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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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kommen dürfen. Dann heißt es im dritten Paragraphen: "Zu einer regelmäßigen
Beschäftigung in den Fabriken oder ähnlichen Dienstverhältnissen dürften schul¬
pflichtige Kinder nur unter Genehmigung der Schulbehörden verwandt werden,"
und diese Erlaubnis ist nach einem Präsidialerlaß vom August 1884 Kindern
unter zwölf Jahren zu versagen. Die Folgen der Verordnung von 1871 waren
jegensreich. Ein Verwaltungsbericht von 1872 sagt darüber: "Eine bedeutende
Vermehrung der Schulkinder machte sich besonders in größern Orten wie Mül-
hausen und in den Fabrikgegenden bemerklich. Hier aber traten auch von An¬
fang an der Regelmäßigkeit des Schulbesuchs die meisten Hindernisse entgegen."
Am 1. Januar 1873 besuchten in den sechs Kreisen des Oberelsaß 66762
Kinder die öffentlichen Schulen, aber auf diese fielen im letztgenannten Jahre
nicht weniger als 690181 Versäumnistage, und sehr charakteristisch ist es, daß
dabei im ackerbautreibenden Kreise Altkirch nur 123, dagegen im industriellen
Kreise Thann 1214 Versänmnistage auf eins der Schulkinder kamen. Überdies
ist zu beachten, daß die Mehrzahl der Arbeiterkinder nicht die öffentlichen,
sondern die Fabrikschulen besucht, welche mangelhaft organisirt sind. Immerhin
ist es ein großer Fortschritt, daß 1875 nur noch dreiundsechzig und 1882 nur
achtundzwanzig Kinder unter zwölf Jahren in Fabriken arbeiteten, und daß dies
1884 ganz aufhörte. Kinder von dreizehn bis vierzehn Jahren sollen nach der
geltenden Gesetzgebung täglich mindestens drei Stunden Schulunterricht erhalten,
aber nach unsrer Schrift bringen die Arbeiterkinder dieses Alters nur eine bis
zwei Stunden in der Fabrikschule zu und arbeiten daneben 10^/z bis 12^/z
Stunden in der Fabrik, während dieselbe,, Altersklassen im übrigen Deutsch¬
land nur sechs Stunden darin beschäftigt werden dürfen. Für die jugendliche"
Personen vou fünfzehn und sechzehn Jahren gelten die Bestimmungen des Ge¬
setzes vom 22. März 1841 noch vollständig, d. h. sie arbeiten wie die Er¬
wachsenen täglich 12'/s Stunden und nehmen an der Nachtarbeit und Überzeit
derselben teil, wenn die Umstände solche erfordern. Dem gegenüber gestattete
die für die andern Teile des deutschen Reiches giltige Gewerbeordnung von
1869 solchen Personen nur eine zehnstündige wirkliche Arbeit, also zwei Stunden
weniger als das im Reichslande geltende Gesetz, aber um 2^/z Stunden weniger,
als die hier thatsächliche Arbeitsdauer jener Altersklassen betrug. Es wäre
billig gewesen, die Elsasser Fabrikherren der Gewerbeordnung Altdeutschlands
ebenfalls zu unterwerfen, und wenn man sich dazu nicht entschließen konnte, so
hätte man mindestens dem alten Gesetze zu strenger Durchführung verhelfen
sollen. Aber auch das geschah nicht. Der mit der Dampfkesselpolizei beauf-
tragte "Bergmeister" berichtet über das Jahr 1873: "Wie im vorigen Jahre
schon erwähnt, hat der Bergmeister die ihm in Bezug auf die Inspektion der
Fabriken früher obliegende Thätigkeit nicht aufnehmen können. Im Artikel 16
des Gesetzes vom 22. März 1341 ist die Bildung von Kommissionen zur Be¬
aufsichtigung der in den Fabriken arbeitenden Kinder vorgeschrieben. Solche


kommen dürfen. Dann heißt es im dritten Paragraphen: „Zu einer regelmäßigen
Beschäftigung in den Fabriken oder ähnlichen Dienstverhältnissen dürften schul¬
pflichtige Kinder nur unter Genehmigung der Schulbehörden verwandt werden,"
und diese Erlaubnis ist nach einem Präsidialerlaß vom August 1884 Kindern
unter zwölf Jahren zu versagen. Die Folgen der Verordnung von 1871 waren
jegensreich. Ein Verwaltungsbericht von 1872 sagt darüber: „Eine bedeutende
Vermehrung der Schulkinder machte sich besonders in größern Orten wie Mül-
hausen und in den Fabrikgegenden bemerklich. Hier aber traten auch von An¬
fang an der Regelmäßigkeit des Schulbesuchs die meisten Hindernisse entgegen."
