Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Naturforscherversammlung und das Gymnasium.

Übrigens läßt auch das Gymnasium trotz seiner überlieferten Richtung
auf das Altertum seinen Zöglingen doch Raum zu eigenartiger Entwicklung.
Mag es immer sein, daß der naturwissenschaftliche, der Anschauungsunterricht
nicht auf der von Fachleuten und Liebhabern gewünschten Höhe steht, sicher ist
es doch, daß Anregung, Gelegenheit und Muße wie für die Pflichtleistungen,
so auch für die Pflege besondrer Neigungen gewährt wird. Fleißige Sammler
von Pflanzen, Insekten und Schmetterlingen haben sich auf Gymnasien immer
gefunden und finden sich noch in allen Klassen, und es ist bekannt, daß mancher
große Chemiker, Physiker oder Arzt schon auf der Schule durch Experiment und
Privatstudien den Grund zu seiner Größe gelegt hat. Natürlich wird man seine
Beispiele nicht in den Reihen der Stümper, der Trägen, der Schwächlinge zu
suchen haben. Unter normalen Verhältnissen bleibt dein Strebsamen noch Zeit
genug übrig, die er -- allerdings manchmal zum Verdruß des Klassenlehrers --
auf die Pflege einer Kunst oder einer Lieblingswissenschaft verwenden kann.
Freilich muß ohne weiteres zugegeben werden, daß dies nicht die Regel, sondern
die Ausnahme ist, wobei die große Masse nicht zu ihrem Rechte kommt. Daß
aber auf der Bildungsanstalt, die ihre Zöglinge zum Fachstudium und ins
Leben entläßt, die Gesamtheit allseitig und dem Zeitgeist entsprechend gebildet
werde, ist eine wohlbegründete Forderung.

Leichter zu widerlegen ist der Vorwurf, daß unter dem Einflüsse der alten
Sprachen das Deutschtum zu spät oder gar nicht aufkomme. Wenn dies so
viel bedeutet als Vaterlandsliebe, Achtung vor deutscher Wissenschaft, Kunst,
Sitte und Art, so ist wohl selten ein ungerechteres Wort gesprochen worden.
Zu unklarer Begeisterung für das Mittelalter im Sinne der Romantiker oder
zu der reckenhaften Deutschtümelei des Turnvaters Jahr wird auch Herr Preyer
die studirende Jugend nicht anleiten wollen. Dann dürfte aber an der vater¬
ländischen Haltung der Gymnasien kaum zu mcikelu sein. Braucht mau hinzu-
weisen auf die Kriegsjahre, wo die gebildete Jugend Deutschlands schaarenweise
Hörsaal und Schulbank verließ und freiwillig zu Deutschlands Schutz und Ehre
die Waffen ergriff? Wenn trotzdem noch jemand daran zweifeln wollte, daß
die deutschen Gymnasien wahrhafte Pflegstätten des deutschen Geistes sind, so
würde es erlaubt sein, sich al!f das Ansehen des Reichskanzlers z" berufen, der
mehr als einmal der deutschen Jugend, und ganz besonders der studirenden,
das glänzendste Zeugnis ausgestellt hat. Er, der berufenste Richter über alles,
was Deutschtum und Vaterlandsliebe angeht, würde sicherlich nicht die ihm ans
Anlaß seines siebzigjährigen Geburtstages überwiesene Ehrengabe zur Unter¬
stützung für angehende Philologen bestimmt haben, wenn er nicht überzeugt
wäre, daß es an den Gymnasien mit der Pflege des dentschen Geistes wohl
bestellt sei. Daß die studirende Jugend durch "die geistige Auswanderung nach
Rom und Athen, zu welcher sie auf den Gymnasien gezwungen wird." dein
deutschen Wesen entfremdet werde, ist eine unbegründete Besorgnis. Sich i"


Die Naturforscherversammlung und das Gymnasium.

