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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Bestrafung der Trunkenheit.

erregt, sollte dem Gesetze verfallen, und selbst er sollte straffrei bleiben, wenn
er die Trunkenheit nicht selbst verschuldet hatte. Diese Fassung, in welche
der Gesetzgeber den Gedanken einkleiden wollte, daß die nicht unverschuldete
Trunkenheit, welche rücksichtslos an die Öffentlichkeit tritt, sittliches Ärgernis
zu geben geeignet ist, daß sie das öffentliche Interesse verletzt und deshalb der
Ahndung des Strafrichters zu unterliegen hat, darf ohne Bedenken als eine
solche bezeichnet werden, welche das Gebiet der Strafbarkeit nicht in einer für
das nationale Rechts bewußtsein unverständlichen Weise erweitert, was gerade
in Deutschland von besondrer Wichtigkeit ist.

Das französische Gesetz vom 23. Januar 1873 geht weiter, es bestraft
jede offenbare Trunkenheit, ivrssss eng-nikostö, ohne weiteres, ebenso das nieder¬
ländische Gesetz vom 28. Juni 1881, welches jeden unter Strafe stellt, der sich
auf öffentlicher Straße im Zustande offenbarer Trunkenheit befindet. Der
Reichstagskommission lag die Bestimmung des ersteren Gesetzes zur Prüfung
vor, und es entstand die Frage, ob man seine Fassung nicht der des
deutschen Entwurfs vorzuziehen habe. Allein man gelangte zu der Überzeugung,
daß das sür die Strafbarkeit entscheidende Merkmal nicht in ihm enthalten
sei, weil der Verstoß gegen die öffentliche Sittlichkeit erst dann als vorhanden
angenommen werden könne, wenn durch die Trunkenheit Ärgernis gegeben werde.
Auf diesem Standpunkte steht man auch heute noch in Deutschland, soweit man
sich mit der Frage befaßt, insbesondre wird er von dem Vereine gegen den
Mißbrauch geistiger Getränke geteilt, welcher sich zu Dresden im Jahre 1885
mit Entschiedenheit sür die Bestrafung der öffentliche" Trunkenheit in diesem
Umfange aussprach und seitdem wiederholt bei der Reichsregierung vorstellig
wurde, um eine baldige Erfüllung seiner Wünsche zu erreichen. Es läßt sich
nun nicht bestreiten, daß es bedenklich ist, die Strafbarkeit einer bestimmten
Handlung von dem Nachweise, daß damit Ärgernis gegeben worden sei, ab¬
hängig zu machen. Man muß bei dieser Formulirung notwendig ein gewisses
Maß entwickelten Rechts- und Sittlichkeitsbewußtseins im Volke voraussetzen,
welches an der Rechts- und Sittenwidrigkeit Anstoß nimmt. Diese Voraus¬
setzung ist aber häufig gewagt, namentlich bei einem Vergehen, dessen strafbarer
Charakter nur einer geschürften sittlichen Strenge erkennbar ist. Gerade bei der
Trunkenheit, über die man in Deutschland leider Gottes so schlaff denkt und
urteilt, ist es bedenklich, den strafbaren Charakter davon abhängig zu machen,
daß durch sie Ärgernis erregt worden sei. Sodann ist es aber eine ganz
falsche, privatrechtliche Anschauung, die Strafbarkeit einer Handlung, welche der
Staat doch im öffentlichen Interesse ausspricht, nur dann als gegeben anzu¬
nehmen, wenn der oder jener daran Ärgernis genommen hat. Das erregte
Ärgernis zum Merkmale des Thatbestandes eines Vergehens zu machen, ist eine
Folge der verhängnisvollen Einwirkung privatrechtlicher Anschauungen auf das
öffentliche Recht, eine Folge des überwiegenden Einflusses des Privatrechtes


Die Bestrafung der Trunkenheit.

erregt, sollte dem Gesetze verfallen, und selbst er sollte straffrei bleiben, wenn
er die Trunkenheit nicht selbst verschuldet hatte. Diese Fassung, in welche
der Gesetzgeber den Gedanken einkleiden wollte, daß die nicht unverschuldete
Trunkenheit, welche rücksichtslos an die Öffentlichkeit tritt, sittliches Ärgernis
zu geben geeignet ist, daß sie das öffentliche Interesse verletzt und deshalb der
Ahndung des Strafrichters zu unterliegen hat, darf ohne Bedenken als eine
solche bezeichnet werden, welche das Gebiet der Strafbarkeit nicht in einer für
das nationale Rechts bewußtsein unverständlichen Weise erweitert, was gerade
in Deutschland von besondrer Wichtigkeit ist.

