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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die katholische Kirche und die soziale Frage.

Welchen die Zivilisation und die soziale Ordnung durch die Habsucht, die Unter¬
drückung und die Verdorbenheit bedroht werden. Diese Gefahren kommen mehr
von der Ungerechtigkeit der höheren als von den Gewaltthätigkeiten der niederen
Klassen. Meine genaue Kenntnis der sozialen Lage unsers Heimatlandes ^Nord¬
amerikas bestärkt mich in der Überzeugung, daß wir hier an eine Frage heran¬
treten, welche nicht nur die Rechte der arbeitenden Klassen betrifft, die doch der
Kirche ganz besonders teuer sein müssen, da sie von unserm Heiland gestiftet
worden ist, um den Armen das Evangelium zu bringen, sondern an eine Frage,
in welcher die wesentlichsten Interessen der Kirche und der menschlichen Gesell¬
schaft für die Zukunft enthalten sind. Jeder, der die Wege betrachtet, ans
welchen die göttliche Vorsehung die Geschichte unsrer Zeit führt, kann unmöglich
den gewichtigen Anteil verkennen, den die Macht des Volkes schon jetzt daran
nimmt und in Zukunft nehmen muß. Und weil es unzweifelhaft ist, daß die
großen Fragen der Zukunft sich nicht um Krieg, Handel, Geldwirtschaft drehen,
sondern um die Verbesserung der Lage der großen Volksmassen, insbesondre
der arbeitenden Klassen, so ist es von größter Tragweite, daß die Kirche stets
auf Seiten der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit gegen die Volksmassen ge¬
funden werde, welche den Körper der menschlichen Familie bilden."

Der Kardinal Gibbons ist der Ansicht, daß man diese Grundsätze auch auf
die "Ritter der Arbeit" anwenden müsse, obwohl diese Gesellschaft nicht unter
der unmittelbaren Überwachung der Kirche stehe. "Aber -- sagt man -- ließen
sich nicht statt einer solchen Schöpfung Bruderschaften gründen, welche die
Arbeiter unter der Führung der Geistlichen und unter dem unmittelbaren Einfluß
der Religion vereinigen würden? Ich antworte auf diese Frage ganz offen,
daß ich dies in unserm Lande weder für möglich, noch für notwendig halte. Ich
bewundere aufrichtig die Anstrengungen dieser Art, die man in den Ländern
macht, wo die Arbeiter durch die Feinde der Kirche verführt werden; aber bei
uns steht Gott sei Dank die Sache anders. Wir finden, daß bei uns die
Gegenwart und der ausgesprochene Einfluß des Geistlichen nicht da am Platze
wäre, wo sich die Bürger ohne Unterschied des religiösen Glaubens zu Zwecken
vereinigen, die nur ihre gewerblichen Interessen betreffen."

Man sieht, in welchen Beziehungen sich Kardinal Gibbons von den katho¬
lischen Sozialisten Europas trennt, und man möchte wohl annehmen, daß er
gegen sie Recht behalten wird. Zum Schluß schildert er die Gefahren, welche
aus einer Verdammung jenes Arbeiterbundes hervorgehen würden. "Zunächst
droht die augenscheinliche Gefahr, daß die Kirche in der Meinung des Volkes
das Recht verliert, als die Freundin des Volkes angesehen zu werden. Das
Herz der Massen zieht rasche Schlüsse, und dies wäre ein für das Volk wie
für die Kirche verhängnisvoller Schluß. Das Herz des Volkes verlieren wäre
ein Schade, welchen die Freundschaft der kleinen Zahl Reicher oder Mächtiger
nicht aufwiegen würde. Wollte man durch kirchliche Verdammung einen Bund


Die katholische Kirche und die soziale Frage.

Welchen die Zivilisation und die soziale Ordnung durch die Habsucht, die Unter¬
drückung und die Verdorbenheit bedroht werden. Diese Gefahren kommen mehr
von der Ungerechtigkeit der höheren als von den Gewaltthätigkeiten der niederen
Klassen. Meine genaue Kenntnis der sozialen Lage unsers Heimatlandes ^Nord¬
amerikas bestärkt mich in der Überzeugung, daß wir hier an eine Frage heran¬
treten, welche nicht nur die Rechte der arbeitenden Klassen betrifft, die doch der
Kirche ganz besonders teuer sein müssen, da sie von unserm Heiland gestiftet
worden ist, um den Armen das Evangelium zu bringen, sondern an eine Frage,
in welcher die wesentlichsten Interessen der Kirche und der menschlichen Gesell¬
schaft für die Zukunft enthalten sind. Jeder, der die Wege betrachtet, ans
welchen die göttliche Vorsehung die Geschichte unsrer Zeit führt, kann unmöglich
den gewichtigen Anteil verkennen, den die Macht des Volkes schon jetzt daran
nimmt und in Zukunft nehmen muß. Und weil es unzweifelhaft ist, daß die
großen Fragen der Zukunft sich nicht um Krieg, Handel, Geldwirtschaft drehen,
sondern um die Verbesserung der Lage der großen Volksmassen, insbesondre
der arbeitenden Klassen, so ist es von größter Tragweite, daß die Kirche stets
auf Seiten der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit gegen die Volksmassen ge¬
funden werde, welche den Körper der menschlichen Familie bilden."

