Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen. eingebildeten oder angemaßten Überlegenheit des fremden Wesens unterliegend In diesen kurz zusammengefaßten Zügen unsers Wesens dürfte sich ein 2. Als die eigentliche Jugend- und Bildungszeit unsers Volkes darf man Grmzlwtm III. 1887. 10
Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen. eingebildeten oder angemaßten Überlegenheit des fremden Wesens unterliegend In diesen kurz zusammengefaßten Zügen unsers Wesens dürfte sich ein 2. Als die eigentliche Jugend- und Bildungszeit unsers Volkes darf man Grmzlwtm III. 1887. 10
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200860"/> <fw type="header" place="top"> Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_234" prev="#ID_233"> eingebildeten oder angemaßten Überlegenheit des fremden Wesens unterliegend<lb/> auf ihre Muttersprache verzichten und ihre ehrlichen Namen nach der fremden<lb/> Zunge verdrehen. Deshalb hat sich der Deutsche von jeher ohne besondre<lb/> Gewissensskrupel sogar zum Vorkämpfer gegen seine Landsleute hergegeben; wie<lb/> die Römer von germanischen Söldnern ihr sinkendes Reich fristen zu lassen<lb/> verstanden, so sehen wir jetzt eutdeutschte Deutsche allenthalben in Amerika und<lb/> Polen und Böhmen und besonders in Ungarn an der Spitze, wo es die Ver¬<lb/> drängung deutschen Wesens gilt.</p><lb/> <p xml:id="ID_235"> In diesen kurz zusammengefaßten Zügen unsers Wesens dürfte sich ein<lb/> tieferer Zusammenhang deutscher Geschichte kundthun als in einer bloß räumlich<lb/> und zeitlich geordneten Folge von Begebenheiten. Aber wie beim einzelnen<lb/> Menschen der Charakter keineswegs als etwas Starres und Unabänderliches<lb/> gedacht werden kann, wie vielmehr durch harte Lebensschicksale oder durch Ver¬<lb/> wöhnung des Glückes sich manche Veränderungen ergeben werden, so bringen<lb/> auch bei einem ganzen Volke die Schicksale mancherlei Einwirkungen mit sich,<lb/> deren Betrachtung die Wandlungen seines Volkscharakters festzustellen und zu<lb/> erklären suchen muß. Zwar wäre es falsch, von der Lebensdauer eines Volkes<lb/> zu reden. Die natürlichen Grundlagen des Völkerlebens haben an sich keine<lb/> erkennbare Schranke. Wenn es mit immer erneuter Kraft seine Selbständigkeit<lb/> aufrecht zu erhalten und sich den veränderten Bedingungen seines Lebens an¬<lb/> zupassen vermag, wenn es sich immer wieder die Formen zu erarbeiten versteht,<lb/> in denen, wenn nicht jeder, doch die Mehrzahl gedeihen und wirken kann, so<lb/> wird es alt und jugendfrisch sein zu gleicher Zeit. Und dieses Abstoßen ver¬<lb/> alteter Einrichtungen und die Erwerbung besserer Lebensformen bildet seine<lb/> innere Geschichte, wie die äußern Gefährdungen, deren Abwehr oder Über¬<lb/> windung sein Anteil an der Allgemeingeschichte sind. Die Folgen beider Seiten<lb/> der Geschichte für die Entwicklung der Volkseigenschaften soll die nachfolgende<lb/> Betrachtung darzustellen versuchen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> 2.</head><lb/> <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> Als die eigentliche Jugend- und Bildungszeit unsers Volkes darf man<lb/> die Jahrhunderte betrachten, in denen es, im Westen und Süden durch die<lb/> römische Macht an Ausbreitung gehindert, mit dem besetzten Lande durch Annahme<lb/> des Ackerbaues in ein engeres Verhältnis trat. Nur kurze Zeit war seine<lb/> Unabhängigkeit und die Einheit seiner Entwicklung bedroht; in einer rauhen,<lb/> wenig gezähmten, doch weder einschüchternden noch verwöhnenden Landesuatur<lb/> das Bollwerk seiner Freiheit findend, körperlich gestählt dnrch das Klima, das,<lb/> rauher als jetzt, zu energischer Bewegung und Übung der Kräfte zwang und, wie<lb/> anzunehmen ist, bei starker Kindersterblichkeit eine Auslese der kräftigsten Menschen<lb/> herstellte — erwuchs ein Naturvolk, dessen Zustünden und Lebensweise mau</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grmzlwtm III. 1887. 10</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.
