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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die katholische Kirche und die soziale Frage.

Zahl auf eine Million. Man kann sich über das Programm dieser Gesellschaft
ein Urteil bilden nach den Grundsätzen, welche der Gründer derselben, Uria
Stephens, in den Satzungen niedergelegt hat: "Die Arbeit ist edel und gesund.
Man muß sie gegen die Unwissenheit und die gewissenlose Habgier in Schutz
nehmen. Das Kapital ist in die meisten Zweige menschlicher Thätigkeit ver¬
flochten. Mag es wollen oder nicht, es zerstört die berechtigten Hoffnungen
der Arbeit und drückt die armen Menschen in den Staub nieder. Wir wollen
keinen Kampf mit den berechtigten Unternehmungen, keinen Gegensatz gegen das
notwendige Kapital hervorrufen; aber die Menschen verletzen in ihrer Selbstsucht
die Rechte der Schwachen. Man muß die Würde der Arbeit aufrecht erhalten
und ihr einen gerechten Anteil an dem Werte, den sie schafft, sichern. Wir
müssen alle Kräfte in den Dienst der Gesetze stellen, die dazu bestimmt sind,
die Interessen des Kapitals und die der Arbeit in Einklang zu bringen und
die Last des Tagearbeiters zu erleichtern. Das große Heer des Friedens und
des Gewerbefleißes zu vereinigen, zu ordnen, zu organisiren, ist die höchste und
edelste Pflicht des Menschen gegen sich selbst, seine Nebenmenschen und seinen
Schöpfer."

Zwei Drittel von den "Rittern der Arbeit" gehören der katholischen Re¬
ligion an. Ihr gegenwärtiger Großmeister, Terrence Powderly, ist ein eifriger
Katholik. Wie nun? Gehört der Orden zu den geheimen Verbindungen, welche
die katholische Kirche verdammt? In Kanada dachte man so: dort wurde er
verboten. In den Vereinigten Staaten beriet die Gesamtheit der Bischöfe über
diese wichtige Frage, aber fast mit Einstimmigkeit -- 70 Stimmen von 75 --
sprachen sich die Erzbischöfe und Bischöfe der Union gegen die Verdammung
ans. Sie entsandten einige aus ihrer Mitte nach Rom, um dem Papste ihre
Gründe darzulegen. Der Kardinal Gibbons hat diese in einer Denkschrift zu¬
sammengestellt, welche Ende März in dem Rouleau- as Kours veröffentlicht
worden ist. Darin sagt er: "Ich bin aufs tiefste von der ungeheuern Trag¬
weite der Folgen überzeugt, welche sich an diese Frage knüpfen, die nur einen
Ring in der großen Kette der sozialen Aufgaben unsrer Zeit und besonders
unsers Landes bildet." Er beweist zunächst aus dem kanonischen Rechte, daß
man den Orden der Ritter der Arbeit nicht verwechseln dürfe mit den geheimen
Gesellschaften, die mit geistlichen Strafen belegt sind; alsdann dringt er in den
Kern seines Gegenstandes ein und schildert in kräftigen Ausdrücken die Leiden
des Arbeiterstandes und die Notwendigkeit, ihnen abzuhelfen. "Die herzlose
Habgier, welche, um noch mehr zu gewinnen, ohne Erbarmen nicht nur die
männlichen Arbeiter in mehreren GeWerken, sondern insbesondre auch die Frauen
und die zarten Kinder in ihrem Dienste aufreibt, führt allen, welche die Mensch¬
lichkeit und Gerechtigkeit lieben, zu Gemüte, daß es nicht allein das Recht des
Arbeiters ist, sich selbst zu schützen, sondern die Pflicht des ganzen Volkes,
ihnen zu helfen, ein Schutzmittel gegen die Gefahren ausfindig zu machen, von


Die katholische Kirche und die soziale Frage.

Zahl auf eine Million. Man kann sich über das Programm dieser Gesellschaft
ein Urteil bilden nach den Grundsätzen, welche der Gründer derselben, Uria
Stephens, in den Satzungen niedergelegt hat: „Die Arbeit ist edel und gesund.
Man muß sie gegen die Unwissenheit und die gewissenlose Habgier in Schutz
nehmen. Das Kapital ist in die meisten Zweige menschlicher Thätigkeit ver¬
flochten. Mag es wollen oder nicht, es zerstört die berechtigten Hoffnungen
der Arbeit und drückt die armen Menschen in den Staub nieder. Wir wollen
keinen Kampf mit den berechtigten Unternehmungen, keinen Gegensatz gegen das
notwendige Kapital hervorrufen; aber die Menschen verletzen in ihrer Selbstsucht
die Rechte der Schwachen. Man muß die Würde der Arbeit aufrecht erhalten
und ihr einen gerechten Anteil an dem Werte, den sie schafft, sichern. Wir
müssen alle Kräfte in den Dienst der Gesetze stellen, die dazu bestimmt sind,
die Interessen des Kapitals und die der Arbeit in Einklang zu bringen und
die Last des Tagearbeiters zu erleichtern. Das große Heer des Friedens und
des Gewerbefleißes zu vereinigen, zu ordnen, zu organisiren, ist die höchste und
edelste Pflicht des Menschen gegen sich selbst, seine Nebenmenschen und seinen
Schöpfer."

