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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Marokko,

ändern, wenn das ergiebige Land einem andern Herrn zufiele. Algerien führte
1885 für etwa siebzehn Millionen Mark Waaren ein, und davon kamen nur für
etwa sieben Millionen aus England, und es führte Güter im Werte von 120
Millionen Mark aus, von denen nur etwas mehr als ein Achtel nach britischen
Häfen gingen. Schon handelspolitische Betrachtungen lassen also eine weitere
Ausdehnung des nordafrikanischen Besitzes der Franzosen nach Westen hin Eng¬
land mit ebensoviel Mißgunst und Argwohn ansehen, als weitere Eroberungen
im Osten von Algier und Tunis.

England hat in den letzten Tagen Kriegsschiffe nach der marokkanischen
Küste geschickt, Spanien und Frankreich ebenfalls. Zugleich hat eine Verstärkung
der spanischen Garnisonen in Ceuta und den Presidios stattgefunden, und die
Franzosen haben an der westlichen Grenze Algeriens Truppen zusammengezogen.
Was sonst in der Angelegenheit durch die Zeitungen läuft, ist Gerücht und
Vermutung, die oft gewaltige Schwingen angeschnallt hat und den auswärtigen
Ämtern der Mächte die Dächer abdeckt, sodaß sie sieht, was sie vorhaben.
Da hat einer dieser Politiker erfahren, daß Italien sich mit Spanien ins Ein¬
vernehmen gesetzt hat, um, während dieses sich Marokko zu Gemüte zieht, Tri¬
polis den Franzosen vor dem Munde wegzuschnappen, und daß Lord Salisbury
Marokko lieber dem ohnmächtigen Spanien als dem mächtigen Frankreich gönnt,
wie er auch Tripolis lieber in italienischen Händen als in französischen sieht.
Ein andrer "wohlunterrichteter" Herr weiß, daß Frankreich dem Madrider
Kabinet seine volle Unterstützung bei dessen Plänen auf Marokko zugesagt hat,
um damit der Allianz dreier Großmächte gegenüber sein eignes Gewicht um
das eines dankbaren Nachbars zu vermehren, der doch nicht stark genug ist,
um seine Bewerbung behaupten zu können, wenn Frankreich in Zukunft Anstalt
trifft, sie ihm wieder abzunehmen. Und so fort ins Blaue hinein, villieils
sse satirg-in non Lvrlbsrö.

Wir legen uns nicht auf das Vermuten, wir sind der Meinung, es werde
für die Gegenwart zu keiner entscheidenden Aktion in der Sache kommen, weder
zu einer Eroberung Marokkos durch eine Macht, noch zu einer Teilung unter
zweien oder dreien, wie einst in Polen, wozu das Maurenreich allerdings morsch
und mürbe genug zu sein scheint. Was die Zukunft bringen wird, soll uns nicht
beschäftigen. Wir begnügen uns ohne jede Konjektur mit dem, was wir wissen, und
das ist folgendes. Deutschland hat keinen Grund, sich in die Sache zu mischen.
Es könnte mit Wohlgefallen zusehen, wenn Marokko von der oder jener Macht
der Kultur erschlossen würde. Es könnte sich freuen, wenn diese Macht Frankreich
wäre, auch weil dieses dann seinen Ehrgeiz weit von unsrer Grenze befriedigt
sehen und vermutlich länger als in Tunis zu thun haben würde, sich dort zu
befestigen. Deutschland könnte sich ferner nicht darüber betrüben, wenn die Fran¬
zosen sich dabei in den Spaniern neue Feinde machten, wie dnrch die Eroberung von
Tunis in den Italienern; sie werden ja wissen, wie wir es wissen, wie viel auf


Marokko,

ändern, wenn das ergiebige Land einem andern Herrn zufiele. Algerien führte
1885 für etwa siebzehn Millionen Mark Waaren ein, und davon kamen nur für
etwa sieben Millionen aus England, und es führte Güter im Werte von 120
Millionen Mark aus, von denen nur etwas mehr als ein Achtel nach britischen
Häfen gingen. Schon handelspolitische Betrachtungen lassen also eine weitere
Ausdehnung des nordafrikanischen Besitzes der Franzosen nach Westen hin Eng¬
land mit ebensoviel Mißgunst und Argwohn ansehen, als weitere Eroberungen
im Osten von Algier und Tunis.

England hat in den letzten Tagen Kriegsschiffe nach der marokkanischen
Küste geschickt, Spanien und Frankreich ebenfalls. Zugleich hat eine Verstärkung
der spanischen Garnisonen in Ceuta und den Presidios stattgefunden, und die
Franzosen haben an der westlichen Grenze Algeriens Truppen zusammengezogen.
Was sonst in der Angelegenheit durch die Zeitungen läuft, ist Gerücht und
Vermutung, die oft gewaltige Schwingen angeschnallt hat und den auswärtigen
Ämtern der Mächte die Dächer abdeckt, sodaß sie sieht, was sie vorhaben.
Da hat einer dieser Politiker erfahren, daß Italien sich mit Spanien ins Ein¬
vernehmen gesetzt hat, um, während dieses sich Marokko zu Gemüte zieht, Tri¬
polis den Franzosen vor dem Munde wegzuschnappen, und daß Lord Salisbury
Marokko lieber dem ohnmächtigen Spanien als dem mächtigen Frankreich gönnt,
wie er auch Tripolis lieber in italienischen Händen als in französischen sieht.
Ein andrer „wohlunterrichteter" Herr weiß, daß Frankreich dem Madrider
Kabinet seine volle Unterstützung bei dessen Plänen auf Marokko zugesagt hat,
um damit der Allianz dreier Großmächte gegenüber sein eignes Gewicht um
das eines dankbaren Nachbars zu vermehren, der doch nicht stark genug ist,
um seine Bewerbung behaupten zu können, wenn Frankreich in Zukunft Anstalt
trifft, sie ihm wieder abzunehmen. Und so fort ins Blaue hinein, villieils
sse satirg-in non Lvrlbsrö.

