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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Marokko.

die Schlacht bei Jsly, wo der französische General Bugeaud die Armee des
Sultans mit verhältnismäßig geringen Streitkräften beim ersten Anprall über
den Haufen rannte und zerstreute. Ein andrer Beweis war der Ausgang des
kurzen Feldzuges, den die Spanier 1859 gegen Marokko unternahmen. Die
Kriegserklärung erfolgte am 22. Oktober, und schon am 26. April des nächsten
Jahres kam es zum Friedensschlusse, nachdem das von Marschall O'Donnell
geführte spanische Heer, 35 000 Mann Infanterie und 2000 Reiter nebst 120
Geschützen, die Schlacht bei Tetuan und mehrere kleinere Treffen glänzend ge¬
wonnen hatte. Allerdings verlor es dabei gegen 18000 Mann, aber meist
durch die Cholera und andre Krankheiten, und wenn diese Verluste und die
Kosten durch den Frieden nicht ausgeglichen wurden, so hat Spanien seitdem
nicht aufgehört, in Marokko nach Reellerem zu trachten, als nach wohlfeilen
Ruhm durch Siege über Halbbarbaren. Es beansprucht seit 1883 an der at¬
lantischen Küste zwischen der Südgrenze Marokkos und der französischen Ko¬
lonie Senegambien den Hafenplatz Jfni oder Santa Cruz mit dessen Umgebung
und anderseits die ganze östlich von den Kanarischen Inseln sich hinziehende
Küstenstrecke zwischen Kap Bojador und Kap Blanco. Rechnet man dazu noch,
daß Spanien 1881 eine Konferenz über Marokko veranlaßte, die in Madrid
stattfand und dort zu einer Übereinkunft der Mächte führte, so wird man nicht
irren, wenn man annimmt, daß es mindestens nicht ohne eigne Schadloshaltung
einer Änderung des jetzt in Marokko bestehenden zuzusehen gewillt ist. Wirft
man ein, Spanien sei selbst dünn bevölkert und könne folglich keine Menschen
zur Besiedelung von Landerwerbungen in Marokko entbehren, so trifft das nnr
teilweise zu. In der algerischen Provinz Oran besteht mehr als die Hälfte
der europäischen Bevölkerung aus Spaniern, die über Cartagena eingewandert
sind, und auch im übrigen Algerien wohnen solche zu Tausenden. Weist man auf
die bedeutenden Kosten eines Feldzuges gegen Marokko und auf die ungünstige
Lage der spanischen Finanzen hin, so würden sich jene mit der Zeit wohl heraus¬
schlagen lassen, und übrigens hat man in solchen Fällen immer das nötige Geld
gefunden, in Spanien und anderwärts. Geschähe also hier spanischcrseits nichts,
so würde man sich das mit Rücksichten andrer Art erklären müssen.

Drittens ist bei dieser Frage auch England mit seinen Interessen beteiligt,
und zwar einmal mit Rücksicht auf Gibraltar, dessen Bedeutung unter Um¬
ständen leiden würde, und auf eine mögliche Schwächung seiner Macht im
Mittelmeere überhaupt, dann wegen seines Handels mit dem maurischen Sultans¬
reiche. Dessen Ausfuhr betrug im Jahre 1884 rund fünfzehn Millionen Mark,
und davon gingen fast fünf Siebentel der betreffenden Waaren nach Gro߬
britannien, während von der Einfuhr, die sich auf einen Wert von beinahe
siebzehn Millionen Mark belief, reichlich die Hälfte von englischen Fabriken ge¬
liefert wurde. Marokko ist sonach unter seiner jetzigen Herrschaft ein recht
guter Kunde der Firma John Bull u. Komp., und das würde sich erheblich


Marokko.

die Schlacht bei Jsly, wo der französische General Bugeaud die Armee des
Sultans mit verhältnismäßig geringen Streitkräften beim ersten Anprall über
den Haufen rannte und zerstreute. Ein andrer Beweis war der Ausgang des
kurzen Feldzuges, den die Spanier 1859 gegen Marokko unternahmen. Die
Kriegserklärung erfolgte am 22. Oktober, und schon am 26. April des nächsten
Jahres kam es zum Friedensschlusse, nachdem das von Marschall O'Donnell
geführte spanische Heer, 35 000 Mann Infanterie und 2000 Reiter nebst 120
Geschützen, die Schlacht bei Tetuan und mehrere kleinere Treffen glänzend ge¬
wonnen hatte. Allerdings verlor es dabei gegen 18000 Mann, aber meist
durch die Cholera und andre Krankheiten, und wenn diese Verluste und die
Kosten durch den Frieden nicht ausgeglichen wurden, so hat Spanien seitdem
nicht aufgehört, in Marokko nach Reellerem zu trachten, als nach wohlfeilen
Ruhm durch Siege über Halbbarbaren. Es beansprucht seit 1883 an der at¬
lantischen Küste zwischen der Südgrenze Marokkos und der französischen Ko¬
lonie Senegambien den Hafenplatz Jfni oder Santa Cruz mit dessen Umgebung
und anderseits die ganze östlich von den Kanarischen Inseln sich hinziehende
Küstenstrecke zwischen Kap Bojador und Kap Blanco. Rechnet man dazu noch,
daß Spanien 1881 eine Konferenz über Marokko veranlaßte, die in Madrid
stattfand und dort zu einer Übereinkunft der Mächte führte, so wird man nicht
irren, wenn man annimmt, daß es mindestens nicht ohne eigne Schadloshaltung
einer Änderung des jetzt in Marokko bestehenden zuzusehen gewillt ist. Wirft
man ein, Spanien sei selbst dünn bevölkert und könne folglich keine Menschen
zur Besiedelung von Landerwerbungen in Marokko entbehren, so trifft das nnr
teilweise zu. In der algerischen Provinz Oran besteht mehr als die Hälfte
der europäischen Bevölkerung aus Spaniern, die über Cartagena eingewandert
sind, und auch im übrigen Algerien wohnen solche zu Tausenden. Weist man auf
die bedeutenden Kosten eines Feldzuges gegen Marokko und auf die ungünstige
Lage der spanischen Finanzen hin, so würden sich jene mit der Zeit wohl heraus¬
schlagen lassen, und übrigens hat man in solchen Fällen immer das nötige Geld
gefunden, in Spanien und anderwärts. Geschähe also hier spanischcrseits nichts,
so würde man sich das mit Rücksichten andrer Art erklären müssen.

