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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus einer Ameisenstadt.

Leidenschaftliche Liebhaber von Zucker und andern Süßigkeiten, melken manche
von diesen Arbeitern die Blattläuse an Rosenbüschen und Pflciumcnbciumen,
indem sie ihnen durch Kitzeln Bläschen ihres süßen Saftes entlocken, ja die
?orni(zg. ü-log., die gelbe Ameise, trägt diese Kühe sogar von abgestorbenen
Zweigen auf frische und setzt sie im Herbste unter die Erde an die Wurzeln
der Gewächse, die sie nähren -- ein ganz ähnliches Verfahren wie das des
Sennen, der sein Vieh um jene Zeit von den Alpenmatten droben in den Stall
unten im Thale treibt. Sie bauen glatte Kunststraßen von erheblicher Länge,
und sie machen darauf Expeditionen, die sinnvoll entworfen und geschickt aus¬
geführt werden, Feldzüge gegen andre Amcisenstädte, bei denen es zu gewaltigen
Schlachten kommt, Jagden, die zum Einfangen von Sklaven unternommen
werden, Karawanenmärsche zur Einbringung größerer Tiere, die sich von einer
einzelnen Ameise nicht abholen lassen u. dergl. in. Bei diesen Arbeiten und
Kämpfen stehen sie einander mit einer Kameradschaftlichkeit bei, die ebenso groß
ist wie die Tapferkeit und die Vaterlandsliebe, die sie als Kriegsleute an den
Tag legen. Als Bauleute wissen sie genau, wie mau in trockenem und sandigem
und wie man in feuchtem und festem Boden arbeiten muß. Vortrefflich ver¬
stehen sie sich auf die Verwendung von Grashalmen und Getreidestvppeln zu
Pfeilern, die sie mit einer Art Stuck aus Lehm überziehen, und die von ihnen
durch Bogenwölbmigen verbunden werden, welche ein Architekt nicht sauberer
herstellen konnte. Ihr kriegerischer Geist entspricht ihrer großen Stärke, und
ihre Gesetzliche, ihr Gehorsam und ihre Beobachtung der herkömmlichen Ordnung
sind gleichfalls mustergiltig, während ihre Intelligenz und andre soziale Tugenden,
die sie zieren, schon zu König Salomos Zeiten Gegenstand hoher Anerkennung
waren, von dem die arabische Sage erzählt, er habe während einer Reise durch
Tals gehört, wie Ameisen am Wege mit einander geredet hätten, und sei darauf
von seinem Pferde gestiegen, um sich vor dem Herrn zu demütigen, der so
große Weisheit in so kleine Leiber gelegt habe.

Manche werden sagen: das ist alles Roman, Fabel, mindestens starke Über¬
treibung und Verschönerung. Woher weiß man alle diese allerliebsten Dinge
vom Volke der Ameisen? Wer von den "Formicarien" oder künstlichen Ameisen¬
städten Sir John Lnbbocks gehört oder gelesen hat, in welchen er die Lebens¬
gewohnheiten dieses Völkchens seit Jahren studirt, wird nicht so sagen und
fragen, und so führen wir die Leser in einige derselben, damit er sich über¬
zeuge. Plan und Ausführung des Beobachtnngsapparats sind sehr einfach.
Ein hölzernes Präsentirbret wird aus einen Tisch gestellt und rings mit Wasser
umgeben, sodaß es eine Insel bildet, auf welcher das Erdvölkchen, das hier¬
her versetzt werden soll, notgedrungen verbleiben muß, da die Ameisen nicht
schwimmen können. Auf das Bret wird durch ein feines Sieb getrockneter Lehm
oder Gartenerde gestreut, und über die größere Hälfte dieser Schicht, die etwa
einen Drittelzvll hoch sein muß, deckt man eine Scheibe von Glas als durch-


Aus einer Ameisenstadt.

Leidenschaftliche Liebhaber von Zucker und andern Süßigkeiten, melken manche
von diesen Arbeitern die Blattläuse an Rosenbüschen und Pflciumcnbciumen,
indem sie ihnen durch Kitzeln Bläschen ihres süßen Saftes entlocken, ja die
?orni(zg. ü-log., die gelbe Ameise, trägt diese Kühe sogar von abgestorbenen
Zweigen auf frische und setzt sie im Herbste unter die Erde an die Wurzeln
der Gewächse, die sie nähren — ein ganz ähnliches Verfahren wie das des
Sennen, der sein Vieh um jene Zeit von den Alpenmatten droben in den Stall
unten im Thale treibt. Sie bauen glatte Kunststraßen von erheblicher Länge,
und sie machen darauf Expeditionen, die sinnvoll entworfen und geschickt aus¬
geführt werden, Feldzüge gegen andre Amcisenstädte, bei denen es zu gewaltigen
Schlachten kommt, Jagden, die zum Einfangen von Sklaven unternommen
werden, Karawanenmärsche zur Einbringung größerer Tiere, die sich von einer
einzelnen Ameise nicht abholen lassen u. dergl. in. Bei diesen Arbeiten und
Kämpfen stehen sie einander mit einer Kameradschaftlichkeit bei, die ebenso groß
ist wie die Tapferkeit und die Vaterlandsliebe, die sie als Kriegsleute an den
Tag legen. Als Bauleute wissen sie genau, wie mau in trockenem und sandigem
und wie man in feuchtem und festem Boden arbeiten muß. Vortrefflich ver¬
stehen sie sich auf die Verwendung von Grashalmen und Getreidestvppeln zu
Pfeilern, die sie mit einer Art Stuck aus Lehm überziehen, und die von ihnen
durch Bogenwölbmigen verbunden werden, welche ein Architekt nicht sauberer
herstellen konnte. Ihr kriegerischer Geist entspricht ihrer großen Stärke, und
ihre Gesetzliche, ihr Gehorsam und ihre Beobachtung der herkömmlichen Ordnung
sind gleichfalls mustergiltig, während ihre Intelligenz und andre soziale Tugenden,
die sie zieren, schon zu König Salomos Zeiten Gegenstand hoher Anerkennung
waren, von dem die arabische Sage erzählt, er habe während einer Reise durch
Tals gehört, wie Ameisen am Wege mit einander geredet hätten, und sei darauf
von seinem Pferde gestiegen, um sich vor dem Herrn zu demütigen, der so
große Weisheit in so kleine Leiber gelegt habe.

Manche werden sagen: das ist alles Roman, Fabel, mindestens starke Über¬
treibung und Verschönerung. Woher weiß man alle diese allerliebsten Dinge
vom Volke der Ameisen? Wer von den „Formicarien" oder künstlichen Ameisen¬
städten Sir John Lnbbocks gehört oder gelesen hat, in welchen er die Lebens¬
gewohnheiten dieses Völkchens seit Jahren studirt, wird nicht so sagen und
fragen, und so führen wir die Leser in einige derselben, damit er sich über¬
zeuge. Plan und Ausführung des Beobachtnngsapparats sind sehr einfach.
Ein hölzernes Präsentirbret wird aus einen Tisch gestellt und rings mit Wasser
umgeben, sodaß es eine Insel bildet, auf welcher das Erdvölkchen, das hier¬
her versetzt werden soll, notgedrungen verbleiben muß, da die Ameisen nicht
schwimmen können. Auf das Bret wird durch ein feines Sieb getrockneter Lehm
oder Gartenerde gestreut, und über die größere Hälfte dieser Schicht, die etwa
einen Drittelzvll hoch sein muß, deckt man eine Scheibe von Glas als durch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/638>, abgerufen am 23.07.2024.