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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf des Zentrums gegen die Staatsschule.

überhaupt nur nutuni se xatigntiara LÄvöräotis thun, was er thut, ganz
gewiß in denjenigen Angelegenheiten, die mit dem Heil der Seelen zusammen¬
hängen, wie die Erziehung.

Man darf also in dem neuen Schulkampfe nichts neues und unerhörtes
sehen; es ist den Katholiken von Jugend auf geläufig, die Grundsätze so zu
fassen. Der Staat hat bei uns die Wirklichkeit anders gestaltet. Aber der
Widerspruch der Kirche bleibt, und es regt sich jetzt aufs neue in der römischen
Kirche das Streben, auch auf diesem Erziehungsgebiete den gottlosen Staat zu
beseitigen.

Wir Protestanten haben durch die Wiederherstellung der alten christlichen
klassischen Literatur uns befreit von der Idee der mittelalterlichen Kirche, und
der Gegensatz von Geistlichen und Laien ist uns vernichtet. Kein Studium
der Theologie, keine Ordination erhebt bei uns den Menschen zu neuen Offen¬
barungen und göttergleicher Höhe. Kein andres Organ giebt es, Gottes Ge¬
bote zu verstehen, als die gewissenhafte gemeinschaftliche Forschung, die jetzt fast
neunzehn Jahrhunderte lang arbeitet und im wesentlichen einig ist über das,
was das christlich Gute besagen will. Der Staat ist uns weder ein mystisches
Wesen göttlicher Art, noch ein "Racker," sondern eine gottgewollte Einrichtung
zur Verwirklichung aller nationalen Zwecke, die sich in rechtlicher Form ver¬
wirklichen lassen. Die Bildung der Staatsangehörigen ist dabei ein wichtiger
Gesichtspunkt, weil ohne Bildung des Erkennens, Fühlens und Wollens weder
der Einzelne, noch die Verschmelzung der Einzelnen sittliche Zwecke mit Bewußt¬
sein verfolge" kaun. Da der Staat alle Einzelnen umfaßt, und nur Einzelne
handeln können, so ist nicht abzusehen, wie es ihm an Personen gebrechen kann,
die seine Bildungszwecke aufs beste erkennen und verwirklichen. Er wird daher,
wenn irgend jemand, das Bildungswesen organistren können, wie es organistrt
werden kann. Er kann nicht predigen und nicht schulmeistern, wie er auch nicht
Stiefel macht. Aber er kennt die Bedürfnisse der Bürger, mich das Bedürfnis
der Anbetung und Gottesverehrung, wie das der Bildung und der Freiheit,
und kennt es, wie gesagt, aus denselben Quellen wie ein Papst und ein Kon-
sistorialrat und ebenso gut wie diese, weil es keine besondern, ihm unzugängliche
Quellen der Weisheit giebt. Es giebt viele Gebiete, auf denen der Staat, wenn
^ auch dem Namen nach allmächtig ist, sich bescheidet, er steht stille vor dem
Heiligtum der innersten Überzeugung und des Glaubens, er will weder zum
glauben noch zur Heiligkeit zwingen, tausend Dinge kann er nur mittelbar
fördern. Aber er will selbst die Grenzen seiner Wirksamkeit feststellen und sich
acht von andern befehlen lassen. Gern bedient er sich zur Förderung der
nationalen Zwecke der Hilfe, die ihm die Kunst, die Wissenschaft, die Kirchen
bieten -- und diese alle sind nicht staatlich zu beherrschen, sondern nur zu
Pflegen --, aber er begiebt sich nirgends des Urteils darüber, ob diese Hilfe im
Zusammenhange des Ganzen richtig eingeflochten ist. Nicht jede Kunst wird


Der Kampf des Zentrums gegen die Staatsschule.

überhaupt nur nutuni se xatigntiara LÄvöräotis thun, was er thut, ganz
gewiß in denjenigen Angelegenheiten, die mit dem Heil der Seelen zusammen¬
hängen, wie die Erziehung.

Man darf also in dem neuen Schulkampfe nichts neues und unerhörtes
sehen; es ist den Katholiken von Jugend auf geläufig, die Grundsätze so zu
fassen. Der Staat hat bei uns die Wirklichkeit anders gestaltet. Aber der
Widerspruch der Kirche bleibt, und es regt sich jetzt aufs neue in der römischen
Kirche das Streben, auch auf diesem Erziehungsgebiete den gottlosen Staat zu
beseitigen.

