Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dichterfreundinnen.

wollen. Dies war die strenge Folge der Unvorsichtigkeit, mit der sie ihre besten
Absichten von vornherein in eine ungünstige Beleuchtung brachte.

Während sie so in Angst und Bangen, in Kummer und Not in Frank¬
furt, wohin sie sich nach ihrer Freilassung zuerst gewendet hatte, der Zukunft
dachte, nahm sich ihrer ein Freund an, den sie in ihren besseren Tagen ver¬
schmäht hatte, August Wilhelm Schlegel. Er eilte von Amsterdam herbei, be¬
gleitete sie nach Leipzig, wo sie einige Zeit in Göschens Hause Aufnahme fand,
bis sich ihr in Lucka im Altenburgischen ein vorläufiges Versteck bot, empfahl
sie der Fürsorge seines Bruders Friedrich, der sich damals in Leipzig aufhielt,
und kehrte dann zurück. "Sie fühlen -- schrieb sie Ende August 1793 an
Friedrich Schlegel --, welch ein Freund mir Wilhelm war. Alles, was ich
ihm jemals geben konnte, hat er mir jetzt freiwillig, uneigennützig, anspruchslos
vergolten durch mehr als hilfreichen Beistand. Es hat mich mit mir aus¬
gesöhnt, daß ich ihn mein nennen konnte, ohne daß eine blinde, unwiderstehliche
Empfindung ihn an mich gefesselt hielt. Sollte es zu viel sein, einen Mann
nach seinem Betragen gegen ein Weib beurteilen zu wollen, so scheint mir doch
Wilhelm in dem, was er mir war, alles umfaßt zu haben, was man männlich
und zugleich kindlich, vorurteilslos, edel und liebenswert heißen kann."*) Friedrich
Schlegel machte nun die persönliche Bekanntschaft der merkwürdigen Frau und
wurde vou dem leichten Spiele ihrer Gedanken so angezogen, daß er in Gefahr
war, in eine heftige Neigung zu ihr zu geraten und sich mit Gewalt zu einem
ruhigen, freundschaftlichen Verkehr zwingen mußte. So schrieb er im August
1793 von Leipzig aus an den Bruder: "Der Eindruck, den sie auf mich ge¬
macht hat, ist viel zu außerordentlich, als daß ich ihn selbst schon deutlich über¬
sehen und mitteilen könnte. Sie wird dir wohl selbst geschrieben haben, daß
sie sich ganz in Göschens Hand gegeben und ich so gut wie nichts mit der
Sache zu thun habe. Ich mußte zuerst vermuten, der Grund wäre, daß sie
gering von mir dächte. Darin hab' ich mich vielleicht geirrt. . . . Alles, was
ich noch sagen könnte, würde verworren, oberflächlich sein, und vielleicht könnte
ich in Gefahr kommen, mich schwärmerisch auszudrücken, und mir beinahe, für
sie zu schwärmen, heißt, sich an ihr versündigen. Vielleicht gelingt es mir, sie
gleich ohne Verblendung zu fassen." Und vierzehn Tage später: "Unsern Um¬
gang möchte ich bezeichnen: Vertraulichkeit ohne Zutrauen, Teilnahme ohne
wahre Gemeinschaft. Doch mißverstehe das nicht. Die Überlegenheit ihres
Verstandes über den meinigen habe ich sehr frühe gefühlt. Es ist mir aber
noch zu fremd, zu unbegreiflich, daß ein Weib so sein kann, als daß ich an



*) Der Haß, welcher Karoline verfolgte, hat auch diese Hilfsbereitschaft Schlegels ver¬
dächtigt. Man erzählte sich, sie habe in Lucka ein Kind geboren, dessen Vater Custine oder
ein Offizier desselben gewesen sei. Wie mir Herr Pastor Dr. Geyer in Lucka freundlichst
mitteilt, ist in den Kirchenbüchern keine Spur davon nnfzufinden.
Dichterfreundinnen.

wollen. Dies war die strenge Folge der Unvorsichtigkeit, mit der sie ihre besten
Absichten von vornherein in eine ungünstige Beleuchtung brachte.

