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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hiddensee.

und seitlich von Mönchgut, der südöstliche" Ecke Rügens, gelegene Lenchtturm-
insel; sie wird schlechtweg als die Greifswalder Ole bezeichnet, während dagegen
ein andres zwischen Hiddensee und Rügen in der Nähe von Schaprode gelegenes
namenloses Jnselchen im Munde des Volkes wie Ö, auf der Hagcnvwschen Karte
als Öde bezeichnet, lautet. Das Geschlecht der Herrn von der Ö, welches nach
diesem Jnselchen seinen Namen führte, ist vor mehr als einem Jahrzehnt aus¬
gestorben. Das Wort Hithinsö nun hat man sich auf doppelte Weise mund¬
gerecht gemacht: erstens, indem die bequemere Aussprache das Hithin in Hidden
verwandelte, zweitens, indem der zweite Teil an das Wort "See" angelehnt
und darnach umgeformt wurde. Hiddensee ist also seit Jahr und Tag die gang¬
bare Form, und es ist ein übel angebrachter Purismus, sie durch das ältere
Hiddcnsv ersetzen zu Wollen. Umdeutungen unverständlich gewordener Wort-
formen sind ein unausbleiblicher Ausfluß des sprachlichen Bildungstriebes, und
in der Mehrzahl solcher Fälle behält die Volksetymologie zuletzt doch Recht.
Wer wollte es wagen, ans Odense Odcnsö, d. h. Odhins-ö, aus Kopenhagen
Kopenhaven, d. h. Kaufhafen, aus Altona Altena, d. h. Alkman, wieder herzu¬
stellen? Und schließlich ist ja auch Hiddens-ö nur Zwischenform, von der man
folgerichtig auf das noch ältere Hithins-ö zurückgehen müßte. Darum schreibt
auch Otto Font in seinem oben erwähnten Werke das Wort so, wie es gegen¬
wärtig gesprochen wird: Hiddensee.

Ein vornehmer Name also, den das abgelegene Eiland führt, ein Name,
der weit in die Heldensage, ja in die Göttersage der germanischen Völker zurück¬
reicht. Denn daß die alte Sage von den Kämpfen Höguis und Hedhins zuletzt
auf mythologischer Grundlage ruht, lehrt ein Blick auf die weiteren Ausgestal¬
tungen der Überlieferung. Auch die Suorri-Edda berichtet von der Feindschaft,
die zwischen Högni und Hcdhin wegen Jungfranenranbes entsprang. Das Grund¬
motiv der beiden Sagen, die ja eine wie die andre aus alten Liedern geschöpft
sind, ist also dasselbe. Aber anstatt der Verführung finden wir hier die Ent¬
führung als Ursache des Zerwürfnisses angegeben. Ferner ist es die Geraubte
selbst, welche den ersten, allerdings fruchtlosen Sühneversuch macht. Sie bietet
dem zürnenden Vater in Hedhins Namen ein Halsband zum Vergleich, in
welchem man das Brisingamen, den Halsschmuck der Göttin Freyja, der in dem
Mythos dieser Gottheit eine so bedeutende Stelle einnimmt, hat wiederfinden
wollen. Aber Högni weist die Gabe der Tochter zurück wie das Gold, das
ihm später von dem Eidam geboten wird. So kommt es zum Kampfe, der
aber nicht bei Hithinsö, sondern bei einer der Orkneysinseln ausgefochten wird,
ein Beweis, daß das Lied, dessen Paraphrase hier mitgeteilt wird, von einem
Norweger oder Isländer gedichtet ist. Die Helden streiten den ganzen Tag
und fahren des Nachts zurück zu ihren Schiffen. "Hilde aber ging während
der Nacht zum Wahlplatz und weckte durch Zauberkunst die Toten alle, und
den andern Tag gingen die Könige zum Schlachtfelde und kämpften, und so


Hiddensee.

und seitlich von Mönchgut, der südöstliche» Ecke Rügens, gelegene Lenchtturm-
insel; sie wird schlechtweg als die Greifswalder Ole bezeichnet, während dagegen
ein andres zwischen Hiddensee und Rügen in der Nähe von Schaprode gelegenes
namenloses Jnselchen im Munde des Volkes wie Ö, auf der Hagcnvwschen Karte
als Öde bezeichnet, lautet. Das Geschlecht der Herrn von der Ö, welches nach
diesem Jnselchen seinen Namen führte, ist vor mehr als einem Jahrzehnt aus¬
gestorben. Das Wort Hithinsö nun hat man sich auf doppelte Weise mund¬
gerecht gemacht: erstens, indem die bequemere Aussprache das Hithin in Hidden
verwandelte, zweitens, indem der zweite Teil an das Wort „See" angelehnt
und darnach umgeformt wurde. Hiddensee ist also seit Jahr und Tag die gang¬
bare Form, und es ist ein übel angebrachter Purismus, sie durch das ältere
Hiddcnsv ersetzen zu Wollen. Umdeutungen unverständlich gewordener Wort-
formen sind ein unausbleiblicher Ausfluß des sprachlichen Bildungstriebes, und
in der Mehrzahl solcher Fälle behält die Volksetymologie zuletzt doch Recht.
Wer wollte es wagen, ans Odense Odcnsö, d. h. Odhins-ö, aus Kopenhagen
Kopenhaven, d. h. Kaufhafen, aus Altona Altena, d. h. Alkman, wieder herzu¬
stellen? Und schließlich ist ja auch Hiddens-ö nur Zwischenform, von der man
folgerichtig auf das noch ältere Hithins-ö zurückgehen müßte. Darum schreibt
auch Otto Font in seinem oben erwähnten Werke das Wort so, wie es gegen¬
wärtig gesprochen wird: Hiddensee.

Ein vornehmer Name also, den das abgelegene Eiland führt, ein Name,
der weit in die Heldensage, ja in die Göttersage der germanischen Völker zurück¬
reicht. Denn daß die alte Sage von den Kämpfen Höguis und Hedhins zuletzt
auf mythologischer Grundlage ruht, lehrt ein Blick auf die weiteren Ausgestal¬
tungen der Überlieferung. Auch die Suorri-Edda berichtet von der Feindschaft,
die zwischen Högni und Hcdhin wegen Jungfranenranbes entsprang. Das Grund¬
motiv der beiden Sagen, die ja eine wie die andre aus alten Liedern geschöpft
sind, ist also dasselbe. Aber anstatt der Verführung finden wir hier die Ent¬
führung als Ursache des Zerwürfnisses angegeben. Ferner ist es die Geraubte
selbst, welche den ersten, allerdings fruchtlosen Sühneversuch macht. Sie bietet
dem zürnenden Vater in Hedhins Namen ein Halsband zum Vergleich, in
welchem man das Brisingamen, den Halsschmuck der Göttin Freyja, der in dem
Mythos dieser Gottheit eine so bedeutende Stelle einnimmt, hat wiederfinden
wollen. Aber Högni weist die Gabe der Tochter zurück wie das Gold, das
ihm später von dem Eidam geboten wird. So kommt es zum Kampfe, der
aber nicht bei Hithinsö, sondern bei einer der Orkneysinseln ausgefochten wird,
ein Beweis, daß das Lied, dessen Paraphrase hier mitgeteilt wird, von einem
Norweger oder Isländer gedichtet ist. Die Helden streiten den ganzen Tag
und fahren des Nachts zurück zu ihren Schiffen. „Hilde aber ging während
der Nacht zum Wahlplatz und weckte durch Zauberkunst die Toten alle, und
den andern Tag gingen die Könige zum Schlachtfelde und kämpften, und so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/626>, abgerufen am 23.07.2024.