Das französische Gesetz vom 23. Januar 1873 geht weiter, es bestraft
jede offenbare Trunkenheit, ivrssss eng-nikostö, ohne weiteres, ebenso das nieder¬
ländische Gesetz vom 28. Juni 1881, welches jeden unter Strafe stellt, der sich
auf öffentlicher Straße im Zustande offenbarer Trunkenheit befindet. Der
Reichstagskommission lag die Bestimmung des ersteren Gesetzes zur Prüfung
vor, und es entstand die Frage, ob man seine Fassung nicht der des
deutschen Entwurfs vorzuziehen habe. Allein man gelangte zu der Überzeugung,
daß das sür die Strafbarkeit entscheidende Merkmal nicht in ihm enthalten
sei, weil der Verstoß gegen die öffentliche Sittlichkeit erst dann als vorhanden
angenommen werden könne, wenn durch die Trunkenheit Ärgernis gegeben werde.
Auf diesem Standpunkte steht man auch heute noch in Deutschland, soweit man
sich mit der Frage befaßt, insbesondre wird er von dem Vereine gegen den
Mißbrauch geistiger Getränke geteilt, welcher sich zu Dresden im Jahre 1885
mit Entschiedenheit sür die Bestrafung der öffentliche» Trunkenheit in diesem
Umfange aussprach und seitdem wiederholt bei der Reichsregierung vorstellig
wurde, um eine baldige Erfüllung seiner Wünsche zu erreichen. Es läßt sich
nun nicht bestreiten, daß es bedenklich ist, die Strafbarkeit einer bestimmten
Handlung von dem Nachweise, daß damit Ärgernis gegeben worden sei, ab¬
hängig zu machen. Man muß bei dieser Formulirung notwendig ein gewisses
Maß entwickelten Rechts- und Sittlichkeitsbewußtseins im Volke voraussetzen,
welches an der Rechts- und Sittenwidrigkeit Anstoß nimmt. Diese Voraus¬
setzung ist aber häufig gewagt, namentlich bei einem Vergehen, dessen strafbarer
Charakter nur einer geschürften sittlichen Strenge erkennbar ist. Gerade bei der
Trunkenheit, über die man in Deutschland leider Gottes so schlaff denkt und
urteilt, ist es bedenklich, den strafbaren Charakter davon abhängig zu machen,
daß durch sie Ärgernis erregt worden sei. Sodann ist es aber eine ganz
falsche, privatrechtliche Anschauung, die Strafbarkeit einer Handlung, welche der
Staat doch im öffentlichen Interesse ausspricht, nur dann als gegeben anzu¬
nehmen, wenn der oder jener daran Ärgernis genommen hat. Das erregte
Ärgernis zum Merkmale des Thatbestandes eines Vergehens zu machen, ist eine
Folge der verhängnisvollen Einwirkung privatrechtlicher Anschauungen auf das
öffentliche Recht, eine Folge des überwiegenden Einflusses des Privatrechtes


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[0074] Die Bestrafung der Trunkenheit. erregt, sollte dem Gesetze verfallen, und selbst er sollte straffrei bleiben, wenn er die Trunkenheit nicht selbst verschuldet hatte. Diese Fassung, in welche der Gesetzgeber den Gedanken einkleiden wollte, daß die nicht unverschuldete Trunkenheit, welche rücksichtslos an die Öffentlichkeit tritt, sittliches Ärgernis zu geben geeignet ist, daß sie das öffentliche Interesse verletzt und deshalb der Ahndung des Strafrichters zu unterliegen hat, darf ohne Bedenken als eine solche bezeichnet werden, welche das Gebiet der Strafbarkeit nicht in einer für das nationale Rechts bewußtsein unverständlichen Weise erweitert, was gerade in Deutschland von besondrer Wichtigkeit ist. Das französische Gesetz vom 23. Januar 1873 geht weiter, es bestraft jede offenbare Trunkenheit, ivrssss eng-nikostö, ohne weiteres, ebenso das nieder¬ ländische Gesetz vom 28. Juni 1881, welches jeden unter Strafe stellt, der sich auf öffentlicher Straße im Zustande offenbarer Trunkenheit befindet. Der Reichstagskommission lag die Bestimmung des ersteren Gesetzes zur Prüfung vor, und es entstand die Frage, ob man seine Fassung nicht der des deutschen Entwurfs vorzuziehen habe. Allein man gelangte zu der Überzeugung, daß das sür die Strafbarkeit entscheidende Merkmal nicht in ihm enthalten sei, weil der Verstoß gegen die öffentliche Sittlichkeit erst dann als vorhanden angenommen werden könne, wenn durch die Trunkenheit Ärgernis gegeben werde. Auf diesem Standpunkte steht man auch heute noch in Deutschland, soweit man sich mit der Frage befaßt, insbesondre wird er von dem Vereine gegen den Mißbrauch geistiger Getränke geteilt, welcher sich zu Dresden im Jahre 1885 mit Entschiedenheit sür die Bestrafung der öffentliche» Trunkenheit in diesem Umfange aussprach und seitdem wiederholt bei der Reichsregierung vorstellig wurde, um eine baldige Erfüllung seiner Wünsche zu erreichen. Es läßt sich nun nicht bestreiten, daß es bedenklich ist, die Strafbarkeit einer bestimmten Handlung von dem Nachweise, daß damit Ärgernis gegeben worden sei, ab¬ hängig zu machen. Man muß bei dieser Formulirung notwendig ein gewisses Maß entwickelten Rechts- und Sittlichkeitsbewußtseins im Volke voraussetzen, welches an der Rechts- und Sittenwidrigkeit Anstoß nimmt. Diese Voraus¬ setzung ist aber häufig gewagt, namentlich bei einem Vergehen, dessen strafbarer Charakter nur einer geschürften sittlichen Strenge erkennbar ist. Gerade bei der Trunkenheit, über die man in Deutschland leider Gottes so schlaff denkt und urteilt, ist es bedenklich, den strafbaren Charakter davon abhängig zu machen, daß durch sie Ärgernis erregt worden sei. Sodann ist es aber eine ganz falsche, privatrechtliche Anschauung, die Strafbarkeit einer Handlung, welche der Staat doch im öffentlichen Interesse ausspricht, nur dann als gegeben anzu¬ nehmen, wenn der oder jener daran Ärgernis genommen hat. Das erregte Ärgernis zum Merkmale des Thatbestandes eines Vergehens zu machen, ist eine Folge der verhängnisvollen Einwirkung privatrechtlicher Anschauungen auf das öffentliche Recht, eine Folge des überwiegenden Einflusses des Privatrechtes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/74>, abgerufen am 23.07.2024.