Drittens ist bei dieser Frage auch England mit seinen Interessen beteiligt,
und zwar einmal mit Rücksicht auf Gibraltar, dessen Bedeutung unter Um¬
ständen leiden würde, und auf eine mögliche Schwächung seiner Macht im
Mittelmeere überhaupt, dann wegen seines Handels mit dem maurischen Sultans¬
reiche. Dessen Ausfuhr betrug im Jahre 1884 rund fünfzehn Millionen Mark,
und davon gingen fast fünf Siebentel der betreffenden Waaren nach Gro߬
britannien, während von der Einfuhr, die sich auf einen Wert von beinahe
siebzehn Millionen Mark belief, reichlich die Hälfte von englischen Fabriken ge¬
liefert wurde. Marokko ist sonach unter seiner jetzigen Herrschaft ein recht
guter Kunde der Firma John Bull u. Komp., und das würde sich erheblich


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[0164] Marokko. die Schlacht bei Jsly, wo der französische General Bugeaud die Armee des Sultans mit verhältnismäßig geringen Streitkräften beim ersten Anprall über den Haufen rannte und zerstreute. Ein andrer Beweis war der Ausgang des kurzen Feldzuges, den die Spanier 1859 gegen Marokko unternahmen. Die Kriegserklärung erfolgte am 22. Oktober, und schon am 26. April des nächsten Jahres kam es zum Friedensschlusse, nachdem das von Marschall O'Donnell geführte spanische Heer, 35 000 Mann Infanterie und 2000 Reiter nebst 120 Geschützen, die Schlacht bei Tetuan und mehrere kleinere Treffen glänzend ge¬ wonnen hatte. Allerdings verlor es dabei gegen 18000 Mann, aber meist durch die Cholera und andre Krankheiten, und wenn diese Verluste und die Kosten durch den Frieden nicht ausgeglichen wurden, so hat Spanien seitdem nicht aufgehört, in Marokko nach Reellerem zu trachten, als nach wohlfeilen Ruhm durch Siege über Halbbarbaren. Es beansprucht seit 1883 an der at¬ lantischen Küste zwischen der Südgrenze Marokkos und der französischen Ko¬ lonie Senegambien den Hafenplatz Jfni oder Santa Cruz mit dessen Umgebung und anderseits die ganze östlich von den Kanarischen Inseln sich hinziehende Küstenstrecke zwischen Kap Bojador und Kap Blanco. Rechnet man dazu noch, daß Spanien 1881 eine Konferenz über Marokko veranlaßte, die in Madrid stattfand und dort zu einer Übereinkunft der Mächte führte, so wird man nicht irren, wenn man annimmt, daß es mindestens nicht ohne eigne Schadloshaltung einer Änderung des jetzt in Marokko bestehenden zuzusehen gewillt ist. Wirft man ein, Spanien sei selbst dünn bevölkert und könne folglich keine Menschen zur Besiedelung von Landerwerbungen in Marokko entbehren, so trifft das nnr teilweise zu. In der algerischen Provinz Oran besteht mehr als die Hälfte der europäischen Bevölkerung aus Spaniern, die über Cartagena eingewandert sind, und auch im übrigen Algerien wohnen solche zu Tausenden. Weist man auf die bedeutenden Kosten eines Feldzuges gegen Marokko und auf die ungünstige Lage der spanischen Finanzen hin, so würden sich jene mit der Zeit wohl heraus¬ schlagen lassen, und übrigens hat man in solchen Fällen immer das nötige Geld gefunden, in Spanien und anderwärts. Geschähe also hier spanischcrseits nichts, so würde man sich das mit Rücksichten andrer Art erklären müssen. Drittens ist bei dieser Frage auch England mit seinen Interessen beteiligt, und zwar einmal mit Rücksicht auf Gibraltar, dessen Bedeutung unter Um¬ ständen leiden würde, und auf eine mögliche Schwächung seiner Macht im Mittelmeere überhaupt, dann wegen seines Handels mit dem maurischen Sultans¬ reiche. Dessen Ausfuhr betrug im Jahre 1884 rund fünfzehn Millionen Mark, und davon gingen fast fünf Siebentel der betreffenden Waaren nach Gro߬ britannien, während von der Einfuhr, die sich auf einen Wert von beinahe siebzehn Millionen Mark belief, reichlich die Hälfte von englischen Fabriken ge¬ liefert wurde. Marokko ist sonach unter seiner jetzigen Herrschaft ein recht guter Kunde der Firma John Bull u. Komp., und das würde sich erheblich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/164>, abgerufen am 22.07.2024.