Während sie so in Angst und Bangen, in Kummer und Not in Frank¬
furt, wohin sie sich nach ihrer Freilassung zuerst gewendet hatte, der Zukunft
dachte, nahm sich ihrer ein Freund an, den sie in ihren besseren Tagen ver¬
schmäht hatte, August Wilhelm Schlegel. Er eilte von Amsterdam herbei, be¬
gleitete sie nach Leipzig, wo sie einige Zeit in Göschens Hause Aufnahme fand,
bis sich ihr in Lucka im Altenburgischen ein vorläufiges Versteck bot, empfahl
sie der Fürsorge seines Bruders Friedrich, der sich damals in Leipzig aufhielt,
und kehrte dann zurück. „Sie fühlen — schrieb sie Ende August 1793 an
Friedrich Schlegel —, welch ein Freund mir Wilhelm war. Alles, was ich
ihm jemals geben konnte, hat er mir jetzt freiwillig, uneigennützig, anspruchslos
vergolten durch mehr als hilfreichen Beistand. Es hat mich mit mir aus¬
gesöhnt, daß ich ihn mein nennen konnte, ohne daß eine blinde, unwiderstehliche
Empfindung ihn an mich gefesselt hielt. Sollte es zu viel sein, einen Mann
nach seinem Betragen gegen ein Weib beurteilen zu wollen, so scheint mir doch
Wilhelm in dem, was er mir war, alles umfaßt zu haben, was man männlich
und zugleich kindlich, vorurteilslos, edel und liebenswert heißen kann."*) Friedrich
Schlegel machte nun die persönliche Bekanntschaft der merkwürdigen Frau und
wurde vou dem leichten Spiele ihrer Gedanken so angezogen, daß er in Gefahr
war, in eine heftige Neigung zu ihr zu geraten und sich mit Gewalt zu einem
ruhigen, freundschaftlichen Verkehr zwingen mußte. So schrieb er im August
1793 von Leipzig aus an den Bruder: „Der Eindruck, den sie auf mich ge¬
macht hat, ist viel zu außerordentlich, als daß ich ihn selbst schon deutlich über¬
sehen und mitteilen könnte. Sie wird dir wohl selbst geschrieben haben, daß
sie sich ganz in Göschens Hand gegeben und ich so gut wie nichts mit der
Sache zu thun habe. Ich mußte zuerst vermuten, der Grund wäre, daß sie
gering von mir dächte. Darin hab' ich mich vielleicht geirrt. . . . Alles, was
ich noch sagen könnte, würde verworren, oberflächlich sein, und vielleicht könnte
ich in Gefahr kommen, mich schwärmerisch auszudrücken, und mir beinahe, für
sie zu schwärmen, heißt, sich an ihr versündigen. Vielleicht gelingt es mir, sie
gleich ohne Verblendung zu fassen." Und vierzehn Tage später: „Unsern Um¬
gang möchte ich bezeichnen: Vertraulichkeit ohne Zutrauen, Teilnahme ohne
wahre Gemeinschaft. Doch mißverstehe das nicht. Die Überlegenheit ihres
Verstandes über den meinigen habe ich sehr frühe gefühlt. Es ist mir aber
noch zu fremd, zu unbegreiflich, daß ein Weib so sein kann, als daß ich an



*) Der Haß, welcher Karoline verfolgte, hat auch diese Hilfsbereitschaft Schlegels ver¬
dächtigt. Man erzählte sich, sie habe in Lucka ein Kind geboren, dessen Vater Custine oder
ein Offizier desselben gewesen sei. Wie mir Herr Pastor Dr. Geyer in Lucka freundlichst
mitteilt, ist in den Kirchenbüchern keine Spur davon nnfzufinden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201619"/>
          <fw type="header" place="top"> Dichterfreundinnen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_457" prev="#ID_456"> wollen. Dies war die strenge Folge der Unvorsichtigkeit, mit der sie ihre besten<lb/>
