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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gin Jubiläum.

voller Überzeugung zurückweisen. Wir nehmen, meine Herren, unsern Eid, das
Gelöbnis auf die Verfassung, ebenso ernsthaft wie Sie den Ihrigen." Er schloß
mit den Worten: "Das preußische Königtum hat seine Mission noch nicht er¬
füllt, es ist noch nicht reif dazu, einen rein ornamentalen Schmuck Ihres Ver¬
fassungsgebäudes zu bilden, noch nicht reif, als ein toter Maschinenteil dem
Mechanismus des parlamentarischen Regiments eingefügt zu werden."

Die Opposition war andrer Meinung, sie glaubte noch immer, ihr Spiel
gewinnen zu können. Die Demokratie hatte es verstanden, den Schein zu ver¬
breiten, als habe sie die Mehrzahl des Volkes auf ihrer Seite und als sei
selbst die Krone ernsthaft in Gefahr. Der Abgeordnete Gneist drohte mit dem
Schicksal der Bourbonen von 1830 und verglich Bismarck mit Polignac.
Andre Stimmen wiesen auf Strafford hin. In den obern Regionen herrschte
infolge dessen eine trübe und ängstliche Stimmung, und der Minister mußte in
einer Weise aufrichten, die einmal zu dem Worte veranlaßte: Voioi, mon ms-
äkvin! An andrer Stelle erwiederte er auf solche Hinweise: "Fünf Minuten,
nachdem man tot ist, ist es ganz gleich, wie man gestorben ist, und nie kann
man ehrenvoller sterben als in Erfüllung seines Berufes." Und wieder bei
andrer Gelegenheit der Art sagte er nach Hesekiel: "Der Tod auf dem Schaffst
ist unter Umständen ebenso ehrenvoll als der auf dem Schlachtfelde, und ich
kann mir schlimmere Todesarten denken als die Hinrichtung." Indes sah die
Zeit zwar recht finster und wüst aus, aber doch nur an der Oberfläche, und
Bismarck hat wohl tiefer geblickt. Wir dürfen daher vielleicht Wagener, der
ihn genauer als viele andre kannte, beipflichten, wenn er meint, er habe "die
parlamentarischen Kämpfe sdieser Zeit) immer nur als uors ä'osuvros behandelt,
und es sei ihm eigentlich ganz bequem gewesen, seine auswärtige Politik hinter
dieser Kouliffe betreiben zu können." Wahrscheinlich ist wenigstens, daß es ihm
nicht gelungen wäre, Österreich zur Mitwirkung in Schleswig-Holstein zu be¬
stimmen, wenn man dort nicht auf die vermeintliche innere Schwäche und Zer¬
rissenheit Preußens gerechnet und dieses somit als ungefährlichen Bundesgenossen
betrachtet hätte.

Die Versöhnlichkeit Bismarcks dauerte, wie zum Schlüsse gesagt sein soll,
auch nach Aufdeckung der Karten und den Siegen von 1866 fort. Wir meinen
die Indemnität, die damals verlangt wurde, und die Sitzung des Ministerrates,
in der vorher über sie verhandelt worden war. Man sprach hier darüber, in
welcher Form man das Jndemnitätsverlangen einbringen solle. Einem neu¬
gewählten, sehr maßvollen Abgeordnetenhause hätte man die Indemnität sehr
wohl in einer Form vorlegen können, welche die Anerkennung des von der Re¬
gierung in der Konfliktszeit geübten Verfahrens sowohl nach der formellen als
nach der materiellen Seite eingeschlossen hätte. Mit der Gestalt dagegen, in
welcher man das Verlangen wirklich einbrachte, gab man eine bisher streng fest¬
gehaltene Position auf, die Ansicht, daß die Regierung bei nicht vereinbarten


Gin Jubiläum.

voller Überzeugung zurückweisen. Wir nehmen, meine Herren, unsern Eid, das
Gelöbnis auf die Verfassung, ebenso ernsthaft wie Sie den Ihrigen." Er schloß
mit den Worten: „Das preußische Königtum hat seine Mission noch nicht er¬
füllt, es ist noch nicht reif dazu, einen rein ornamentalen Schmuck Ihres Ver¬
fassungsgebäudes zu bilden, noch nicht reif, als ein toter Maschinenteil dem
Mechanismus des parlamentarischen Regiments eingefügt zu werden."

Die Opposition war andrer Meinung, sie glaubte noch immer, ihr Spiel
gewinnen zu können. Die Demokratie hatte es verstanden, den Schein zu ver¬
breiten, als habe sie die Mehrzahl des Volkes auf ihrer Seite und als sei
selbst die Krone ernsthaft in Gefahr. Der Abgeordnete Gneist drohte mit dem
Schicksal der Bourbonen von 1830 und verglich Bismarck mit Polignac.
Andre Stimmen wiesen auf Strafford hin. In den obern Regionen herrschte
infolge dessen eine trübe und ängstliche Stimmung, und der Minister mußte in
einer Weise aufrichten, die einmal zu dem Worte veranlaßte: Voioi, mon ms-
äkvin! An andrer Stelle erwiederte er auf solche Hinweise: „Fünf Minuten,
nachdem man tot ist, ist es ganz gleich, wie man gestorben ist, und nie kann
man ehrenvoller sterben als in Erfüllung seines Berufes." Und wieder bei
andrer Gelegenheit der Art sagte er nach Hesekiel: „Der Tod auf dem Schaffst
ist unter Umständen ebenso ehrenvoll als der auf dem Schlachtfelde, und ich
kann mir schlimmere Todesarten denken als die Hinrichtung." Indes sah die
Zeit zwar recht finster und wüst aus, aber doch nur an der Oberfläche, und
Bismarck hat wohl tiefer geblickt. Wir dürfen daher vielleicht Wagener, der
ihn genauer als viele andre kannte, beipflichten, wenn er meint, er habe „die
parlamentarischen Kämpfe sdieser Zeit) immer nur als uors ä'osuvros behandelt,
und es sei ihm eigentlich ganz bequem gewesen, seine auswärtige Politik hinter
dieser Kouliffe betreiben zu können." Wahrscheinlich ist wenigstens, daß es ihm
nicht gelungen wäre, Österreich zur Mitwirkung in Schleswig-Holstein zu be¬
stimmen, wenn man dort nicht auf die vermeintliche innere Schwäche und Zer¬
rissenheit Preußens gerechnet und dieses somit als ungefährlichen Bundesgenossen
betrachtet hätte.

Die Versöhnlichkeit Bismarcks dauerte, wie zum Schlüsse gesagt sein soll,
auch nach Aufdeckung der Karten und den Siegen von 1866 fort. Wir meinen
die Indemnität, die damals verlangt wurde, und die Sitzung des Ministerrates,
in der vorher über sie verhandelt worden war. Man sprach hier darüber, in
welcher Form man das Jndemnitätsverlangen einbringen solle. Einem neu¬
gewählten, sehr maßvollen Abgeordnetenhause hätte man die Indemnität sehr
wohl in einer Form vorlegen können, welche die Anerkennung des von der Re¬
gierung in der Konfliktszeit geübten Verfahrens sowohl nach der formellen als
nach der materiellen Seite eingeschlossen hätte. Mit der Gestalt dagegen, in
welcher man das Verlangen wirklich einbrachte, gab man eine bisher streng fest¬
gehaltene Position auf, die Ansicht, daß die Regierung bei nicht vereinbarten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/123>, abgerufen am 22.07.2024.