Zwei Drittel von den „Rittern der Arbeit" gehören der katholischen Re¬
ligion an. Ihr gegenwärtiger Großmeister, Terrence Powderly, ist ein eifriger
Katholik. Wie nun? Gehört der Orden zu den geheimen Verbindungen, welche
die katholische Kirche verdammt? In Kanada dachte man so: dort wurde er
verboten. In den Vereinigten Staaten beriet die Gesamtheit der Bischöfe über
diese wichtige Frage, aber fast mit Einstimmigkeit — 70 Stimmen von 75 —
sprachen sich die Erzbischöfe und Bischöfe der Union gegen die Verdammung
ans. Sie entsandten einige aus ihrer Mitte nach Rom, um dem Papste ihre
Gründe darzulegen. Der Kardinal Gibbons hat diese in einer Denkschrift zu¬
sammengestellt, welche Ende März in dem Rouleau- as Kours veröffentlicht
worden ist. Darin sagt er: „Ich bin aufs tiefste von der ungeheuern Trag¬
weite der Folgen überzeugt, welche sich an diese Frage knüpfen, die nur einen
Ring in der großen Kette der sozialen Aufgaben unsrer Zeit und besonders
unsers Landes bildet." Er beweist zunächst aus dem kanonischen Rechte, daß
man den Orden der Ritter der Arbeit nicht verwechseln dürfe mit den geheimen
Gesellschaften, die mit geistlichen Strafen belegt sind; alsdann dringt er in den
Kern seines Gegenstandes ein und schildert in kräftigen Ausdrücken die Leiden
des Arbeiterstandes und die Notwendigkeit, ihnen abzuhelfen. „Die herzlose
Habgier, welche, um noch mehr zu gewinnen, ohne Erbarmen nicht nur die
männlichen Arbeiter in mehreren GeWerken, sondern insbesondre auch die Frauen
und die zarten Kinder in ihrem Dienste aufreibt, führt allen, welche die Mensch¬
lichkeit und Gerechtigkeit lieben, zu Gemüte, daß es nicht allein das Recht des
Arbeiters ist, sich selbst zu schützen, sondern die Pflicht des ganzen Volkes,
ihnen zu helfen, ein Schutzmittel gegen die Gefahren ausfindig zu machen, von


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[0126] Die katholische Kirche und die soziale Frage. Zahl auf eine Million. Man kann sich über das Programm dieser Gesellschaft ein Urteil bilden nach den Grundsätzen, welche der Gründer derselben, Uria Stephens, in den Satzungen niedergelegt hat: „Die Arbeit ist edel und gesund. Man muß sie gegen die Unwissenheit und die gewissenlose Habgier in Schutz nehmen. Das Kapital ist in die meisten Zweige menschlicher Thätigkeit ver¬ flochten. Mag es wollen oder nicht, es zerstört die berechtigten Hoffnungen der Arbeit und drückt die armen Menschen in den Staub nieder. Wir wollen keinen Kampf mit den berechtigten Unternehmungen, keinen Gegensatz gegen das notwendige Kapital hervorrufen; aber die Menschen verletzen in ihrer Selbstsucht die Rechte der Schwachen. Man muß die Würde der Arbeit aufrecht erhalten und ihr einen gerechten Anteil an dem Werte, den sie schafft, sichern. Wir müssen alle Kräfte in den Dienst der Gesetze stellen, die dazu bestimmt sind, die Interessen des Kapitals und die der Arbeit in Einklang zu bringen und die Last des Tagearbeiters zu erleichtern. Das große Heer des Friedens und des Gewerbefleißes zu vereinigen, zu ordnen, zu organisiren, ist die höchste und edelste Pflicht des Menschen gegen sich selbst, seine Nebenmenschen und seinen Schöpfer." Zwei Drittel von den „Rittern der Arbeit" gehören der katholischen Re¬ ligion an. Ihr gegenwärtiger Großmeister, Terrence Powderly, ist ein eifriger Katholik. Wie nun? Gehört der Orden zu den geheimen Verbindungen, welche die katholische Kirche verdammt? In Kanada dachte man so: dort wurde er verboten. In den Vereinigten Staaten beriet die Gesamtheit der Bischöfe über diese wichtige Frage, aber fast mit Einstimmigkeit — 70 Stimmen von 75 — sprachen sich die Erzbischöfe und Bischöfe der Union gegen die Verdammung ans. Sie entsandten einige aus ihrer Mitte nach Rom, um dem Papste ihre Gründe darzulegen. Der Kardinal Gibbons hat diese in einer Denkschrift zu¬ sammengestellt, welche Ende März in dem Rouleau- as Kours veröffentlicht worden ist. Darin sagt er: „Ich bin aufs tiefste von der ungeheuern Trag¬ weite der Folgen überzeugt, welche sich an diese Frage knüpfen, die nur einen Ring in der großen Kette der sozialen Aufgaben unsrer Zeit und besonders unsers Landes bildet." Er beweist zunächst aus dem kanonischen Rechte, daß man den Orden der Ritter der Arbeit nicht verwechseln dürfe mit den geheimen Gesellschaften, die mit geistlichen Strafen belegt sind; alsdann dringt er in den Kern seines Gegenstandes ein und schildert in kräftigen Ausdrücken die Leiden des Arbeiterstandes und die Notwendigkeit, ihnen abzuhelfen. „Die herzlose Habgier, welche, um noch mehr zu gewinnen, ohne Erbarmen nicht nur die männlichen Arbeiter in mehreren GeWerken, sondern insbesondre auch die Frauen und die zarten Kinder in ihrem Dienste aufreibt, führt allen, welche die Mensch¬ lichkeit und Gerechtigkeit lieben, zu Gemüte, daß es nicht allein das Recht des Arbeiters ist, sich selbst zu schützen, sondern die Pflicht des ganzen Volkes, ihnen zu helfen, ein Schutzmittel gegen die Gefahren ausfindig zu machen, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/126>, abgerufen am 22.07.2024.