daß sie in gar keiner Beziehung zu ihnen
stehen. Um die literarische Verwirrung zu vollenden, haben endlich viele
Alchemisten während eines langen Lebens in sich selbst Wandlungen erfahren,
sind aus begeisterten Adepten Zweifler geworden oder haben auch den umge¬
kehrten Weg zurückgelegt, ohne immer klar erkennen zu lassen, auf welcher Stufe
ihrer Entwicklung sie angelangt waren, und wie weit feste Überzeugung, wie weit
nur die Rücksicht auf ihren Ruf und äußere Vorteile ihnen bei ihren jeweiligen
vielfach gewundenen und auf Schrauben gestellten schriftlichen Auslassungen die
Feder geführt hat.

Nur einzelne literarische Erscheinungen können hier, ohne den Rahmen
eines Berichtes zu überschreiten, herausgegriffen werden. Thomas von Aquino,
geboren 1224 oder 1227, vom Papste Johann XXII. kcmonisirt und in der
Encyklika Leos XIII. vom Jahre 1879 als ein Muster für die richtige Art
des Forschens und Lehrens aufgestellt, war eine in alchemistischer Beziehung
viel umstrittene Größe. Die Dominikaner, die den Vorwurf der bald nach
Thomas' Zeit kirchlich verpöntem Beschäftigung mit Alchemie von dieser Zierde
ihres Ordens abzuwälzen bestrebt wäre», wiesen die ihm zugeschriebenen Bücher
als unecht zurück, andre aber bezeichneten Thomas als eine» unverwerflichen
Zeugen dafür, daß die Alchemie das verwirklichen könne, was von ihr gehofft
wurde. Ein Zeitgenosse desselben, Bacon, der voetor mirMlis, der den Aber¬
glauben seiner Zeit richtig beurteilte und dem Wissen auf Autorität hin, sowie
dem Wissen durch Schlußfolgerung das Wissen auf Grund experimenteller
Forschung gegenüberstellte, war gleichwohl von der Möglichkeit der Metall¬
veredlung überzeugt. Aber das Meisterstück wurde dem um dieselbe Zeit le¬
benden Rcchmundus Lullus zugesprochen. Eine Drachme des vollkommenen
Steins der Weisen wandle hunderttausend Drachmen Quecksilber zu einem mit
allen Eigenschaften der ersteren kostbaren Substanz ausgestattete» Pulver um,
von welchem eine Drachme in gleicher Weise auf hunderttausend Drachmen
Quecksilber einwirke, und dies könne hundertmal wiederholt werden, bevor die
wunderbare Kraft des Steins sich erschöpfe.

Wenn in den folgenden Jahrhunderten gewisse bildliche Ausdrücke auf¬
tauchten, wenn man z. B. die Umwandlung eines Metalls in Gold so aus¬
gedrückt findet, daß dem ersteren Metall der Königsmantel angezogen werde,


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[0224] Die Alchemie. neuen, willkürlichen, krausen, oft mystisch unverständlichen Nomenklatur hinzu¬ gefügt, viel thatsächlich Falsches mit wenig Wahren vermengt, Unverstandenes mit Verstandenem, wirklich Beobachtetes mit lediglich Geglaubten vorig, mala, Mo zu einem wüsten Knäuel durcheinander gewirrt, dessen Entfaltung eine sehr anerkennenswerte Leistung des Verfassers ist. Die Arbeit war umso mühevoller, als man bei dem ausgesprochenen Autoritätsbedürfnis früherer Zeiten sehr geneigt war, berühmten Namen einzelne, den alchemistischen Lehren günstige Zeugnisse oder Abhandlungen unterzuschieben, von denen sich bei ge¬ wissenhafter Nachforschung ergiebt, daß sie in gar keiner Beziehung zu ihnen stehen. Um die literarische Verwirrung zu vollenden, haben endlich viele Alchemisten während eines langen Lebens in sich selbst Wandlungen erfahren, sind aus begeisterten Adepten Zweifler geworden oder haben auch den umge¬ kehrten Weg zurückgelegt, ohne immer klar erkennen zu lassen, auf welcher Stufe ihrer Entwicklung sie angelangt waren, und wie weit feste Überzeugung, wie weit nur die Rücksicht auf ihren Ruf und äußere Vorteile ihnen bei ihren jeweiligen vielfach gewundenen und auf Schrauben gestellten schriftlichen Auslassungen die Feder geführt hat. Nur einzelne literarische Erscheinungen können hier, ohne den Rahmen eines Berichtes zu überschreiten, herausgegriffen werden. Thomas von Aquino, geboren 1224 oder 1227, vom Papste Johann XXII. kcmonisirt und in der Encyklika Leos XIII. vom Jahre 1879 als ein Muster für die richtige Art des Forschens und Lehrens aufgestellt, war eine in alchemistischer Beziehung viel umstrittene Größe. Die Dominikaner, die den Vorwurf der bald nach Thomas' Zeit kirchlich verpöntem Beschäftigung mit Alchemie von dieser Zierde ihres Ordens abzuwälzen bestrebt wäre», wiesen die ihm zugeschriebenen Bücher als unecht zurück, andre aber bezeichneten Thomas als eine» unverwerflichen Zeugen dafür, daß die Alchemie das verwirklichen könne, was von ihr gehofft wurde. Ein Zeitgenosse desselben, Bacon, der voetor mirMlis, der den Aber¬ glauben seiner Zeit richtig beurteilte und dem Wissen auf Autorität hin, sowie dem Wissen durch Schlußfolgerung das Wissen auf Grund experimenteller Forschung gegenüberstellte, war gleichwohl von der Möglichkeit der Metall¬ veredlung überzeugt. Aber das Meisterstück wurde dem um dieselbe Zeit le¬ benden Rcchmundus Lullus zugesprochen. Eine Drachme des vollkommenen Steins der Weisen wandle hunderttausend Drachmen Quecksilber zu einem mit allen Eigenschaften der ersteren kostbaren Substanz ausgestattete» Pulver um, von welchem eine Drachme in gleicher Weise auf hunderttausend Drachmen Quecksilber einwirke, und dies könne hundertmal wiederholt werden, bevor die wunderbare Kraft des Steins sich erschöpfe. Wenn in den folgenden Jahrhunderten gewisse bildliche Ausdrücke auf¬ tauchten, wenn man z. B. die Umwandlung eines Metalls in Gold so aus¬ gedrückt findet, daß dem ersteren Metall der Königsmantel angezogen werde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/224>, abgerufen am 25.08.2024.