Wir legen uns nicht auf das Vermuten, wir sind der Meinung, es werde
für die Gegenwart zu keiner entscheidenden Aktion in der Sache kommen, weder
zu einer Eroberung Marokkos durch eine Macht, noch zu einer Teilung unter
zweien oder dreien, wie einst in Polen, wozu das Maurenreich allerdings morsch
und mürbe genug zu sein scheint. Was die Zukunft bringen wird, soll uns nicht
beschäftigen. Wir begnügen uns ohne jede Konjektur mit dem, was wir wissen, und
das ist folgendes. Deutschland hat keinen Grund, sich in die Sache zu mischen.
Es könnte mit Wohlgefallen zusehen, wenn Marokko von der oder jener Macht
der Kultur erschlossen würde. Es könnte sich freuen, wenn diese Macht Frankreich
wäre, auch weil dieses dann seinen Ehrgeiz weit von unsrer Grenze befriedigt
sehen und vermutlich länger als in Tunis zu thun haben würde, sich dort zu
befestigen. Deutschland könnte sich ferner nicht darüber betrüben, wenn die Fran¬
zosen sich dabei in den Spaniern neue Feinde machten, wie dnrch die Eroberung von
Tunis in den Italienern; sie werden ja wissen, wie wir es wissen, wie viel auf


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[0165] Marokko, ändern, wenn das ergiebige Land einem andern Herrn zufiele. Algerien führte 1885 für etwa siebzehn Millionen Mark Waaren ein, und davon kamen nur für etwa sieben Millionen aus England, und es führte Güter im Werte von 120 Millionen Mark aus, von denen nur etwas mehr als ein Achtel nach britischen Häfen gingen. Schon handelspolitische Betrachtungen lassen also eine weitere Ausdehnung des nordafrikanischen Besitzes der Franzosen nach Westen hin Eng¬ land mit ebensoviel Mißgunst und Argwohn ansehen, als weitere Eroberungen im Osten von Algier und Tunis. England hat in den letzten Tagen Kriegsschiffe nach der marokkanischen Küste geschickt, Spanien und Frankreich ebenfalls. Zugleich hat eine Verstärkung der spanischen Garnisonen in Ceuta und den Presidios stattgefunden, und die Franzosen haben an der westlichen Grenze Algeriens Truppen zusammengezogen. Was sonst in der Angelegenheit durch die Zeitungen läuft, ist Gerücht und Vermutung, die oft gewaltige Schwingen angeschnallt hat und den auswärtigen Ämtern der Mächte die Dächer abdeckt, sodaß sie sieht, was sie vorhaben. Da hat einer dieser Politiker erfahren, daß Italien sich mit Spanien ins Ein¬ vernehmen gesetzt hat, um, während dieses sich Marokko zu Gemüte zieht, Tri¬ polis den Franzosen vor dem Munde wegzuschnappen, und daß Lord Salisbury Marokko lieber dem ohnmächtigen Spanien als dem mächtigen Frankreich gönnt, wie er auch Tripolis lieber in italienischen Händen als in französischen sieht. Ein andrer „wohlunterrichteter" Herr weiß, daß Frankreich dem Madrider Kabinet seine volle Unterstützung bei dessen Plänen auf Marokko zugesagt hat, um damit der Allianz dreier Großmächte gegenüber sein eignes Gewicht um das eines dankbaren Nachbars zu vermehren, der doch nicht stark genug ist, um seine Bewerbung behaupten zu können, wenn Frankreich in Zukunft Anstalt trifft, sie ihm wieder abzunehmen. Und so fort ins Blaue hinein, villieils sse satirg-in non Lvrlbsrö. Wir legen uns nicht auf das Vermuten, wir sind der Meinung, es werde für die Gegenwart zu keiner entscheidenden Aktion in der Sache kommen, weder zu einer Eroberung Marokkos durch eine Macht, noch zu einer Teilung unter zweien oder dreien, wie einst in Polen, wozu das Maurenreich allerdings morsch und mürbe genug zu sein scheint. Was die Zukunft bringen wird, soll uns nicht beschäftigen. Wir begnügen uns ohne jede Konjektur mit dem, was wir wissen, und das ist folgendes. Deutschland hat keinen Grund, sich in die Sache zu mischen. Es könnte mit Wohlgefallen zusehen, wenn Marokko von der oder jener Macht der Kultur erschlossen würde. Es könnte sich freuen, wenn diese Macht Frankreich wäre, auch weil dieses dann seinen Ehrgeiz weit von unsrer Grenze befriedigt sehen und vermutlich länger als in Tunis zu thun haben würde, sich dort zu befestigen. Deutschland könnte sich ferner nicht darüber betrüben, wenn die Fran¬ zosen sich dabei in den Spaniern neue Feinde machten, wie dnrch die Eroberung von Tunis in den Italienern; sie werden ja wissen, wie wir es wissen, wie viel auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/165>, abgerufen am 25.08.2024.