Übrigens läßt auch das Gymnasium trotz seiner überlieferten Richtung
auf das Altertum seinen Zöglingen doch Raum zu eigenartiger Entwicklung.
Mag es immer sein, daß der naturwissenschaftliche, der Anschauungsunterricht
nicht auf der von Fachleuten und Liebhabern gewünschten Höhe steht, sicher ist
es doch, daß Anregung, Gelegenheit und Muße wie für die Pflichtleistungen,
so auch für die Pflege besondrer Neigungen gewährt wird. Fleißige Sammler
von Pflanzen, Insekten und Schmetterlingen haben sich auf Gymnasien immer
gefunden und finden sich noch in allen Klassen, und es ist bekannt, daß mancher
große Chemiker, Physiker oder Arzt schon auf der Schule durch Experiment und
Privatstudien den Grund zu seiner Größe gelegt hat. Natürlich wird man seine
Beispiele nicht in den Reihen der Stümper, der Trägen, der Schwächlinge zu
suchen haben. Unter normalen Verhältnissen bleibt dein Strebsamen noch Zeit
genug übrig, die er — allerdings manchmal zum Verdruß des Klassenlehrers —
auf die Pflege einer Kunst oder einer Lieblingswissenschaft verwenden kann.
Freilich muß ohne weiteres zugegeben werden, daß dies nicht die Regel, sondern
die Ausnahme ist, wobei die große Masse nicht zu ihrem Rechte kommt. Daß
aber auf der Bildungsanstalt, die ihre Zöglinge zum Fachstudium und ins
Leben entläßt, die Gesamtheit allseitig und dem Zeitgeist entsprechend gebildet
werde, ist eine wohlbegründete Forderung.

Leichter zu widerlegen ist der Vorwurf, daß unter dem Einflüsse der alten
Sprachen das Deutschtum zu spät oder gar nicht aufkomme. Wenn dies so
viel bedeutet als Vaterlandsliebe, Achtung vor deutscher Wissenschaft, Kunst,
Sitte und Art, so ist wohl selten ein ungerechteres Wort gesprochen worden.
Zu unklarer Begeisterung für das Mittelalter im Sinne der Romantiker oder
zu der reckenhaften Deutschtümelei des Turnvaters Jahr wird auch Herr Preyer
die studirende Jugend nicht anleiten wollen. Dann dürfte aber an der vater¬
ländischen Haltung der Gymnasien kaum zu mcikelu sein. Braucht mau hinzu-
weisen auf die Kriegsjahre, wo die gebildete Jugend Deutschlands schaarenweise
Hörsaal und Schulbank verließ und freiwillig zu Deutschlands Schutz und Ehre
die Waffen ergriff? Wenn trotzdem noch jemand daran zweifeln wollte, daß
die deutschen Gymnasien wahrhafte Pflegstätten des deutschen Geistes sind, so
würde es erlaubt sein, sich al!f das Ansehen des Reichskanzlers z» berufen, der
mehr als einmal der deutschen Jugend, und ganz besonders der studirenden,
das glänzendste Zeugnis ausgestellt hat. Er, der berufenste Richter über alles,
was Deutschtum und Vaterlandsliebe angeht, würde sicherlich nicht die ihm ans
Anlaß seines siebzigjährigen Geburtstages überwiesene Ehrengabe zur Unter¬
stützung für angehende Philologen bestimmt haben, wenn er nicht überzeugt
wäre, daß es an den Gymnasien mit der Pflege des dentschen Geistes wohl
bestellt sei. Daß die studirende Jugend durch „die geistige Auswanderung nach
Rom und Athen, zu welcher sie auf den Gymnasien gezwungen wird." dein
deutschen Wesen entfremdet werde, ist eine unbegründete Besorgnis. Sich i»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201562"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Naturforscherversammlung und das Gymnasium.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_302"> Übrigens läßt auch das Gymnasium trotz seiner überlieferten Richtung<lb/>
