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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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des Blattes, in seinem Buche "Erlebtes," und an einer andern Stelle: "Außer¬
dem kommt ein nicht unerheblicher Teil der damaligen Scherze des Berliner
Zuschauers, und zwar nicht der schlechteste, auf sein Konto, da selbiger damals
über alles, was die Kammern betraf, der beste Mitarbeiter der Kreuzzeitung war."
Sehr gegen die würdevolle Geschwollcnheit der damaligen Landbvten verstieß
endlich sein Vorschlag, an den Ministertisch in der Kammer sechs Tambours zu
setzen und alle Interpellationen mit einem Wirbel zu beantworten; aber so uneben
war der Einfall nicht, und es wäre dabei viel Einfalt und Unfug ungeredet
verschluckt worden und viel schöne Zeit nnverschwendet geblieben. Er war gewiß
damals noch in manchem Vorurteil befangen, das ihn den eigentlichen Junkern
anschloß, aber schon während dieser Lehrzeit war er zu sehr dem Leben zugewandt
und zu sehr Rechner mit den Thatsachen, um unbedingt und uneingeschränkt den
Dogmen des feudalen und absolutistischen Glaubensbekenntnisses zu huldigen,
dessen Inbegriff der Liberalismus mit der Vokabel "Junkertum" in seinem
Wörterbuche bezeichnet. In seinen Wauderscchren aber that er noch mehr davon
ab, und wenn er sich während derselben auch nie zu dem Parlamentarismus
nach dem Muster Englands und Frankreichs bekehrte, der nach den Wünschen
der Liberalen ganz oder halb in Preußen eingeführt werden sollte, so berichtigte
er in dieser Zeit, wie sein Urteil über Österreich, so auch die Meinung über die
konstitutionellen Einrichtungen, die in seinen frühern Reden und Briefen bis¬
weilen zwischen den Zeilen zu lesen war, so wesentlich, und so gewann er so
viel Billigkeitsgefühl und Versöhnlichkeit, daß er, als ihm die Leitung der
Geschäfte übertragen wurde, sie in verfassungsmäßigen Sinne führen konnte.
Nicht erst in dem oben erwähnten Briefe an Below-Hohendorf, also nicht erst
ein Jahr vor seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten, war er zu der Er¬
kenntnis gelaugt, daß eine Volksvertretung in Preußen unentbehrlich und für
dessen Pläne im übrigen Deutschland höchst wünschenswert sei. Schon in einem
Privatbriefe vom 12. Februar 1853, der an Manteuffel gerichtet war, sagt er:
"Als Kuriosum erlaube ich mir noch hinzuzufügen, daß Herr v. Prokesch von
einer gänzlichen Beseitigung der Verfassung in Preußen wie von einem der
königlichen Negierung ohne Zweifel vorschwebenden Ziele sprach und mein
Widerspruch dagegen, sowie meine Äußerung, daß ich selbst ein so extremes
Resultat für kein politisch richtiges halte, ihn überraschten." In einem vom
11. September 1856 datirten Schreiben an einen politischen Freund geht er
weiter und erblickt in den Kammern und der Presse Preußens Werkzeuge, die
sich zur Hebung des Ansehens des letzteren verwenden ließen, auch denkt er
bereits an ein Zollparlament, also über die preußische Grenze hinaus. Das
repräsentative System soll also hier moralisch erobern, freilich nicht im Sinne
der "neuen Ära," die damals noch im liinvus inlantium auf die Geburt wartete,
und mit deren Velleitäten er später nichts gemein hatte. Er schreibt dort:
"Ich glaube, daß wir in einem nach 1865 von Preußen umzubildenden Zoll-


des Blattes, in seinem Buche „Erlebtes," und an einer andern Stelle: „Außer¬
dem kommt ein nicht unerheblicher Teil der damaligen Scherze des Berliner
Zuschauers, und zwar nicht der schlechteste, auf sein Konto, da selbiger damals
über alles, was die Kammern betraf, der beste Mitarbeiter der Kreuzzeitung war."
Sehr gegen die würdevolle Geschwollcnheit der damaligen Landbvten verstieß
endlich sein Vorschlag, an den Ministertisch in der Kammer sechs Tambours zu
setzen und alle Interpellationen mit einem Wirbel zu beantworten; aber so uneben
war der Einfall nicht, und es wäre dabei viel Einfalt und Unfug ungeredet
verschluckt worden und viel schöne Zeit nnverschwendet geblieben. Er war gewiß
damals noch in manchem Vorurteil befangen, das ihn den eigentlichen Junkern
anschloß, aber schon während dieser Lehrzeit war er zu sehr dem Leben zugewandt
und zu sehr Rechner mit den Thatsachen, um unbedingt und uneingeschränkt den
Dogmen des feudalen und absolutistischen Glaubensbekenntnisses zu huldigen,
dessen Inbegriff der Liberalismus mit der Vokabel „Junkertum" in seinem
Wörterbuche bezeichnet. In seinen Wauderscchren aber that er noch mehr davon
ab, und wenn er sich während derselben auch nie zu dem Parlamentarismus
nach dem Muster Englands und Frankreichs bekehrte, der nach den Wünschen
der Liberalen ganz oder halb in Preußen eingeführt werden sollte, so berichtigte
er in dieser Zeit, wie sein Urteil über Österreich, so auch die Meinung über die
konstitutionellen Einrichtungen, die in seinen frühern Reden und Briefen bis¬
weilen zwischen den Zeilen zu lesen war, so wesentlich, und so gewann er so
viel Billigkeitsgefühl und Versöhnlichkeit, daß er, als ihm die Leitung der
Geschäfte übertragen wurde, sie in verfassungsmäßigen Sinne führen konnte.
Nicht erst in dem oben erwähnten Briefe an Below-Hohendorf, also nicht erst
ein Jahr vor seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten, war er zu der Er¬
kenntnis gelaugt, daß eine Volksvertretung in Preußen unentbehrlich und für
dessen Pläne im übrigen Deutschland höchst wünschenswert sei. Schon in einem
Privatbriefe vom 12. Februar 1853, der an Manteuffel gerichtet war, sagt er:
„Als Kuriosum erlaube ich mir noch hinzuzufügen, daß Herr v. Prokesch von
einer gänzlichen Beseitigung der Verfassung in Preußen wie von einem der
königlichen Negierung ohne Zweifel vorschwebenden Ziele sprach und mein
Widerspruch dagegen, sowie meine Äußerung, daß ich selbst ein so extremes
Resultat für kein politisch richtiges halte, ihn überraschten." In einem vom
11. September 1856 datirten Schreiben an einen politischen Freund geht er
weiter und erblickt in den Kammern und der Presse Preußens Werkzeuge, die
sich zur Hebung des Ansehens des letzteren verwenden ließen, auch denkt er
bereits an ein Zollparlament, also über die preußische Grenze hinaus. Das
repräsentative System soll also hier moralisch erobern, freilich nicht im Sinne
der „neuen Ära," die damals noch im liinvus inlantium auf die Geburt wartete,
und mit deren Velleitäten er später nichts gemein hatte. Er schreibt dort:
„Ich glaube, daß wir in einem nach 1865 von Preußen umzubildenden Zoll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/118>, abgerufen am 22.07.2024.