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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Schlegel hatte. Bürger stellte die Reinheit und Mannichfaltigkeit der Form als das
nächste und höchste Ziel der Poesie hin, Schlegel faßte den Gedanken mit jugend¬
licher Begeisterung auf, und so kann man Göttingen als die Geburtsstätte der
romantischen Schule bezeichnen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Karoline,
die selbst mit eiuer seltenen Armut des sprachliche", Ausdrucks begabt war,
schon damals auf die Bürger-Schlegelschen Ideen lebhaft einging. Sie versuchte
sich in Gedichten und kritisirte Gedichte, auch die Äußerungen Friedrich Schlegels,
daß der Bruder in ihr das eigne Ideal der Größe geliebt habe, daß seine
Liebe zu ihr nur Mittel zu einem hohen Zwecke gewesen sei, und andre deuten
darauf hin.

Während Karoline im ungestümen Drange ihres Herzens bei mehr als
einem Manne zugleich Freundschaft und Liebe suchte, erfuhr sie manches Trübe.
In Marburg starb ihr zweites Töchterchen Therese, im August 1791 verlor
sie den Vater durch den Tod. Ihr Verhältnis zu der Familie des älteren
Bruders hatte sich unterdes bis zur Gehässigkeit verdüstert. Wodurch, ist nicht
zu ersehen, aber die Folge war, daß sie in Marburg nicht bleiben konnte. Sie
hielt sich nach dem Tode des Vaters eine kurze Zeit in Göttingen auf und
ging dann nach Mainz, wo Förster, der dort Bibliothekar geworden war, mit
Theresen, seiner Gattin, ein gastfreundliches, geistig bewegtes Haus unterhielt.
Der Freund und die Freundin boten ihr eine Stütze und einen gesellschaftlichen
Anknüpfungspunkt. Fast ein Jahr lang genoß sie ruhig den Umgang mit ihren
Freunden. "Die Witwe Böhmer -- schreibt Forster an Lichtenberg in Göttingen
am 8. April 1792 --, des seligen Michaelis Tochter, ist seit Anfang des März
hier und lebt eingezogen und zufrieden; außer unserm Hause kommt sie nicht
aus ihrer Wohnung. Es ist ein gescheites Weib, deren Umgang unsern häus¬
lichen Zirkel bereichert." Aber es wurde anders. Am 29. Oktober 1792 nahm
Custinc Mainz ein, und ein Teil der Bürgerschaft, die Universitätsprofessoren
voran, setzten die berüchtigte Mainzer Revolution in Szene, welche die Ein¬
führung der französischen Verfassung zum Zwecke hatte und schließlich in der
Errichtung einer linksrheinischen Republik unter französischer Oberhoheit gipfelte.
Es ist bekannt, daß der deutsche Jakobinerklub, der in dem Prachtsale des ent¬
flohenen Kurfürsten seine Sitzungen abhielt, in lächerlicher Weise die Gebräuche
der französischen Jakobiner nachahmte und schon anfing, die in den gewohnten
Anschauungen verharrenden Bürger durch Gewaltmaßregeln zu unterjoche", als
Mainz von den Deutschen belagert und (am 22. Juli 1793) zurückerobert wurde.
Wie viel Jammer und Elend auch in dieser bösen Zeit über Hunderte von
Familien gekommen ist, keines Schicksal ist von Mit- und Nachwelt so tief
empfunden worden als das Forsters, obgleich man nicht sagen kann, daß er
bei der Mainzer Revolution immer die Hauptrolle gespielt habe. Anfangs hielt
er sich zurück, aber nachdem er in den Strudel gleichsam hineingedrängt und
geschoben worden war, widmete er in reinster Hingabe der fremden Sache alle


Dichterfreundinnen.

Schlegel hatte. Bürger stellte die Reinheit und Mannichfaltigkeit der Form als das
nächste und höchste Ziel der Poesie hin, Schlegel faßte den Gedanken mit jugend¬
licher Begeisterung auf, und so kann man Göttingen als die Geburtsstätte der
romantischen Schule bezeichnen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Karoline,
die selbst mit eiuer seltenen Armut des sprachliche», Ausdrucks begabt war,
schon damals auf die Bürger-Schlegelschen Ideen lebhaft einging. Sie versuchte
sich in Gedichten und kritisirte Gedichte, auch die Äußerungen Friedrich Schlegels,
daß der Bruder in ihr das eigne Ideal der Größe geliebt habe, daß seine
Liebe zu ihr nur Mittel zu einem hohen Zwecke gewesen sei, und andre deuten
darauf hin.

Während Karoline im ungestümen Drange ihres Herzens bei mehr als
einem Manne zugleich Freundschaft und Liebe suchte, erfuhr sie manches Trübe.
In Marburg starb ihr zweites Töchterchen Therese, im August 1791 verlor
sie den Vater durch den Tod. Ihr Verhältnis zu der Familie des älteren
Bruders hatte sich unterdes bis zur Gehässigkeit verdüstert. Wodurch, ist nicht
zu ersehen, aber die Folge war, daß sie in Marburg nicht bleiben konnte. Sie
hielt sich nach dem Tode des Vaters eine kurze Zeit in Göttingen auf und
ging dann nach Mainz, wo Förster, der dort Bibliothekar geworden war, mit
Theresen, seiner Gattin, ein gastfreundliches, geistig bewegtes Haus unterhielt.
Der Freund und die Freundin boten ihr eine Stütze und einen gesellschaftlichen
Anknüpfungspunkt. Fast ein Jahr lang genoß sie ruhig den Umgang mit ihren
Freunden. „Die Witwe Böhmer — schreibt Forster an Lichtenberg in Göttingen
am 8. April 1792 —, des seligen Michaelis Tochter, ist seit Anfang des März
hier und lebt eingezogen und zufrieden; außer unserm Hause kommt sie nicht
aus ihrer Wohnung. Es ist ein gescheites Weib, deren Umgang unsern häus¬
lichen Zirkel bereichert." Aber es wurde anders. Am 29. Oktober 1792 nahm
Custinc Mainz ein, und ein Teil der Bürgerschaft, die Universitätsprofessoren
voran, setzten die berüchtigte Mainzer Revolution in Szene, welche die Ein¬
führung der französischen Verfassung zum Zwecke hatte und schließlich in der
Errichtung einer linksrheinischen Republik unter französischer Oberhoheit gipfelte.
Es ist bekannt, daß der deutsche Jakobinerklub, der in dem Prachtsale des ent¬
flohenen Kurfürsten seine Sitzungen abhielt, in lächerlicher Weise die Gebräuche
der französischen Jakobiner nachahmte und schon anfing, die in den gewohnten
Anschauungen verharrenden Bürger durch Gewaltmaßregeln zu unterjoche», als
Mainz von den Deutschen belagert und (am 22. Juli 1793) zurückerobert wurde.
Wie viel Jammer und Elend auch in dieser bösen Zeit über Hunderte von
Familien gekommen ist, keines Schicksal ist von Mit- und Nachwelt so tief
empfunden worden als das Forsters, obgleich man nicht sagen kann, daß er
bei der Mainzer Revolution immer die Hauptrolle gespielt habe. Anfangs hielt
er sich zurück, aber nachdem er in den Strudel gleichsam hineingedrängt und
geschoben worden war, widmete er in reinster Hingabe der fremden Sache alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/144>, abgerufen am 22.07.2024.