Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

fabrikanten 1 959 300 Stunden mehr als ihre altdeutschen Konkurrenten Jene
2 240 000 und diese 1959 300 Stunden addirt, geben eine jährliche Prämie
von 4 199 300 Stunden. Am 18. Oktober 1885 bekam das Reichsland einen
neuen Statthalter, und es begann eine energischere Regierung. Hoffen wir,
daß sie bald in der Lage sein wird, auch auf diesem GebieteMandel zu schaffen
durch Einführung des deutschen Gesetzes zum Schutze der Arbeiter. Gefiele
das den Fabrikanten nicht, die sich aus Interesse bisher leidlich freundlich
zu ihr stellten, so stünde solcher Verdruß in eigentümlichem Widerspruche mit
der sonst von diesen Herren zur Schau getragenen humanen Gesinnung. Wie
sähe es aus, wenn sie ihrem Lande die Wohlthaten der deutschen Arbeits¬
schutzgesetzgebung noch länger vorenthalten wissen wollten, nachdem ihre Abge¬
ordneten sich im Reichstage mit so schönem Eifer bemüht haben, der altdeutschen
Arbeiterschaft diese Wohlthaten noch zu erweitern? Haben doch die Anträge
der Zentrumspartei auf Ausbildung der deutschen Fabrikgesetzgebung die bereit¬
willigste Unterstützung selbst des Herrn Karl Grad gefunden. Oder sollte diese
etwa nur bedeuten, daß man die Gesetze, welche man für sich fürchtete, als den
Konkurrenten in Altdeutschland gesund und zu gönnen betrachtete?

Wir blicken zum Schlüsse mit Herkner auf die Geschichte der oberelsässischen
Industrie zurück und sehen, wie diese durchaus von Männern deutschen Ur¬
sprungs begründet wurde. Wir sehen ferner hier einen Unternehmungsgeist in
gewerblicher Beziehung und zugleich ein politisches Geschick in der Wahrnehmung
der eignen Interessen, eine Herrscherklngheit und Herrscherkraft sich kundgeben,
welche wie die neueste Entfaltung des Geistes der mittelalterlichen Städtercpu-
bliken erscheinen, aber mit ihrer Beimischung von Schlauheit und Rücksichts¬
losigkeit und mit der Gewandtheit, die jeden im politischen Leben auftauchenden
Faktor nach Möglichkeit dem eignen Interesse dienstbar zu machen weiß, sowie
mit der Kunst, ihre Selbstsucht vor der Welt zu verhüllen und sich von ihr
als Ausbund humaner Denkart rühmen zu lassen, besonders an die alten ita¬
lienischen Republiken erinnern. "Es liegt etwas Venezianisches im Verfahren
dieser Mülhäuser Fabrikherren, sowohl da, wo sie Großstaaten für sich aus¬
nutzen, als auch da, wo sie der Kirche zur Befestigung ihrer eignen Stellung
Zugeständnisse machen, und wo sie die untern Klassen in strenge Abhängigkeit
von sich bringen oder darin erhalten." Als Mülhausen französisch wurde, wären
diese Patrizier lieber Schweizer geblieben, und dieser schweizerischen republika¬
nischen Gesinnung blieben sie bis heute treu. Ihre Herzenswünsche ließen sich
nicht verwirklichen, wohl aber verstanden sie es meisterhaft, aus dem Liebe¬
bedürfnis der sie abwechselnd beherrschenden durch Sprödigkeit gegen die Be¬
werber pekuniären Gewinn zu münzen. Die großen Bestellungen und Staats¬
vorschüsse des ersten Napolen strichen sie ein, ohne selbst etwas dafür zu geben.
Die Restauration ließ sich, um sie zu gewinnen, von ihnen in ihrer Zoll- und
Handelspolitik beeinflussen und gewann sie damit nicht für ihre beiden Könige.


