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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Goethe-Jahrbuch.

gegeben. Die Nachweisungen, um welche Schriften es sich handelt, sucht man
bei ihm vergebens, obgleich die Briefe erst dadurch Wert erhalten; es fehlt jedes
Wort der Erläuterung, mit Ausnahme zweier ganz kurzen, zu unbestimmten
Angaben. In dem letzten Briefe ist Schmoller ein Druckfehler, der auch in das
Register übergegangen ist. Wußte Geiger nicht, daß der von Goethe viel be¬
nutzte und in seinen Briefen oft genannte Maler Schmeller hieß?

Unter den nun folgenden "Abhandlungen" erweitert die von G. von Loepcr
"Zu Goethes Gedichten Trilogie der Leidenschaft" auf sehr dankenswerte
Weise unsre Kenntnis. Die Überschrift deckt nicht den Inhalt. Dem Verfasser
war gestattet, was nur Nuserwählten vergönnt ist, noch vor der Herausgabe
der Tagebücher die Stellen daraus mitzuteilen, die sich auf Goethes Zusammen¬
kunft mit der Familie Levetzow in den böhmischen Bädern im Sommer 1822
und 1823 beziehen. Auch die im Goethearchiv befindlichen elf Briefe der
Familie von 1824 an durfte er einsehen und daraus zwei Nachschriften Ulrikens
ans den Jahren 1824 und 1827, einen Brief ihrer Mutter von 1829 und eine
Stelle aus einer Einladung der Großmutter vom 23. April 1822 geben, wenn
die letztere Jahrzahl richtig ist. Die Äußerung: "Und wie wird Ulrikchen sich
freuen, wenn sie wieder Töchterchen genannt wird, worauf sie stolz ist," deutet
doch Wohl auf eine frühere Bekanntschaft hin, während, so viel wir wissen,
Goethe die drei Schwestern erst im Sommer 1822 kennen lernte. Wir ver¬
missen in dem Aufsatze auch die Angabe, daß Goethe im Jahre 1824 der
Familie sein Bild schickte. Aus dem Tagebuche ersehen wir wieder, daß Goethes
eigne Angaben über die Entstehung seiner Gedichte nicht immer ganz zuver¬
lässig sind; denn wir erfahren aus ihnen, daß er nicht erst auf der Rückreise
vou Eger, sondern spätestens am 6. September die Elegie begonnen hatte, die
den in Marienbad zur Aussöhnung gekommenen Schmerz der Entsagung
verklären sollte und sich unmöglich auf den heitern Abschied beziehen konnte,
den er kurz vorher in Karlsbad vou Ulriken genommen hatte. Höchst be¬
zeichnend ist es für Goethe, daß er erst jetzt dazu gelangte, den schweren Ent¬
sagungskampf dichterisch darzustellen, wobei er aus den wirklichen Verhältnissen
nur das nahm, was zur lebendigen Gestaltung sich eignete, sonst großer Freiheit
sich bediente. Diesem verdienstlichen Aufsätze folgt Viktor Hehns geistvolle, von
großer Sorgfalt zeugende Zusammenstellung von Goethes Benutzung der Bibel¬
sprache und Th. Süpfles anziehende Darstellung des literarischen Einflusses
unsers Dichters in Frankreich.

Bei den wenigen Miscellen und der Chronik verweilen wir nicht, um des
Krebsschadens des Goethe-Jahrbuches, des Mißbrauches der Bibliographie aus¬
führlicher zu gedenken. Eine Bibliographie soll möglichst vollständig sein und
nur aus eigner Anschauung oder den Mitteilungen uuparteischer Sachkundigen
berichten. Dies fordert freilich einen großen Zeitaufwand, aber einen solchen
darf man billig von dem fordern, der sich hinstellt, um den zahlreichen, in


Das Goethe-Jahrbuch.

gegeben. Die Nachweisungen, um welche Schriften es sich handelt, sucht man
bei ihm vergebens, obgleich die Briefe erst dadurch Wert erhalten; es fehlt jedes
Wort der Erläuterung, mit Ausnahme zweier ganz kurzen, zu unbestimmten
Angaben. In dem letzten Briefe ist Schmoller ein Druckfehler, der auch in das
Register übergegangen ist. Wußte Geiger nicht, daß der von Goethe viel be¬
nutzte und in seinen Briefen oft genannte Maler Schmeller hieß?

Unter den nun folgenden „Abhandlungen" erweitert die von G. von Loepcr
„Zu Goethes Gedichten Trilogie der Leidenschaft" auf sehr dankenswerte
Weise unsre Kenntnis. Die Überschrift deckt nicht den Inhalt. Dem Verfasser
war gestattet, was nur Nuserwählten vergönnt ist, noch vor der Herausgabe
der Tagebücher die Stellen daraus mitzuteilen, die sich auf Goethes Zusammen¬
kunft mit der Familie Levetzow in den böhmischen Bädern im Sommer 1822
und 1823 beziehen. Auch die im Goethearchiv befindlichen elf Briefe der
Familie von 1824 an durfte er einsehen und daraus zwei Nachschriften Ulrikens
ans den Jahren 1824 und 1827, einen Brief ihrer Mutter von 1829 und eine
Stelle aus einer Einladung der Großmutter vom 23. April 1822 geben, wenn
die letztere Jahrzahl richtig ist. Die Äußerung: „Und wie wird Ulrikchen sich
freuen, wenn sie wieder Töchterchen genannt wird, worauf sie stolz ist," deutet
doch Wohl auf eine frühere Bekanntschaft hin, während, so viel wir wissen,
Goethe die drei Schwestern erst im Sommer 1822 kennen lernte. Wir ver¬
missen in dem Aufsatze auch die Angabe, daß Goethe im Jahre 1824 der
Familie sein Bild schickte. Aus dem Tagebuche ersehen wir wieder, daß Goethes
eigne Angaben über die Entstehung seiner Gedichte nicht immer ganz zuver¬
lässig sind; denn wir erfahren aus ihnen, daß er nicht erst auf der Rückreise
vou Eger, sondern spätestens am 6. September die Elegie begonnen hatte, die
den in Marienbad zur Aussöhnung gekommenen Schmerz der Entsagung
verklären sollte und sich unmöglich auf den heitern Abschied beziehen konnte,
den er kurz vorher in Karlsbad vou Ulriken genommen hatte. Höchst be¬
zeichnend ist es für Goethe, daß er erst jetzt dazu gelangte, den schweren Ent¬
sagungskampf dichterisch darzustellen, wobei er aus den wirklichen Verhältnissen
nur das nahm, was zur lebendigen Gestaltung sich eignete, sonst großer Freiheit
sich bediente. Diesem verdienstlichen Aufsätze folgt Viktor Hehns geistvolle, von
großer Sorgfalt zeugende Zusammenstellung von Goethes Benutzung der Bibel¬
sprache und Th. Süpfles anziehende Darstellung des literarischen Einflusses
unsers Dichters in Frankreich.

Bei den wenigen Miscellen und der Chronik verweilen wir nicht, um des
Krebsschadens des Goethe-Jahrbuches, des Mißbrauches der Bibliographie aus¬
führlicher zu gedenken. Eine Bibliographie soll möglichst vollständig sein und
nur aus eigner Anschauung oder den Mitteilungen uuparteischer Sachkundigen
berichten. Dies fordert freilich einen großen Zeitaufwand, aber einen solchen
darf man billig von dem fordern, der sich hinstellt, um den zahlreichen, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/91>, abgerufen am 28.07.2024.