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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gin Jubiläum,

In seinen Depeschen und Denkschriften für die Regierung kehrt dieser Ge¬
danke immer und immer wieder und ist in dem sogenannten "Prnchtberichte"
und dem "Kleinen Buche" der Poschingerschen Sammlung von Schriftstücken
ans seiner Frankfurter Wirksamkeit am klarsten und ausführlichsten ausgedrückt.
Der erstere war vom 26. April 1856 datirt, also einige Wochen nach dem Ab¬
schlüsse des Pariser Friedens verfaßt, zu dessen Unterzeichnung Preußen, Vorzug'
lich unter Einwirkung Österreichs, erst nachträglich zugelassen wurde, und em¬
pfahl für die Zukunft kriegerische Auseinandersetzung mit Österreich, auf die dann
eine bessere Gestaltung der Verfassung des deutschen Bundes und ein "ehrliches
Arrangement" mit dem Kaiserstaate an der Donau folgen sollten. Bismarck
rechnete dabei auf eine Entfremdung zwischen Frankreich und England sowie
auf einen Krieg zwischen den Franzosen und den Österreichern in Italien, An¬
nahmen, die später zu Thatsachen wurden. Das "Kleine Buch" wurde ge¬
schrieben, als Herr v. Schleinitz den ihm wegen seiner antiösterreichischen Ge¬
sinnung unbequemen Bundestagsgesandter am 29. Januar 1859 von Frankfurt
nach Petersburg versetzt hatte, und bildete gewissermaßen das Testament des
Scheidenden für dessen Nachfolger v. Usedom. Bismarck untersucht darin, wie
es gekommen sei, daß Preußen zu den übrigen Bundesgliedern in eine so schiefe
Stellung geraten sei, und zieht die Nutzanwendung daraus. Der Gedankengang
ist hier etwa folgender. Bis 1848 wurde der deutsche Bund thatsächlich nur
als Verein der zu ihm gehörigen Regierungen zum Schutze gegen Krieg und
Revolution behandelt. Österreich ließ damals die preußische Politik in Deutsch¬
land im wesentlichen schalten und walten, indem es dafür deren Unterstützung
in europäischen Fragen als Kaufpreis entgegennahm. Der Gedanke, daß
wichtige Meinungsverschiedenheiten am Bunde durch Majoritätsbeschlüsse ent¬
schieden werden konnten, lag ihm sern. Anders und zwar sehr anders wurde
das nach der Wiederaufrichtung des Bundestages 1851. Fürst Schwarzenberg
verfolgte den Plan, die Hegemonie über Deutschland, zu welcher Preußen durch
die Nationalversammlung in der Paulskirche und durch die Univnsversuche nicht
hatte gelangen können, für Österreich durch die Mittel zu gewinnen, welche die
bestehende Bundesverfassung darbot. Dies war möglich, wenn es Österreich
gelang, sich der Stimmenmehrheit im Bunde auf die Dauer zu versichern und
demnächst die Kompetenz des Bundestages und seiner Majoritätsbeschlüsse zu
erweitern, und wenn in Berlin die Macht und der Wille fehlten, dies zu ver¬
eiteln. Der Augenblick war den Absichten Schwarzeubergs und seiner nächsten
Nachfolger sehr günstig. Österreich konnte in den ersten Jahren nach 1843 auf
russische Unterstützung rechnen und wohl auch ans die des Kaisertums, welches
sich in Frankreich herausbildete. Die große Mehrzahl der deutschen Mittel-
und Kleinstaaten ferner lehnte sich, erschreckt durch die Revolution und aus
Furcht vor der ihr entsprungenen Gefahr, einen Teil ihrer Souveränität an
Preußen zu verlieren, freiwillig an Österreich an. Zur Erhaltung und Förderung