auf das Altertum seinen Zöglingen doch Raum zu eigenartiger Entwicklung.<lb/>
Mag es immer sein, daß der naturwissenschaftliche, der Anschauungsunterricht<lb/>
nicht auf der von Fachleuten und Liebhabern gewünschten Höhe steht, sicher ist<lb/>
es doch, daß Anregung, Gelegenheit und Muße wie für die Pflichtleistungen,<lb/>
so auch für die Pflege besondrer Neigungen gewährt wird. Fleißige Sammler<lb/>
von Pflanzen, Insekten und Schmetterlingen haben sich auf Gymnasien immer<lb/>
gefunden und finden sich noch in allen Klassen, und es ist bekannt, daß mancher<lb/>
große Chemiker, Physiker oder Arzt schon auf der Schule durch Experiment und<lb/>
Privatstudien den Grund zu seiner Größe gelegt hat. Natürlich wird man seine<lb/>
Beispiele nicht in den Reihen der Stümper, der Trägen, der Schwächlinge zu<lb/>
suchen haben. Unter normalen Verhältnissen bleibt dein Strebsamen noch Zeit<lb/>
genug übrig, die er &#x2014; allerdings manchmal zum Verdruß des Klassenlehrers &#x2014;<lb/>
auf die Pflege einer Kunst oder einer Lieblingswissenschaft verwenden kann.<lb/>
Freilich muß ohne weiteres zugegeben werden, daß dies nicht die Regel, sondern<lb/>
die Ausnahme ist, wobei die große Masse nicht zu ihrem Rechte kommt. Daß<lb/>
aber auf der Bildungsanstalt, die ihre Zöglinge zum Fachstudium und ins<lb/>
Leben entläßt, die Gesamtheit allseitig und dem Zeitgeist entsprechend gebildet<lb/>
werde, ist eine wohlbegründete Forderung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_303" next="#ID_304"> Leichter zu widerlegen ist der Vorwurf, daß unter dem Einflüsse der alten<lb/>
Sprachen das Deutschtum zu spät oder gar nicht aufkomme. Wenn dies so<lb/>
viel bedeutet als Vaterlandsliebe, Achtung vor deutscher Wissenschaft, Kunst,<lb/>
Sitte und Art, so ist wohl selten ein ungerechteres Wort gesprochen worden.<lb/>
Zu unklarer Begeisterung für das Mittelalter im Sinne der Romantiker oder<lb/>
zu der reckenhaften Deutschtümelei des Turnvaters Jahr wird auch Herr Preyer<lb/>
die studirende Jugend nicht anleiten wollen. Dann dürfte aber an der vater¬<lb/>
ländischen Haltung der Gymnasien kaum zu mcikelu sein. Braucht mau hinzu-<lb/>
weisen auf die Kriegsjahre, wo die gebildete Jugend Deutschlands schaarenweise<lb/>
Hörsaal und Schulbank verließ und freiwillig zu Deutschlands Schutz und Ehre<lb/>
die Waffen ergriff? Wenn trotzdem noch jemand daran zweifeln wollte, daß<lb/>
die deutschen Gymnasien wahrhafte Pflegstätten des deutschen Geistes sind, so<lb/>
würde es erlaubt sein, sich al!f das Ansehen des Reichskanzlers z» berufen, der<lb/>
mehr als einmal der deutschen Jugend, und ganz besonders der studirenden,<lb/>
das glänzendste Zeugnis ausgestellt hat. Er, der berufenste Richter über alles,<lb/>
was Deutschtum und Vaterlandsliebe angeht, würde sicherlich nicht die ihm ans<lb/>
Anlaß seines siebzigjährigen Geburtstages überwiesene Ehrengabe zur Unter¬<lb/>
stützung für angehende Philologen bestimmt haben, wenn er nicht überzeugt<lb/>
wäre, daß es an den Gymnasien mit der Pflege des dentschen Geistes wohl<lb/>
bestellt sei. Daß die studirende Jugend durch &#x201E;die geistige Auswanderung nach<lb/>
Rom und Athen, zu welcher sie auf den Gymnasien gezwungen wird." dein<lb/>