eingebildeten oder angemaßten Überlegenheit des fremden Wesens unterliegend
auf ihre Muttersprache verzichten und ihre ehrlichen Namen nach der fremden
Zunge verdrehen. Deshalb hat sich der Deutsche von jeher ohne besondre
Gewissensskrupel sogar zum Vorkämpfer gegen seine Landsleute hergegeben; wie
die Römer von germanischen Söldnern ihr sinkendes Reich fristen zu lassen
verstanden, so sehen wir jetzt eutdeutschte Deutsche allenthalben in Amerika und
Polen und Böhmen und besonders in Ungarn an der Spitze, wo es die Ver¬
drängung deutschen Wesens gilt.
In diesen kurz zusammengefaßten Zügen unsers Wesens dürfte sich ein
tieferer Zusammenhang deutscher Geschichte kundthun als in einer bloß räumlich
und zeitlich geordneten Folge von Begebenheiten. Aber wie beim einzelnen
Menschen der Charakter keineswegs als etwas Starres und Unabänderliches
gedacht werden kann, wie vielmehr durch harte Lebensschicksale oder durch Ver¬
wöhnung des Glückes sich manche Veränderungen ergeben werden, so bringen
auch bei einem ganzen Volke die Schicksale mancherlei Einwirkungen mit sich,
deren Betrachtung die Wandlungen seines Volkscharakters festzustellen und zu
erklären suchen muß. Zwar wäre es falsch, von der Lebensdauer eines Volkes
zu reden. Die natürlichen Grundlagen des Völkerlebens haben an sich keine
erkennbare Schranke. Wenn es mit immer erneuter Kraft seine Selbständigkeit
aufrecht zu erhalten und sich den veränderten Bedingungen seines Lebens an¬
zupassen vermag, wenn es sich immer wieder die Formen zu erarbeiten versteht,
in denen, wenn nicht jeder, doch die Mehrzahl gedeihen und wirken kann, so
wird es alt und jugendfrisch sein zu gleicher Zeit. Und dieses Abstoßen ver¬
alteter Einrichtungen und die Erwerbung besserer Lebensformen bildet seine
innere Geschichte, wie die äußern Gefährdungen, deren Abwehr oder Über¬
windung sein Anteil an der Allgemeingeschichte sind. Die Folgen beider Seiten
der Geschichte für die Entwicklung der Volkseigenschaften soll die nachfolgende
Betrachtung darzustellen versuchen.
2.
Als die eigentliche Jugend- und Bildungszeit unsers Volkes darf man
die Jahrhunderte betrachten, in denen es, im Westen und Süden durch die
römische Macht an Ausbreitung gehindert, mit dem besetzten Lande durch Annahme
des Ackerbaues in ein engeres Verhältnis trat. Nur kurze Zeit war seine
Unabhängigkeit und die Einheit seiner Entwicklung bedroht; in einer rauhen,
wenig gezähmten, doch weder einschüchternden noch verwöhnenden Landesuatur
das Bollwerk seiner Freiheit findend, körperlich gestählt dnrch das Klima, das,
rauher als jetzt, zu energischer Bewegung und Übung der Kräfte zwang und, wie
anzunehmen ist, bei starker Kindersterblichkeit eine Auslese der kräftigsten Menschen
herstellte — erwuchs ein Naturvolk, dessen Zustünden und Lebensweise mau
Grmzlwtm III. 1887. 10
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