fabrikanten 1 959 300 Stunden mehr als ihre altdeutschen Konkurrenten Jene
2 240 000 und diese 1959 300 Stunden addirt, geben eine jährliche Prämie
von 4 199 300 Stunden. Am 18. Oktober 1885 bekam das Reichsland einen
neuen Statthalter, und es begann eine energischere Regierung. Hoffen wir,
daß sie bald in der Lage sein wird, auch auf diesem GebieteMandel zu schaffen
durch Einführung des deutschen Gesetzes zum Schutze der Arbeiter. Gefiele
das den Fabrikanten nicht, die sich aus Interesse bisher leidlich freundlich
zu ihr stellten, so stünde solcher Verdruß in eigentümlichem Widerspruche mit
der sonst von diesen Herren zur Schau getragenen humanen Gesinnung. Wie
sähe es aus, wenn sie ihrem Lande die Wohlthaten der deutschen Arbeits¬
schutzgesetzgebung noch länger vorenthalten wissen wollten, nachdem ihre Abge¬
ordneten sich im Reichstage mit so schönem Eifer bemüht haben, der altdeutschen
Arbeiterschaft diese Wohlthaten noch zu erweitern? Haben doch die Anträge
der Zentrumspartei auf Ausbildung der deutschen Fabrikgesetzgebung die bereit¬
willigste Unterstützung selbst des Herrn Karl Grad gefunden. Oder sollte diese
etwa nur bedeuten, daß man die Gesetze, welche man für sich fürchtete, als den
Konkurrenten in Altdeutschland gesund und zu gönnen betrachtete?

Wir blicken zum Schlüsse mit Herkner auf die Geschichte der oberelsässischen
Industrie zurück und sehen, wie diese durchaus von Männern deutschen Ur¬
sprungs begründet wurde. Wir sehen ferner hier einen Unternehmungsgeist in
gewerblicher Beziehung und zugleich ein politisches Geschick in der Wahrnehmung
der eignen Interessen, eine Herrscherklngheit und Herrscherkraft sich kundgeben,
welche wie die neueste Entfaltung des Geistes der mittelalterlichen Städtercpu-
bliken erscheinen, aber mit ihrer Beimischung von Schlauheit und Rücksichts¬
losigkeit und mit der Gewandtheit, die jeden im politischen Leben auftauchenden
Faktor nach Möglichkeit dem eignen Interesse dienstbar zu machen weiß, sowie
mit der Kunst, ihre Selbstsucht vor der Welt zu verhüllen und sich von ihr
als Ausbund humaner Denkart rühmen zu lassen, besonders an die alten ita¬
lienischen Republiken erinnern. „Es liegt etwas Venezianisches im Verfahren
dieser Mülhäuser Fabrikherren, sowohl da, wo sie Großstaaten für sich aus¬
nutzen, als auch da, wo sie der Kirche zur Befestigung ihrer eignen Stellung
Zugeständnisse machen, und wo sie die untern Klassen in strenge Abhängigkeit
von sich bringen oder darin erhalten." Als Mülhausen französisch wurde, wären
diese Patrizier lieber Schweizer geblieben, und dieser schweizerischen republika¬
nischen Gesinnung blieben sie bis heute treu. Ihre Herzenswünsche ließen sich
nicht verwirklichen, wohl aber verstanden sie es meisterhaft, aus dem Liebe¬
bedürfnis der sie abwechselnd beherrschenden durch Sprödigkeit gegen die Be¬
werber pekuniären Gewinn zu münzen. Die großen Bestellungen und Staats¬
vorschüsse des ersten Napolen strichen sie ein, ohne selbst etwas dafür zu geben.