Gin Jubiläum,

In seinen Depeschen und Denkschriften für die Regierung kehrt dieser Ge¬
danke immer und immer wieder und ist in dem sogenannten „Prnchtberichte"
und dem „Kleinen Buche" der Poschingerschen Sammlung von Schriftstücken
ans seiner Frankfurter Wirksamkeit am klarsten und ausführlichsten ausgedrückt.
Der erstere war vom 26. April 1856 datirt, also einige Wochen nach dem Ab¬
schlüsse des Pariser Friedens verfaßt, zu dessen Unterzeichnung Preußen, Vorzug'
lich unter Einwirkung Österreichs, erst nachträglich zugelassen wurde, und em¬
pfahl für die Zukunft kriegerische Auseinandersetzung mit Österreich, auf die dann
eine bessere Gestaltung der Verfassung des deutschen Bundes und ein „ehrliches
Arrangement" mit dem Kaiserstaate an der Donau folgen sollten. Bismarck
rechnete dabei auf eine Entfremdung zwischen Frankreich und England sowie
auf einen Krieg zwischen den Franzosen und den Österreichern in Italien, An¬
nahmen, die später zu Thatsachen wurden. Das „Kleine Buch" wurde ge¬
schrieben, als Herr v. Schleinitz den ihm wegen seiner antiösterreichischen Ge¬
sinnung unbequemen Bundestagsgesandter am 29. Januar 1859 von Frankfurt
nach Petersburg versetzt hatte, und bildete gewissermaßen das Testament des
Scheidenden für dessen Nachfolger v. Usedom. Bismarck untersucht darin, wie
es gekommen sei, daß Preußen zu den übrigen Bundesgliedern in eine so schiefe
Stellung geraten sei, und zieht die Nutzanwendung daraus. Der Gedankengang
ist hier etwa folgender. Bis 1848 wurde der deutsche Bund thatsächlich nur
als Verein der zu ihm gehörigen Regierungen zum Schutze gegen Krieg und
Revolution behandelt. Österreich ließ damals die preußische Politik in Deutsch¬
land im wesentlichen schalten und walten, indem es dafür deren Unterstützung
in europäischen Fragen als Kaufpreis entgegennahm. Der Gedanke, daß
wichtige Meinungsverschiedenheiten am Bunde durch Majoritätsbeschlüsse ent¬
schieden werden konnten, lag ihm sern. Anders und zwar sehr anders wurde
das nach der Wiederaufrichtung des Bundestages 1851. Fürst Schwarzenberg
verfolgte den Plan, die Hegemonie über Deutschland, zu welcher Preußen durch
die Nationalversammlung in der Paulskirche und durch die Univnsversuche nicht
hatte gelangen können, für Österreich durch die Mittel zu gewinnen, welche die
bestehende Bundesverfassung darbot. Dies war möglich, wenn es Österreich
gelang, sich der Stimmenmehrheit im Bunde auf die Dauer zu versichern und
demnächst die Kompetenz des Bundestages und seiner Majoritätsbeschlüsse zu
erweitern, und wenn in Berlin die Macht und der Wille fehlten, dies zu ver¬
eiteln. Der Augenblick war den Absichten Schwarzeubergs und seiner nächsten
Nachfolger sehr günstig. Österreich konnte in den ersten Jahren nach 1843 auf
russische Unterstützung rechnen und wohl auch ans die des Kaisertums, welches
sich in Frankreich herausbildete. Die große Mehrzahl der deutschen Mittel-
und Kleinstaaten ferner lehnte sich, erschreckt durch die Revolution und aus
Furcht vor der ihr entsprungenen Gefahr, einen Teil ihrer Souveränität an
Preußen zu verlieren, freiwillig an Österreich an. Zur Erhaltung und Förderung


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[0114] Gin Jubiläum, In seinen Depeschen und Denkschriften für die Regierung kehrt dieser Ge¬ danke immer und immer wieder und ist in dem sogenannten „Prnchtberichte" und dem „Kleinen Buche" der Poschingerschen Sammlung von Schriftstücken ans seiner Frankfurter Wirksamkeit am klarsten und ausführlichsten ausgedrückt. Der erstere war vom 26. April 1856 datirt, also einige Wochen nach dem Ab¬ schlüsse des Pariser Friedens verfaßt, zu dessen Unterzeichnung Preußen, Vorzug' lich unter Einwirkung Österreichs, erst nachträglich zugelassen wurde, und em¬ pfahl für die Zukunft kriegerische Auseinandersetzung mit Österreich, auf die dann eine bessere Gestaltung der Verfassung des deutschen Bundes und ein „ehrliches Arrangement" mit dem Kaiserstaate an der Donau folgen sollten. Bismarck rechnete dabei auf eine Entfremdung zwischen Frankreich und England sowie auf einen Krieg zwischen den Franzosen und den Österreichern in Italien, An¬ nahmen, die später zu Thatsachen wurden. Das „Kleine Buch" wurde ge¬ schrieben, als Herr v. Schleinitz den ihm wegen seiner antiösterreichischen Ge¬ sinnung unbequemen Bundestagsgesandter am 29. Januar 1859 von Frankfurt nach Petersburg versetzt hatte, und bildete gewissermaßen das Testament des Scheidenden für dessen Nachfolger v. Usedom. Bismarck untersucht darin, wie es gekommen sei, daß Preußen zu den übrigen Bundesgliedern in eine so schiefe Stellung geraten sei, und zieht die Nutzanwendung daraus. Der Gedankengang ist hier etwa folgender. Bis 1848 wurde der deutsche Bund thatsächlich nur als Verein der zu ihm gehörigen Regierungen zum Schutze gegen Krieg und Revolution behandelt. Österreich ließ damals die preußische Politik in Deutsch¬ land im wesentlichen schalten und walten, indem es dafür deren Unterstützung in europäischen Fragen als Kaufpreis entgegennahm. Der Gedanke, daß wichtige Meinungsverschiedenheiten am Bunde durch Majoritätsbeschlüsse ent¬ schieden werden konnten, lag ihm sern. Anders und zwar sehr anders wurde das nach der Wiederaufrichtung des Bundestages 1851. Fürst Schwarzenberg verfolgte den Plan, die Hegemonie über Deutschland, zu welcher Preußen durch die Nationalversammlung in der Paulskirche und durch die Univnsversuche nicht hatte gelangen können, für Österreich durch die Mittel zu gewinnen, welche die bestehende Bundesverfassung darbot. Dies war möglich, wenn es Österreich gelang, sich der Stimmenmehrheit im Bunde auf die Dauer zu versichern und demnächst die Kompetenz des Bundestages und seiner Majoritätsbeschlüsse zu erweitern, und wenn in Berlin die Macht und der Wille fehlten, dies zu ver¬ eiteln. Der Augenblick war den Absichten Schwarzeubergs und seiner nächsten Nachfolger sehr günstig. Österreich konnte in den ersten Jahren nach 1843 auf russische Unterstützung rechnen und wohl auch ans die des Kaisertums, welches sich in Frankreich herausbildete. Die große Mehrzahl der deutschen Mittel- und Kleinstaaten ferner lehnte sich, erschreckt durch die Revolution und aus Furcht vor der ihr entsprungenen Gefahr, einen Teil ihrer Souveränität an Preußen zu verlieren, freiwillig an Österreich an. Zur Erhaltung und Förderung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/114>, abgerufen am 22.07.2024.