deutschen Wesen entfremdet werde, ist eine unbegründete Besorgnis.  Sich i»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] Die Naturforscherversammlung und das Gymnasium. Übrigens läßt auch das Gymnasium trotz seiner überlieferten Richtung auf das Altertum seinen Zöglingen doch Raum zu eigenartiger Entwicklung. Mag es immer sein, daß der naturwissenschaftliche, der Anschauungsunterricht nicht auf der von Fachleuten und Liebhabern gewünschten Höhe steht, sicher ist es doch, daß Anregung, Gelegenheit und Muße wie für die Pflichtleistungen, so auch für die Pflege besondrer Neigungen gewährt wird. Fleißige Sammler von Pflanzen, Insekten und Schmetterlingen haben sich auf Gymnasien immer gefunden und finden sich noch in allen Klassen, und es ist bekannt, daß mancher große Chemiker, Physiker oder Arzt schon auf der Schule durch Experiment und Privatstudien den Grund zu seiner Größe gelegt hat. Natürlich wird man seine Beispiele nicht in den Reihen der Stümper, der Trägen, der Schwächlinge zu suchen haben. Unter normalen Verhältnissen bleibt dein Strebsamen noch Zeit genug übrig, die er — allerdings manchmal zum Verdruß des Klassenlehrers — auf die Pflege einer Kunst oder einer Lieblingswissenschaft verwenden kann. Freilich muß ohne weiteres zugegeben werden, daß dies nicht die Regel, sondern die Ausnahme ist, wobei die große Masse nicht zu ihrem Rechte kommt. Daß aber auf der Bildungsanstalt, die ihre Zöglinge zum Fachstudium und ins Leben entläßt, die Gesamtheit allseitig und dem Zeitgeist entsprechend gebildet werde, ist eine wohlbegründete Forderung. Leichter zu widerlegen ist der Vorwurf, daß unter dem Einflüsse der alten Sprachen das Deutschtum zu spät oder gar nicht aufkomme. Wenn dies so viel bedeutet als Vaterlandsliebe, Achtung vor deutscher Wissenschaft, Kunst, Sitte und Art, so ist wohl selten ein ungerechteres Wort gesprochen worden. Zu unklarer Begeisterung für das Mittelalter im Sinne der Romantiker oder zu der reckenhaften Deutschtümelei des Turnvaters Jahr wird auch Herr Preyer die studirende Jugend nicht anleiten wollen. Dann dürfte aber an der vater¬ ländischen Haltung der Gymnasien kaum zu mcikelu sein. Braucht mau hinzu- weisen auf die Kriegsjahre, wo die gebildete Jugend Deutschlands schaarenweise Hörsaal und Schulbank verließ und freiwillig zu Deutschlands Schutz und Ehre die Waffen ergriff? Wenn trotzdem noch jemand daran zweifeln wollte, daß die deutschen Gymnasien wahrhafte Pflegstätten des deutschen Geistes sind, so würde es erlaubt sein, sich al!f das Ansehen des Reichskanzlers z» berufen, der mehr als einmal der deutschen Jugend, und ganz besonders der studirenden, das glänzendste Zeugnis ausgestellt hat. Er, der berufenste Richter über alles, was Deutschtum und Vaterlandsliebe angeht, würde sicherlich nicht die ihm ans Anlaß seines siebzigjährigen Geburtstages überwiesene Ehrengabe zur Unter¬ stützung für angehende Philologen bestimmt haben, wenn er nicht überzeugt wäre, daß es an den Gymnasien mit der Pflege des dentschen Geistes wohl bestellt sei. Daß die studirende Jugend durch „die geistige Auswanderung nach Rom und Athen, zu welcher sie auf den Gymnasien gezwungen wird." dein deutschen Wesen entfremdet werde, ist eine unbegründete Besorgnis. Sich i»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/133>, abgerufen am 25.08.2024.