Die Restauration ließ sich, um sie zu gewinnen, von ihnen in ihrer Zoll- und
Handelspolitik beeinflussen und gewann sie damit nicht für ihre beiden Könige.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201648"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_511" prev="#ID_510"> fabrikanten 1 959 300 Stunden mehr als ihre altdeutschen Konkurrenten Jene<lb/>
2 240 000 und diese 1959 300 Stunden addirt, geben eine jährliche Prämie<lb/>
von 4 199 300 Stunden. Am 18. Oktober 1885 bekam das Reichsland einen<lb/>
neuen Statthalter, und es begann eine energischere Regierung. Hoffen wir,<lb/>
daß sie bald in der Lage sein wird, auch auf diesem GebieteMandel zu schaffen<lb/>
durch Einführung des deutschen Gesetzes zum Schutze der Arbeiter. Gefiele<lb/>
das den Fabrikanten nicht, die sich aus Interesse bisher leidlich freundlich<lb/>
zu ihr stellten, so stünde solcher Verdruß in eigentümlichem Widerspruche mit<lb/>
der sonst von diesen Herren zur Schau getragenen humanen Gesinnung. Wie<lb/>
sähe es aus, wenn sie ihrem Lande die Wohlthaten der deutschen Arbeits¬<lb/>
schutzgesetzgebung noch länger vorenthalten wissen wollten, nachdem ihre Abge¬<lb/>
ordneten sich im Reichstage mit so schönem Eifer bemüht haben, der altdeutschen<lb/>
Arbeiterschaft diese Wohlthaten noch zu erweitern? Haben doch die Anträge<lb/>
der Zentrumspartei auf Ausbildung der deutschen Fabrikgesetzgebung die bereit¬<lb/>
willigste Unterstützung selbst des Herrn Karl Grad gefunden. Oder sollte diese<lb/>
etwa nur bedeuten, daß man die Gesetze, welche man für sich fürchtete, als den<lb/>
Konkurrenten in Altdeutschland gesund und zu gönnen betrachtete?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_512" next="#ID_513"> Wir blicken zum Schlüsse mit Herkner auf die Geschichte der oberelsässischen<lb/>
Industrie zurück und sehen, wie diese durchaus von Männern deutschen Ur¬<lb/>
sprungs begründet wurde. Wir sehen ferner hier einen Unternehmungsgeist in<lb/>
gewerblicher Beziehung und zugleich ein politisches Geschick in der Wahrnehmung<lb/>
der eignen Interessen, eine Herrscherklngheit und Herrscherkraft sich kundgeben,<lb/>
welche wie die neueste Entfaltung des Geistes der mittelalterlichen Städtercpu-<lb/>
bliken erscheinen, aber mit ihrer Beimischung von Schlauheit und Rücksichts¬<lb/>
losigkeit und mit der Gewandtheit, die jeden im politischen Leben auftauchenden<lb/>
Faktor nach Möglichkeit dem eignen Interesse dienstbar zu machen weiß, sowie<lb/>
mit der Kunst, ihre Selbstsucht vor der Welt zu verhüllen und sich von ihr<lb/>
als Ausbund humaner Denkart rühmen zu lassen, besonders an die alten ita¬<lb/>
lienischen Republiken erinnern. &#x201E;Es liegt etwas Venezianisches im Verfahren<lb/>
dieser Mülhäuser Fabrikherren, sowohl da, wo sie Großstaaten für sich aus¬<lb/>
nutzen, als auch da, wo sie der Kirche zur Befestigung ihrer eignen Stellung<lb/>
Zugeständnisse machen, und wo sie die untern Klassen in strenge Abhängigkeit<lb/>
von sich bringen oder darin erhalten." Als Mülhausen französisch wurde, wären<lb/>
diese Patrizier lieber Schweizer geblieben, und dieser schweizerischen republika¬<lb/>
nischen Gesinnung blieben sie bis heute treu. Ihre Herzenswünsche ließen sich<lb/>
nicht verwirklichen, wohl aber verstanden sie es meisterhaft, aus dem Liebe¬<lb/>
bedürfnis der sie abwechselnd beherrschenden durch Sprödigkeit gegen die Be¬<lb/>
werber pekuniären Gewinn zu münzen. Die großen Bestellungen und Staats¬<lb/>