Absichten von vornherein in eine ungünstige Beleuchtung brachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_458" next="#ID_459"> Während sie so in Angst und Bangen, in Kummer und Not in Frank¬<lb/>
furt, wohin sie sich nach ihrer Freilassung zuerst gewendet hatte, der Zukunft<lb/>
dachte, nahm sich ihrer ein Freund an, den sie in ihren besseren Tagen ver¬<lb/>
schmäht hatte, August Wilhelm Schlegel. Er eilte von Amsterdam herbei, be¬<lb/>
gleitete sie nach Leipzig, wo sie einige Zeit in Göschens Hause Aufnahme fand,<lb/>
bis sich ihr in Lucka im Altenburgischen ein vorläufiges Versteck bot, empfahl<lb/>
sie der Fürsorge seines Bruders Friedrich, der sich damals in Leipzig aufhielt,<lb/>
und kehrte dann zurück. &#x201E;Sie fühlen &#x2014; schrieb sie Ende August 1793 an<lb/>
Friedrich Schlegel &#x2014;, welch ein Freund mir Wilhelm war. Alles, was ich<lb/>
ihm jemals geben konnte, hat er mir jetzt freiwillig, uneigennützig, anspruchslos<lb/>
vergolten durch mehr als hilfreichen Beistand. Es hat mich mit mir aus¬<lb/>
gesöhnt, daß ich ihn mein nennen konnte, ohne daß eine blinde, unwiderstehliche<lb/>
Empfindung ihn an mich gefesselt hielt. Sollte es zu viel sein, einen Mann<lb/>
nach seinem Betragen gegen ein Weib beurteilen zu wollen, so scheint mir doch<lb/>
Wilhelm in dem, was er mir war, alles umfaßt zu haben, was man männlich<lb/>
und zugleich kindlich, vorurteilslos, edel und liebenswert heißen kann."*) Friedrich<lb/>
Schlegel machte nun die persönliche Bekanntschaft der merkwürdigen Frau und<lb/>
wurde vou dem leichten Spiele ihrer Gedanken so angezogen, daß er in Gefahr<lb/>
war, in eine heftige Neigung zu ihr zu geraten und sich mit Gewalt zu einem<lb/>
ruhigen, freundschaftlichen Verkehr zwingen mußte. So schrieb er im August<lb/>
1793 von Leipzig aus an den Bruder: &#x201E;Der Eindruck, den sie auf mich ge¬<lb/>
macht hat, ist viel zu außerordentlich, als daß ich ihn selbst schon deutlich über¬<lb/>
sehen und mitteilen könnte. Sie wird dir wohl selbst geschrieben haben, daß<lb/>
sie sich ganz in Göschens Hand gegeben und ich so gut wie nichts mit der<lb/>
Sache zu thun habe. Ich mußte zuerst vermuten, der Grund wäre, daß sie<lb/>
gering von mir dächte. Darin hab' ich mich vielleicht geirrt. . . . Alles, was<lb/>
ich noch sagen könnte, würde verworren, oberflächlich sein, und vielleicht könnte<lb/>
ich in Gefahr kommen, mich schwärmerisch auszudrücken, und mir beinahe, für<lb/>
sie zu schwärmen, heißt, sich an ihr versündigen. Vielleicht gelingt es mir, sie<lb/>
gleich ohne Verblendung zu fassen." Und vierzehn Tage später: &#x201E;Unsern Um¬<lb/>
gang möchte ich bezeichnen: Vertraulichkeit ohne Zutrauen, Teilnahme ohne<lb/>
wahre Gemeinschaft. Doch mißverstehe das nicht. Die Überlegenheit ihres<lb/>
Verstandes über den meinigen habe ich sehr frühe gefühlt. Es ist mir aber<lb/>
noch zu fremd, zu unbegreiflich, daß ein Weib so sein kann, als daß ich an</p><lb/>
          <note xml:id="FID_35" place="foot"> *) Der Haß, welcher Karoline verfolgte, hat auch diese Hilfsbereitschaft Schlegels ver¬<lb/>
dächtigt. Man erzählte sich, sie habe in Lucka ein Kind geboren, dessen Vater Custine oder<lb/>
ein Offizier desselben gewesen sei. Wie mir Herr Pastor Dr. Geyer in Lucka freundlichst<lb/>