Der Kardinal Gibbons ist der Ansicht, daß man diese Grundsätze auch auf
die „Ritter der Arbeit" anwenden müsse, obwohl diese Gesellschaft nicht unter
der unmittelbaren Überwachung der Kirche stehe. „Aber — sagt man — ließen
sich nicht statt einer solchen Schöpfung Bruderschaften gründen, welche die
Arbeiter unter der Führung der Geistlichen und unter dem unmittelbaren Einfluß
der Religion vereinigen würden? Ich antworte auf diese Frage ganz offen,
daß ich dies in unserm Lande weder für möglich, noch für notwendig halte. Ich
bewundere aufrichtig die Anstrengungen dieser Art, die man in den Ländern
macht, wo die Arbeiter durch die Feinde der Kirche verführt werden; aber bei
uns steht Gott sei Dank die Sache anders. Wir finden, daß bei uns die
Gegenwart und der ausgesprochene Einfluß des Geistlichen nicht da am Platze
wäre, wo sich die Bürger ohne Unterschied des religiösen Glaubens zu Zwecken
vereinigen, die nur ihre gewerblichen Interessen betreffen."

Man sieht, in welchen Beziehungen sich Kardinal Gibbons von den katho¬
lischen Sozialisten Europas trennt, und man möchte wohl annehmen, daß er
gegen sie Recht behalten wird. Zum Schluß schildert er die Gefahren, welche
aus einer Verdammung jenes Arbeiterbundes hervorgehen würden. „Zunächst
droht die augenscheinliche Gefahr, daß die Kirche in der Meinung des Volkes
das Recht verliert, als die Freundin des Volkes angesehen zu werden. Das
Herz der Massen zieht rasche Schlüsse, und dies wäre ein für das Volk wie
für die Kirche verhängnisvoller Schluß. Das Herz des Volkes verlieren wäre
ein Schade, welchen die Freundschaft der kleinen Zahl Reicher oder Mächtiger
nicht aufwiegen würde. Wollte man durch kirchliche Verdammung einen Bund


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[0127] Die katholische Kirche und die soziale Frage. Welchen die Zivilisation und die soziale Ordnung durch die Habsucht, die Unter¬ drückung und die Verdorbenheit bedroht werden. Diese Gefahren kommen mehr von der Ungerechtigkeit der höheren als von den Gewaltthätigkeiten der niederen Klassen. Meine genaue Kenntnis der sozialen Lage unsers Heimatlandes ^Nord¬ amerikas bestärkt mich in der Überzeugung, daß wir hier an eine Frage heran¬ treten, welche nicht nur die Rechte der arbeitenden Klassen betrifft, die doch der Kirche ganz besonders teuer sein müssen, da sie von unserm Heiland gestiftet worden ist, um den Armen das Evangelium zu bringen, sondern an eine Frage, in welcher die wesentlichsten Interessen der Kirche und der menschlichen Gesell¬ schaft für die Zukunft enthalten sind. Jeder, der die Wege betrachtet, ans welchen die göttliche Vorsehung die Geschichte unsrer Zeit führt, kann unmöglich den gewichtigen Anteil verkennen, den die Macht des Volkes schon jetzt daran nimmt und in Zukunft nehmen muß. Und weil es unzweifelhaft ist, daß die großen Fragen der Zukunft sich nicht um Krieg, Handel, Geldwirtschaft drehen, sondern um die Verbesserung der Lage der großen Volksmassen, insbesondre der arbeitenden Klassen, so ist es von größter Tragweite, daß die Kirche stets auf Seiten der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit gegen die Volksmassen ge¬ funden werde, welche den Körper der menschlichen Familie bilden." Der Kardinal Gibbons ist der Ansicht, daß man diese Grundsätze auch auf die „Ritter der Arbeit" anwenden müsse, obwohl diese Gesellschaft nicht unter der unmittelbaren Überwachung der Kirche stehe. „Aber — sagt man — ließen sich nicht statt einer solchen Schöpfung Bruderschaften gründen, welche die Arbeiter unter der Führung der Geistlichen und unter dem unmittelbaren Einfluß der Religion vereinigen würden? Ich antworte auf diese Frage ganz offen, daß ich dies in unserm Lande weder für möglich, noch für notwendig halte. Ich bewundere aufrichtig die Anstrengungen dieser Art, die man in den Ländern macht, wo die Arbeiter durch die Feinde der Kirche verführt werden; aber bei uns steht Gott sei Dank die Sache anders. Wir finden, daß bei uns die Gegenwart und der ausgesprochene Einfluß des Geistlichen nicht da am Platze wäre, wo sich die Bürger ohne Unterschied des religiösen Glaubens zu Zwecken vereinigen, die nur ihre gewerblichen Interessen betreffen." Man sieht, in welchen Beziehungen sich Kardinal Gibbons von den katho¬ lischen Sozialisten Europas trennt, und man möchte wohl annehmen, daß er gegen sie Recht behalten wird. Zum Schluß schildert er die Gefahren, welche aus einer Verdammung jenes Arbeiterbundes hervorgehen würden. „Zunächst droht die augenscheinliche Gefahr, daß die Kirche in der Meinung des Volkes das Recht verliert, als die Freundin des Volkes angesehen zu werden. Das Herz der Massen zieht rasche Schlüsse, und dies wäre ein für das Volk wie für die Kirche verhängnisvoller Schluß. Das Herz des Volkes verlieren wäre ein Schade, welchen die Freundschaft der kleinen Zahl Reicher oder Mächtiger nicht aufwiegen würde. Wollte man durch kirchliche Verdammung einen Bund

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/127>, abgerufen am 22.07.2024.