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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gin Jubiläum.

"Der Beschluß des Herrenhauses verstößt gegen den klaren Sinn und Wortlaut
des Verfassungsartikels 62*) und ist deshalb null und nichtig. Die Staats¬
regierung kann daher keinerlei Rechte aus diesem Beschlusse herleiten." Der
Landtag wurde darauf mit einer Rede Bismarcks geschloffen, in welcher er sagte:
"Die Regierung befindet sich in der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne
die in der Verfassung vorausgesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich
der Verantwortlichkeit in vollem Maße bewußt, die für sie aus diesem beklagens¬
werten Zustande erwächst; sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr
gegen das Land obliegen, und findet darin die Ermächtigung, bis zur gesetz¬
lichen Feststellung des Etats die Ausgaben zu bestreiten, welche zur Erhaltung
der bestehenden Staatseinrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt
notwendig sind, indem sie die Zuversicht hegt, daß dieselben seiner Zeit die nach¬
trägliche Genehmigung erhalten werden."

Einige Monate später, im Januar 1863, als das Abgeordnetenhaus eine
Adresse an den König beriet, in welcher das Ministerium geradezu des Verfas¬
sungsbruches geziehen wurde, begründete Bismarck seine Haltung mit dem Hinweise
auf eine "Lücke in der Verfassung." Sein Gedankengang war hierbei in der
Hauptsache folgender: Die Rechte der drei konkurrirenden gesetzgebenden Gewalten,
Krone, Herrenhaus und Abgeordnetenhaus, sind in der Theorie gleich stark.
Kommt es zwischen den dreien zu keiner Vereinbarung, so fehlt es in der Ver¬
fassung a" jeglicher Bestimmung darüber, welche von ihnen nachzugeben habe.
In frühern Diskussionen ist man freilich über diese Schwierigkeit mit Leichtigkeit
hinweggegangen, es wurde nach Analogie von andern Ländern . . . angenommen,
die Schwierigkeit sei einfach dadurch zu erledigen, daß die beiden andern Fak¬
toren sich dem Abgeordnetenhause fügten. . . . Auf diese Weise würde allerdings
die souveräne Alleinherrschaft des Abgeordnetenhauses hergestellt werden; aber
eine solche Alleinherrschaft ist nicht verfassungsmäßiges Recht in Preußen. Die
Verfassung hält das Gleichgewicht der drei gesetzgebenden Gewalten in allen
Fragen, auch in der Budgetgesctzgebung, durchaus fest, keine dieser Gewalten
kann die andern zum Nachgeben zwingen, die Verfassung verweist daher auf
den Weg der Kompromisse zur Verständigung. . . . Wird der Kompromiß dadurch
vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten ihre Ansicht mit doktrinärem Ab¬
solutismus durchführen will, so kommt es zum Konflikte, und Konflikte werden,
weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann, zu Macht-
fragen. Wer dann die Macht in den Händen hat, der geht in seinem Sinne
vor." Bismarck war sich bewußt, ehrlich auf einen Kompromiß hingearbeitet
zu haben, und so durfte er fortfahren: "Ich muß nach dem Gesagten die Be¬
hauptung, daß wir die Verfassung verletzt hätten, auf das bestimmteste und mit



*) Es heißt darin: "Finanzgcsetzcntwürfe und Staatshaushaltsetats werden zuerst dem
Hause der Abgeordneten vorgelegt; letztere werden von dem Herrenhause im ganzen ange¬
nommen oder abgelehnt."
Gin Jubiläum.

„Der Beschluß des Herrenhauses verstößt gegen den klaren Sinn und Wortlaut
des Verfassungsartikels 62*) und ist deshalb null und nichtig. Die Staats¬
regierung kann daher keinerlei Rechte aus diesem Beschlusse herleiten." Der
Landtag wurde darauf mit einer Rede Bismarcks geschloffen, in welcher er sagte:
„Die Regierung befindet sich in der Notwendigkeit, den Staatshaushalt ohne
die in der Verfassung vorausgesetzte Unterlage führen zu müssen. Sie ist sich
der Verantwortlichkeit in vollem Maße bewußt, die für sie aus diesem beklagens¬
werten Zustande erwächst; sie ist aber ebenso der Pflichten eingedenk, welche ihr
gegen das Land obliegen, und findet darin die Ermächtigung, bis zur gesetz¬
lichen Feststellung des Etats die Ausgaben zu bestreiten, welche zur Erhaltung
der bestehenden Staatseinrichtungen und zur Förderung der Landeswohlfahrt
notwendig sind, indem sie die Zuversicht hegt, daß dieselben seiner Zeit die nach¬
trägliche Genehmigung erhalten werden."

Einige Monate später, im Januar 1863, als das Abgeordnetenhaus eine
Adresse an den König beriet, in welcher das Ministerium geradezu des Verfas¬
sungsbruches geziehen wurde, begründete Bismarck seine Haltung mit dem Hinweise
auf eine „Lücke in der Verfassung." Sein Gedankengang war hierbei in der
Hauptsache folgender: Die Rechte der drei konkurrirenden gesetzgebenden Gewalten,
Krone, Herrenhaus und Abgeordnetenhaus, sind in der Theorie gleich stark.
Kommt es zwischen den dreien zu keiner Vereinbarung, so fehlt es in der Ver¬
fassung a» jeglicher Bestimmung darüber, welche von ihnen nachzugeben habe.
In frühern Diskussionen ist man freilich über diese Schwierigkeit mit Leichtigkeit
hinweggegangen, es wurde nach Analogie von andern Ländern . . . angenommen,
die Schwierigkeit sei einfach dadurch zu erledigen, daß die beiden andern Fak¬
toren sich dem Abgeordnetenhause fügten. . . . Auf diese Weise würde allerdings
die souveräne Alleinherrschaft des Abgeordnetenhauses hergestellt werden; aber
eine solche Alleinherrschaft ist nicht verfassungsmäßiges Recht in Preußen. Die
Verfassung hält das Gleichgewicht der drei gesetzgebenden Gewalten in allen
Fragen, auch in der Budgetgesctzgebung, durchaus fest, keine dieser Gewalten
kann die andern zum Nachgeben zwingen, die Verfassung verweist daher auf
den Weg der Kompromisse zur Verständigung. . . . Wird der Kompromiß dadurch
vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten ihre Ansicht mit doktrinärem Ab¬
solutismus durchführen will, so kommt es zum Konflikte, und Konflikte werden,
weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick stillstehen kann, zu Macht-
fragen. Wer dann die Macht in den Händen hat, der geht in seinem Sinne
vor." Bismarck war sich bewußt, ehrlich auf einen Kompromiß hingearbeitet
zu haben, und so durfte er fortfahren: „Ich muß nach dem Gesagten die Be¬
hauptung, daß wir die Verfassung verletzt hätten, auf das bestimmteste und mit



*) Es heißt darin: „Finanzgcsetzcntwürfe und Staatshaushaltsetats werden zuerst dem
Hause der Abgeordneten vorgelegt; letztere werden von dem Herrenhause im ganzen ange¬
nommen oder abgelehnt."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/122>, abgerufen am 22.07.2024.