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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

lichen Verlangens zustürmte. Dann führte der Weg auf die staubige Heer¬
straße der Öffentlichkeit und durch Wagnisse, Mißerfolge, Verdächtigungen hin
zu einem ungewissen Ziele. Aber merkwürdig, auch dann noch übten die geist¬
reichen Damen der klassischen Zeit ihren Zauber aus die größten Männer aus, rissen
sie zu aufopfernder Liebe hin oder weckten in ihnen den bittersten Haß. Die
interessanteste dieser dämonischen Naturen ist Karoline Böhmer, die gefürchtete
"Madame Luzifer" des Schillerschen Kreises, die Verehrerin Goethes, die Gattin
Wilhelm August Schlegels und Schellings.

Wunderbar ist ihr Lebensgang. Es giebt unheimliche, dunkle Stellen
darin -- man glaubt, die frechste Buhlerin vor sich zu sehen --, aber vorher
und nachher Höhepunkte, von denen sie imponirend, bald als politische, bald
als literarische Parteigängerin, niederschaut. Ihr Anteil an der Entwicklung
der romantischen Schule sichert ihr für immer einen Platz in der Literatur¬
geschichte. Immer aber, sie mag unterliegen oder triumphiren, interessirt sie als
Frau, sie ist sympathisch, auch wenn sie Unrecht thut und Haß sät.

Karoline Böhuier stammte aus Göttingen. Sie war die Tochter des Pro¬
fessors Michaelis und war am 2. September 1763 geboren. Ihr Vater, der
berühmte Orientalist, stand zu den bedeutendsten Männern seiner Zeit, zu Ge¬
lehrten, Dichtern, Staatsmännern und Fürsten, in naher Beziehung. Göttingen
selbst war als Hort der Wissenschaft hoch berühmt; Leß, der Theolog, und
Heyne, der Philolog, standen, wie es scheint, der Familie Michaelis am nächsten.
Die Göttinger Professoreittöchter erhielten damals eine sehr gründliche und um-
fassende Bildung, die durch anregenden Verkehr in Haus und Stadt noch ge¬
steigert wurde. Karoline galt als die klügste unter den jungen Damen ihres
Alters, und es ist wirklich erstaunlich, wie sicher sich die Fünfzehnjährige mit
ihrer Freundin Julie von Stubnitz in Goebel in französischen Briefen unter¬
hält, wie gründlich und energisch sie sich dem Studium des Englischen und des
Italienischen zuwendet, und wie klar, wie lebhaft sie sich über alle die be¬
rühmten Persönlichkeiten nusspricht, die in rascher Reihenfolge auf kürzere oder
längere Zeit nach Göttingen kamen. Sie verkehrt mit Reichard, Boie, Nicolai,
Schlözer, der junge Weltumsegler Georg Forster schenkt ihr Tuch zu einem
Kleide aus Otaheiti, und mit wunderbarem Instinkte findet sie aus der Menge
der Studirenden die künftigen literarischen Größen heraus. Kaum vermochte
Therese Heyne, die kluge Tochter des großen Philologen, neben ihr auszu¬
kommen, es gab Reibungen und Eifersüchteleien zwischen ihnen, die noch im
spätern Leben nachwirkten.

Die Bildungskeime, mit denen Göttingen damals gleichsam übersät war,
fanden in der englischen Kultur des Landes einen eigentümlich zubereiteten
Boden. Der politische Zusammenhang Hannovers mit England hatte etwas
Anregendes, man möchte sagen Aufstachelndes, er bewahrte wenigstens vor
Gleichartigkeit und Trägheit, wenn er auch anderseits leicht zu Gespreiztheit


Grenzboten IV. 1837. 17
Dichterfreundinnen.

lichen Verlangens zustürmte. Dann führte der Weg auf die staubige Heer¬
straße der Öffentlichkeit und durch Wagnisse, Mißerfolge, Verdächtigungen hin
zu einem ungewissen Ziele. Aber merkwürdig, auch dann noch übten die geist¬
reichen Damen der klassischen Zeit ihren Zauber aus die größten Männer aus, rissen
sie zu aufopfernder Liebe hin oder weckten in ihnen den bittersten Haß. Die
interessanteste dieser dämonischen Naturen ist Karoline Böhmer, die gefürchtete
„Madame Luzifer" des Schillerschen Kreises, die Verehrerin Goethes, die Gattin
Wilhelm August Schlegels und Schellings.

Wunderbar ist ihr Lebensgang. Es giebt unheimliche, dunkle Stellen
darin — man glaubt, die frechste Buhlerin vor sich zu sehen —, aber vorher
und nachher Höhepunkte, von denen sie imponirend, bald als politische, bald
als literarische Parteigängerin, niederschaut. Ihr Anteil an der Entwicklung
der romantischen Schule sichert ihr für immer einen Platz in der Literatur¬
geschichte. Immer aber, sie mag unterliegen oder triumphiren, interessirt sie als
Frau, sie ist sympathisch, auch wenn sie Unrecht thut und Haß sät.

Karoline Böhuier stammte aus Göttingen. Sie war die Tochter des Pro¬
fessors Michaelis und war am 2. September 1763 geboren. Ihr Vater, der
berühmte Orientalist, stand zu den bedeutendsten Männern seiner Zeit, zu Ge¬
lehrten, Dichtern, Staatsmännern und Fürsten, in naher Beziehung. Göttingen
selbst war als Hort der Wissenschaft hoch berühmt; Leß, der Theolog, und
Heyne, der Philolog, standen, wie es scheint, der Familie Michaelis am nächsten.
Die Göttinger Professoreittöchter erhielten damals eine sehr gründliche und um-
fassende Bildung, die durch anregenden Verkehr in Haus und Stadt noch ge¬
steigert wurde. Karoline galt als die klügste unter den jungen Damen ihres
Alters, und es ist wirklich erstaunlich, wie sicher sich die Fünfzehnjährige mit
ihrer Freundin Julie von Stubnitz in Goebel in französischen Briefen unter¬
hält, wie gründlich und energisch sie sich dem Studium des Englischen und des
Italienischen zuwendet, und wie klar, wie lebhaft sie sich über alle die be¬
rühmten Persönlichkeiten nusspricht, die in rascher Reihenfolge auf kürzere oder
längere Zeit nach Göttingen kamen. Sie verkehrt mit Reichard, Boie, Nicolai,
Schlözer, der junge Weltumsegler Georg Forster schenkt ihr Tuch zu einem
Kleide aus Otaheiti, und mit wunderbarem Instinkte findet sie aus der Menge
der Studirenden die künftigen literarischen Größen heraus. Kaum vermochte
Therese Heyne, die kluge Tochter des großen Philologen, neben ihr auszu¬
kommen, es gab Reibungen und Eifersüchteleien zwischen ihnen, die noch im
spätern Leben nachwirkten.

Die Bildungskeime, mit denen Göttingen damals gleichsam übersät war,
fanden in der englischen Kultur des Landes einen eigentümlich zubereiteten
Boden. Der politische Zusammenhang Hannovers mit England hatte etwas
Anregendes, man möchte sagen Aufstachelndes, er bewahrte wenigstens vor
Gleichartigkeit und Trägheit, wenn er auch anderseits leicht zu Gespreiztheit


Grenzboten IV. 1837. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/137>, abgerufen am 22.07.2024.