mitteilt, ist in den Kirchenbüchern keine Spur davon nnfzufinden.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Dichterfreundinnen. wollen. Dies war die strenge Folge der Unvorsichtigkeit, mit der sie ihre besten Absichten von vornherein in eine ungünstige Beleuchtung brachte. Während sie so in Angst und Bangen, in Kummer und Not in Frank¬ furt, wohin sie sich nach ihrer Freilassung zuerst gewendet hatte, der Zukunft dachte, nahm sich ihrer ein Freund an, den sie in ihren besseren Tagen ver¬ schmäht hatte, August Wilhelm Schlegel. Er eilte von Amsterdam herbei, be¬ gleitete sie nach Leipzig, wo sie einige Zeit in Göschens Hause Aufnahme fand, bis sich ihr in Lucka im Altenburgischen ein vorläufiges Versteck bot, empfahl sie der Fürsorge seines Bruders Friedrich, der sich damals in Leipzig aufhielt, und kehrte dann zurück. „Sie fühlen — schrieb sie Ende August 1793 an Friedrich Schlegel —, welch ein Freund mir Wilhelm war. Alles, was ich ihm jemals geben konnte, hat er mir jetzt freiwillig, uneigennützig, anspruchslos vergolten durch mehr als hilfreichen Beistand. Es hat mich mit mir aus¬ gesöhnt, daß ich ihn mein nennen konnte, ohne daß eine blinde, unwiderstehliche Empfindung ihn an mich gefesselt hielt. Sollte es zu viel sein, einen Mann nach seinem Betragen gegen ein Weib beurteilen zu wollen, so scheint mir doch Wilhelm in dem, was er mir war, alles umfaßt zu haben, was man männlich und zugleich kindlich, vorurteilslos, edel und liebenswert heißen kann."*) Friedrich Schlegel machte nun die persönliche Bekanntschaft der merkwürdigen Frau und wurde vou dem leichten Spiele ihrer Gedanken so angezogen, daß er in Gefahr war, in eine heftige Neigung zu ihr zu geraten und sich mit Gewalt zu einem ruhigen, freundschaftlichen Verkehr zwingen mußte. So schrieb er im August 1793 von Leipzig aus an den Bruder: „Der Eindruck, den sie auf mich ge¬ macht hat, ist viel zu außerordentlich, als daß ich ihn selbst schon deutlich über¬ sehen und mitteilen könnte. Sie wird dir wohl selbst geschrieben haben, daß sie sich ganz in Göschens Hand gegeben und ich so gut wie nichts mit der Sache zu thun habe. Ich mußte zuerst vermuten, der Grund wäre, daß sie gering von mir dächte. Darin hab' ich mich vielleicht geirrt. . . . Alles, was ich noch sagen könnte, würde verworren, oberflächlich sein, und vielleicht könnte ich in Gefahr kommen, mich schwärmerisch auszudrücken, und mir beinahe, für sie zu schwärmen, heißt, sich an ihr versündigen. Vielleicht gelingt es mir, sie gleich ohne Verblendung zu fassen." Und vierzehn Tage später: „Unsern Um¬ gang möchte ich bezeichnen: Vertraulichkeit ohne Zutrauen, Teilnahme ohne wahre Gemeinschaft. Doch mißverstehe das nicht. Die Überlegenheit ihres Verstandes über den meinigen habe ich sehr frühe gefühlt. Es ist mir aber noch zu fremd, zu unbegreiflich, daß ein Weib so sein kann, als daß ich an *) Der Haß, welcher Karoline verfolgte, hat auch diese Hilfsbereitschaft Schlegels ver¬ dächtigt. Man erzählte sich, sie habe in Lucka ein Kind geboren, dessen Vater Custine oder ein Offizier desselben gewesen sei. Wie mir Herr Pastor Dr. Geyer in Lucka freundlichst mitteilt, ist in den Kirchenbüchern keine Spur davon nnfzufinden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/190>, abgerufen am 22.07.2024.