Am 1. Januar 1873 besuchten in den sechs Kreisen des Oberelsaß 66762
Kinder die öffentlichen Schulen, aber auf diese fielen im letztgenannten Jahre
nicht weniger als 690181 Versäumnistage, und sehr charakteristisch ist es, daß
dabei im ackerbautreibenden Kreise Altkirch nur 123, dagegen im industriellen
Kreise Thann 1214 Versänmnistage auf eins der Schulkinder kamen. Überdies
ist zu beachten, daß die Mehrzahl der Arbeiterkinder nicht die öffentlichen,
sondern die Fabrikschulen besucht, welche mangelhaft organisirt sind. Immerhin
ist es ein großer Fortschritt, daß 1875 nur noch dreiundsechzig und 1882 nur
achtundzwanzig Kinder unter zwölf Jahren in Fabriken arbeiteten, und daß dies
1884 ganz aufhörte. Kinder von dreizehn bis vierzehn Jahren sollen nach der
geltenden Gesetzgebung täglich mindestens drei Stunden Schulunterricht erhalten,
aber nach unsrer Schrift bringen die Arbeiterkinder dieses Alters nur eine bis
zwei Stunden in der Fabrikschule zu und arbeiten daneben 10^/z bis 12^/z
Stunden in der Fabrik, während dieselbe,, Altersklassen im übrigen Deutsch¬
land nur sechs Stunden darin beschäftigt werden dürfen. Für die jugendliche»
Personen vou fünfzehn und sechzehn Jahren gelten die Bestimmungen des Ge¬
setzes vom 22. März 1841 noch vollständig, d. h. sie arbeiten wie die Er¬
wachsenen täglich 12'/s Stunden und nehmen an der Nachtarbeit und Überzeit
derselben teil, wenn die Umstände solche erfordern. Dem gegenüber gestattete
die für die andern Teile des deutschen Reiches giltige Gewerbeordnung von
1869 solchen Personen nur eine zehnstündige wirkliche Arbeit, also zwei Stunden
weniger als das im Reichslande geltende Gesetz, aber um 2^/z Stunden weniger,
als die hier thatsächliche Arbeitsdauer jener Altersklassen betrug. Es wäre
billig gewesen, die Elsasser Fabrikherren der Gewerbeordnung Altdeutschlands
ebenfalls zu unterwerfen, und wenn man sich dazu nicht entschließen konnte, so
hätte man mindestens dem alten Gesetze zu strenger Durchführung verhelfen
sollen. Aber auch das geschah nicht. Der mit der Dampfkesselpolizei beauf-
tragte „Bergmeister" berichtet über das Jahr 1873: „Wie im vorigen Jahre
schon erwähnt, hat der Bergmeister die ihm in Bezug auf die Inspektion der
Fabriken früher obliegende Thätigkeit nicht aufnehmen können. Im Artikel 16
des Gesetzes vom 22. März 1341 ist die Bildung von Kommissionen zur Be¬
aufsichtigung der in den Fabriken arbeitenden Kinder vorgeschrieben. Solche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/216>, abgerufen am 22.07.2024.