Wir Protestanten haben durch die Wiederherstellung der alten christlichen
klassischen Literatur uns befreit von der Idee der mittelalterlichen Kirche, und
der Gegensatz von Geistlichen und Laien ist uns vernichtet. Kein Studium
der Theologie, keine Ordination erhebt bei uns den Menschen zu neuen Offen¬
barungen und göttergleicher Höhe. Kein andres Organ giebt es, Gottes Ge¬
bote zu verstehen, als die gewissenhafte gemeinschaftliche Forschung, die jetzt fast
neunzehn Jahrhunderte lang arbeitet und im wesentlichen einig ist über das,
was das christlich Gute besagen will. Der Staat ist uns weder ein mystisches
Wesen göttlicher Art, noch ein „Racker," sondern eine gottgewollte Einrichtung
zur Verwirklichung aller nationalen Zwecke, die sich in rechtlicher Form ver¬
wirklichen lassen. Die Bildung der Staatsangehörigen ist dabei ein wichtiger
Gesichtspunkt, weil ohne Bildung des Erkennens, Fühlens und Wollens weder
der Einzelne, noch die Verschmelzung der Einzelnen sittliche Zwecke mit Bewußt¬
sein verfolge« kaun. Da der Staat alle Einzelnen umfaßt, und nur Einzelne
handeln können, so ist nicht abzusehen, wie es ihm an Personen gebrechen kann,
die seine Bildungszwecke aufs beste erkennen und verwirklichen. Er wird daher,
wenn irgend jemand, das Bildungswesen organistren können, wie es organistrt
werden kann. Er kann nicht predigen und nicht schulmeistern, wie er auch nicht
Stiefel macht. Aber er kennt die Bedürfnisse der Bürger, mich das Bedürfnis
der Anbetung und Gottesverehrung, wie das der Bildung und der Freiheit,
und kennt es, wie gesagt, aus denselben Quellen wie ein Papst und ein Kon-
sistorialrat und ebenso gut wie diese, weil es keine besondern, ihm unzugängliche
Quellen der Weisheit giebt. Es giebt viele Gebiete, auf denen der Staat, wenn
^ auch dem Namen nach allmächtig ist, sich bescheidet, er steht stille vor dem
Heiligtum der innersten Überzeugung und des Glaubens, er will weder zum
glauben noch zur Heiligkeit zwingen, tausend Dinge kann er nur mittelbar
fördern. Aber er will selbst die Grenzen seiner Wirksamkeit feststellen und sich
acht von andern befehlen lassen. Gern bedient er sich zur Förderung der
nationalen Zwecke der Hilfe, die ihm die Kunst, die Wissenschaft, die Kirchen
bieten — und diese alle sind nicht staatlich zu beherrschen, sondern nur zu
Pflegen —, aber er begiebt sich nirgends des Urteils darüber, ob diese Hilfe im
Zusammenhange des Ganzen richtig eingeflochten ist. Nicht jede Kunst wird


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[0621] Der Kampf des Zentrums gegen die Staatsschule. überhaupt nur nutuni se xatigntiara LÄvöräotis thun, was er thut, ganz gewiß in denjenigen Angelegenheiten, die mit dem Heil der Seelen zusammen¬ hängen, wie die Erziehung. Man darf also in dem neuen Schulkampfe nichts neues und unerhörtes sehen; es ist den Katholiken von Jugend auf geläufig, die Grundsätze so zu fassen. Der Staat hat bei uns die Wirklichkeit anders gestaltet. Aber der Widerspruch der Kirche bleibt, und es regt sich jetzt aufs neue in der römischen Kirche das Streben, auch auf diesem Erziehungsgebiete den gottlosen Staat zu beseitigen. Wir Protestanten haben durch die Wiederherstellung der alten christlichen klassischen Literatur uns befreit von der Idee der mittelalterlichen Kirche, und der Gegensatz von Geistlichen und Laien ist uns vernichtet. Kein Studium der Theologie, keine Ordination erhebt bei uns den Menschen zu neuen Offen¬ barungen und göttergleicher Höhe. Kein andres Organ giebt es, Gottes Ge¬ bote zu verstehen, als die gewissenhafte gemeinschaftliche Forschung, die jetzt fast neunzehn Jahrhunderte lang arbeitet und im wesentlichen einig ist über das, was das christlich Gute besagen will. Der Staat ist uns weder ein mystisches Wesen göttlicher Art, noch ein „Racker," sondern eine gottgewollte Einrichtung zur Verwirklichung aller nationalen Zwecke, die sich in rechtlicher Form ver¬ wirklichen lassen. Die Bildung der Staatsangehörigen ist dabei ein wichtiger Gesichtspunkt, weil ohne Bildung des Erkennens, Fühlens und Wollens weder der Einzelne, noch die Verschmelzung der Einzelnen sittliche Zwecke mit Bewußt¬ sein verfolge« kaun. Da der Staat alle Einzelnen umfaßt, und nur Einzelne handeln können, so ist nicht abzusehen, wie es ihm an Personen gebrechen kann, die seine Bildungszwecke aufs beste erkennen und verwirklichen. Er wird daher, wenn irgend jemand, das Bildungswesen organistren können, wie es organistrt werden kann. Er kann nicht predigen und nicht schulmeistern, wie er auch nicht Stiefel macht. Aber er kennt die Bedürfnisse der Bürger, mich das Bedürfnis der Anbetung und Gottesverehrung, wie das der Bildung und der Freiheit, und kennt es, wie gesagt, aus denselben Quellen wie ein Papst und ein Kon- sistorialrat und ebenso gut wie diese, weil es keine besondern, ihm unzugängliche Quellen der Weisheit giebt. Es giebt viele Gebiete, auf denen der Staat, wenn ^ auch dem Namen nach allmächtig ist, sich bescheidet, er steht stille vor dem Heiligtum der innersten Überzeugung und des Glaubens, er will weder zum glauben noch zur Heiligkeit zwingen, tausend Dinge kann er nur mittelbar fördern. Aber er will selbst die Grenzen seiner Wirksamkeit feststellen und sich acht von andern befehlen lassen. Gern bedient er sich zur Förderung der nationalen Zwecke der Hilfe, die ihm die Kunst, die Wissenschaft, die Kirchen bieten — und diese alle sind nicht staatlich zu beherrschen, sondern nur zu Pflegen —, aber er begiebt sich nirgends des Urteils darüber, ob diese Hilfe im Zusammenhange des Ganzen richtig eingeflochten ist. Nicht jede Kunst wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/621>, abgerufen am 23.07.2024.