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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen,

Hierin also sind wir mit Herrn Preyer vollständig einverstanden; ja wir
können noch einen Schritt weiter gehen und mit ihm die Zulassung der Real-
schnlabitnrienten mindestens zum Studium der Medizin billigen. Ist dies
erreicht -- und es scheint, als ob wir nicht mehr lange darauf zu warten haben
werden --, so wird sich ja zeigen, ob das Realgymnasium als Vorschule für
die Universität sich bewährt und ob es noch weitergehende Berechtigungen fordern
darf. An sich wäre nichts dagegen zu sagen; denn es führen viele Wege nach
Rom, und es ist nicht einzusehen, warum die akademische Freiheit von vorn¬
herein durch ein Vorrecht bevorzugter Bildungsanstalten beschränkt werden soll.
Mag dann, wer es zur Staatsprüfung braucht, sich das Griechische, wie er
Lust hat, erwerben, etwa so wie es heute zum Teil die Theologen mit dem
Hebräischen machen. Freilich weisen die Zeichen der Zeit auf einen andern
Weg. Wenn nicht alles trügt, so wird der bisherige Gegensatz zwischen huma¬
nistischer und realistischer Bildung in der Einheitsschule seinen Ausgleich finden.
Diese wird, von der Volksschule beginnend, dem Betriebe der alten Sprachen
engere Grenzen ziehen und dafür der Naturlehre und dem Anschauungs¬
unterrichte, vielleicht auch dem Deutschen größer" Raum gewähren, wobei in
den obersten Klassen eine Spaltung in humanistische und realistische Abteilungen
nicht ausgeschlossen ist. Das Ziel ist bereits gesteckt, und der Kampf hat be¬
gonnen. Der Widerstand wird freilich nicht gering sein. Denn groß ist die
Zahl der Jünger, welche auf den Betrieb der klassischen Sprachen den sehr
unklassischen Satz anwenden: Link ut sunt, s.ut non sint.




Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz.
Madame Luzifer.

s kam bei den Seelenfrcundschaften sehr viel auf die Grund¬
stimmung der Seele an. War diese eine von dem Bewußtsein
des Geistesadcls und der Verantwortlicher gesellschaftlichen Stel¬
lung getragener Ernst, so konnten sie das innere Wesen der Fran
bis auf den tiefsten Grund erschüttern, aber die der Welt zuge¬
kehrte Oberfläche erschien nnr vorübergehend bewegt. Anders, wenn ein scharfer
kritischer Verstand die Herrschaft über das Gemüt an sich riß, alle Rücksichten
der Sitte beseitigte und selbstbewußt den äußersten Konsequenzen des person-


Dichterfreundinnen,

Hierin also sind wir mit Herrn Preyer vollständig einverstanden; ja wir
können noch einen Schritt weiter gehen und mit ihm die Zulassung der Real-
schnlabitnrienten mindestens zum Studium der Medizin billigen. Ist dies
erreicht — und es scheint, als ob wir nicht mehr lange darauf zu warten haben
werden —, so wird sich ja zeigen, ob das Realgymnasium als Vorschule für
die Universität sich bewährt und ob es noch weitergehende Berechtigungen fordern
darf. An sich wäre nichts dagegen zu sagen; denn es führen viele Wege nach
Rom, und es ist nicht einzusehen, warum die akademische Freiheit von vorn¬
herein durch ein Vorrecht bevorzugter Bildungsanstalten beschränkt werden soll.
Mag dann, wer es zur Staatsprüfung braucht, sich das Griechische, wie er
Lust hat, erwerben, etwa so wie es heute zum Teil die Theologen mit dem
Hebräischen machen. Freilich weisen die Zeichen der Zeit auf einen andern
Weg. Wenn nicht alles trügt, so wird der bisherige Gegensatz zwischen huma¬
nistischer und realistischer Bildung in der Einheitsschule seinen Ausgleich finden.
Diese wird, von der Volksschule beginnend, dem Betriebe der alten Sprachen
engere Grenzen ziehen und dafür der Naturlehre und dem Anschauungs¬
unterrichte, vielleicht auch dem Deutschen größer» Raum gewähren, wobei in
den obersten Klassen eine Spaltung in humanistische und realistische Abteilungen
nicht ausgeschlossen ist. Das Ziel ist bereits gesteckt, und der Kampf hat be¬
gonnen. Der Widerstand wird freilich nicht gering sein. Denn groß ist die
Zahl der Jünger, welche auf den Betrieb der klassischen Sprachen den sehr
unklassischen Satz anwenden: Link ut sunt, s.ut non sint.




Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz.
Madame Luzifer.

s kam bei den Seelenfrcundschaften sehr viel auf die Grund¬
stimmung der Seele an. War diese eine von dem Bewußtsein
des Geistesadcls und der Verantwortlicher gesellschaftlichen Stel¬
lung getragener Ernst, so konnten sie das innere Wesen der Fran
bis auf den tiefsten Grund erschüttern, aber die der Welt zuge¬
kehrte Oberfläche erschien nnr vorübergehend bewegt. Anders, wenn ein scharfer
kritischer Verstand die Herrschaft über das Gemüt an sich riß, alle Rücksichten
der Sitte beseitigte und selbstbewußt den äußersten Konsequenzen des person-


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[0136] Dichterfreundinnen, Hierin also sind wir mit Herrn Preyer vollständig einverstanden; ja wir können noch einen Schritt weiter gehen und mit ihm die Zulassung der Real- schnlabitnrienten mindestens zum Studium der Medizin billigen. Ist dies erreicht — und es scheint, als ob wir nicht mehr lange darauf zu warten haben werden —, so wird sich ja zeigen, ob das Realgymnasium als Vorschule für die Universität sich bewährt und ob es noch weitergehende Berechtigungen fordern darf. An sich wäre nichts dagegen zu sagen; denn es führen viele Wege nach Rom, und es ist nicht einzusehen, warum die akademische Freiheit von vorn¬ herein durch ein Vorrecht bevorzugter Bildungsanstalten beschränkt werden soll. Mag dann, wer es zur Staatsprüfung braucht, sich das Griechische, wie er Lust hat, erwerben, etwa so wie es heute zum Teil die Theologen mit dem Hebräischen machen. Freilich weisen die Zeichen der Zeit auf einen andern Weg. Wenn nicht alles trügt, so wird der bisherige Gegensatz zwischen huma¬ nistischer und realistischer Bildung in der Einheitsschule seinen Ausgleich finden. Diese wird, von der Volksschule beginnend, dem Betriebe der alten Sprachen engere Grenzen ziehen und dafür der Naturlehre und dem Anschauungs¬ unterrichte, vielleicht auch dem Deutschen größer» Raum gewähren, wobei in den obersten Klassen eine Spaltung in humanistische und realistische Abteilungen nicht ausgeschlossen ist. Das Ziel ist bereits gesteckt, und der Kampf hat be¬ gonnen. Der Widerstand wird freilich nicht gering sein. Denn groß ist die Zahl der Jünger, welche auf den Betrieb der klassischen Sprachen den sehr unklassischen Satz anwenden: Link ut sunt, s.ut non sint. Dichterfreundinnen. von Franz Pfalz. Madame Luzifer. s kam bei den Seelenfrcundschaften sehr viel auf die Grund¬ stimmung der Seele an. War diese eine von dem Bewußtsein des Geistesadcls und der Verantwortlicher gesellschaftlichen Stel¬ lung getragener Ernst, so konnten sie das innere Wesen der Fran bis auf den tiefsten Grund erschüttern, aber die der Welt zuge¬ kehrte Oberfläche erschien nnr vorübergehend bewegt. Anders, wenn ein scharfer kritischer Verstand die Herrschaft über das Gemüt an sich riß, alle Rücksichten der Sitte beseitigte und selbstbewußt den äußersten Konsequenzen des person-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/136>, abgerufen am 22.07.2024.