vorschüsse des ersten Napolen strichen sie ein, ohne selbst etwas dafür zu geben.<lb/>
Die Restauration ließ sich, um sie zu gewinnen, von ihnen in ihrer Zoll- und<lb/>
Handelspolitik beeinflussen und gewann sie damit nicht für ihre beiden Könige.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] fabrikanten 1 959 300 Stunden mehr als ihre altdeutschen Konkurrenten Jene 2 240 000 und diese 1959 300 Stunden addirt, geben eine jährliche Prämie von 4 199 300 Stunden. Am 18. Oktober 1885 bekam das Reichsland einen neuen Statthalter, und es begann eine energischere Regierung. Hoffen wir, daß sie bald in der Lage sein wird, auch auf diesem GebieteMandel zu schaffen durch Einführung des deutschen Gesetzes zum Schutze der Arbeiter. Gefiele das den Fabrikanten nicht, die sich aus Interesse bisher leidlich freundlich zu ihr stellten, so stünde solcher Verdruß in eigentümlichem Widerspruche mit der sonst von diesen Herren zur Schau getragenen humanen Gesinnung. Wie sähe es aus, wenn sie ihrem Lande die Wohlthaten der deutschen Arbeits¬ schutzgesetzgebung noch länger vorenthalten wissen wollten, nachdem ihre Abge¬ ordneten sich im Reichstage mit so schönem Eifer bemüht haben, der altdeutschen Arbeiterschaft diese Wohlthaten noch zu erweitern? Haben doch die Anträge der Zentrumspartei auf Ausbildung der deutschen Fabrikgesetzgebung die bereit¬ willigste Unterstützung selbst des Herrn Karl Grad gefunden. Oder sollte diese etwa nur bedeuten, daß man die Gesetze, welche man für sich fürchtete, als den Konkurrenten in Altdeutschland gesund und zu gönnen betrachtete? Wir blicken zum Schlüsse mit Herkner auf die Geschichte der oberelsässischen Industrie zurück und sehen, wie diese durchaus von Männern deutschen Ur¬ sprungs begründet wurde. Wir sehen ferner hier einen Unternehmungsgeist in gewerblicher Beziehung und zugleich ein politisches Geschick in der Wahrnehmung der eignen Interessen, eine Herrscherklngheit und Herrscherkraft sich kundgeben, welche wie die neueste Entfaltung des Geistes der mittelalterlichen Städtercpu- bliken erscheinen, aber mit ihrer Beimischung von Schlauheit und Rücksichts¬ losigkeit und mit der Gewandtheit, die jeden im politischen Leben auftauchenden Faktor nach Möglichkeit dem eignen Interesse dienstbar zu machen weiß, sowie mit der Kunst, ihre Selbstsucht vor der Welt zu verhüllen und sich von ihr als Ausbund humaner Denkart rühmen zu lassen, besonders an die alten ita¬ lienischen Republiken erinnern. „Es liegt etwas Venezianisches im Verfahren dieser Mülhäuser Fabrikherren, sowohl da, wo sie Großstaaten für sich aus¬ nutzen, als auch da, wo sie der Kirche zur Befestigung ihrer eignen Stellung Zugeständnisse machen, und wo sie die untern Klassen in strenge Abhängigkeit von sich bringen oder darin erhalten." Als Mülhausen französisch wurde, wären diese Patrizier lieber Schweizer geblieben, und dieser schweizerischen republika¬ nischen Gesinnung blieben sie bis heute treu. Ihre Herzenswünsche ließen sich nicht verwirklichen, wohl aber verstanden sie es meisterhaft, aus dem Liebe¬ bedürfnis der sie abwechselnd beherrschenden durch Sprödigkeit gegen die Be¬ werber pekuniären Gewinn zu münzen. Die großen Bestellungen und Staats¬ vorschüsse des ersten Napolen strichen sie ein, ohne selbst etwas dafür zu geben. Die Restauration ließ sich, um sie zu gewinnen, von ihnen in ihrer Zoll- und Handelspolitik beeinflussen und gewann sie damit nicht für ihre beiden Könige.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/219>, abgerufen am 25.08.2024.