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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf des Zentrums gegen die Staatsschuld

den Geistlichen wenigstens die Lokalanfsicht wieder zu verleihen. Wir haben
schon traurige Klagen aus den Kreisen der Staatsbeamten darüber gehört, daß
man hie und da in Vertrauensseligkeit auch unzuverlässigen Lokalschulinspektoren
wieder ihr Geschäft ermögliche und sie dadurch noch übermütiger mache. Es
lassen sich eben beim besten Willen solche Mißgriffe nicht vermeiden. Sie sind
auch nicht die Folge zu weit getriebener Zentralisation, wie man zuweilen ge¬
meint hat. Denn jene Entscheidungen ruhten gewöhnlich auf Gutachten örtlicher
Organe. Es giebt eben in allen örtlichen Verhältnissen Personen, die, urteils¬
los und kurzsichtig, die Dinge anders sehen, als sie sind.

Es läßt sich nun mit Gewißheit annehmen und aus der Literatur nach¬
weisen, daß sich in Preußen eine überwiegende Zahl von Männern findet, die
mit der bestehenden gesetzlichen Grundlage unsers Schulwesens und den Fort¬
schritten, die es in diesem letzten Menschenalter infolge der Verwaltung des
Staates gemacht hat. durchaus zufrieden sind. Nicht umsonst haben wir selbst
uns verglichen mit unsern anderswo gebildeten Genossen, nicht umsonst haben wir
die Anerkennung des heimischen Schulwesens bei den Ausländern gelesen. Es
wird dem Zentrum nicht so leicht werden, wie es den neubackenen Maigesetzen
gegenüber war, die größeren Kreise zu überzeugen, daß die Schulverwaltung
des Staates, wie sie in Preußen jetzt ist, ein seelenmörderischer Zustand sei,
den ein katholischer Christ nicht länger ertragen dürfe. Aber wir werden uns
vor allem Absprechen hüten müssen, wenn ein so fähiger Volksredner wie
Dr. Windthorst die Masse der römischen Gläubigen bearbeitet. Wie gut weiß
er gleich die Frauen, diese "unabsetzbaren Schnlinspektoren," in das Interesse
zu ziehen! Wir wollen die Dinge abwarten. Es wird heißen, die Schule sei
"unchristlich," oder sie bilde "indifferente" Menschen, so lange der Staat mit
ihr etwas zu thun habe. Wir haben das schon bisher gehört, aber die Er¬
fahrung lehrt, daß in unsern StaatSschnlcn auch über- und abergläubige Fana¬
tiker in Fülle aufwachsen, mit denen die Bischöfe ihre liebe Not haben. Auch
haben wir nie gehört, daß in Spanien, im päpstlichen Rom, in Belgien, in
den Schulen der trsrss iAuorautius infolge der ausgezeichnet katholischen Natur
ihrer Lehrer und Einrichtungen so musterhafte Menschen aufgewachsen wären.
Wir glauben fest, es werden nur ganz ungebildete Männer sein, die den Geist¬
lichen glauben, wenn sich die Staatsverwaltung um die katholischen Schulen
nicht mehr kümmerte und alles den Geistlichen überließe, würden die Schüler
mehr lernen als jetzt und tugendhafter und frömmer werden. Selbst in Belgien,
wo ein ähnliches Experiment vom ultramontanen Ministerium in den letzten
Jahren gemacht worden ist, hat man das nicht geglaubt, aber die Sache hatte
für den Städter (tour^lois) den einleuchtenden Vorteil, daß sie weniger Geld
kostete. So sind denn Hunderte von Schulen für das Volk untergegangen.
Die Folgen werden schon kommen, oder vielmehr sie sind schon sichtbar ge¬
worden, aber wir überlassen ihre Würdigung billig den Belgiern selbst.


Der Kampf des Zentrums gegen die Staatsschuld

den Geistlichen wenigstens die Lokalanfsicht wieder zu verleihen. Wir haben
schon traurige Klagen aus den Kreisen der Staatsbeamten darüber gehört, daß
man hie und da in Vertrauensseligkeit auch unzuverlässigen Lokalschulinspektoren
wieder ihr Geschäft ermögliche und sie dadurch noch übermütiger mache. Es
lassen sich eben beim besten Willen solche Mißgriffe nicht vermeiden. Sie sind
auch nicht die Folge zu weit getriebener Zentralisation, wie man zuweilen ge¬
meint hat. Denn jene Entscheidungen ruhten gewöhnlich auf Gutachten örtlicher
Organe. Es giebt eben in allen örtlichen Verhältnissen Personen, die, urteils¬
los und kurzsichtig, die Dinge anders sehen, als sie sind.

Es läßt sich nun mit Gewißheit annehmen und aus der Literatur nach¬
weisen, daß sich in Preußen eine überwiegende Zahl von Männern findet, die
mit der bestehenden gesetzlichen Grundlage unsers Schulwesens und den Fort¬
schritten, die es in diesem letzten Menschenalter infolge der Verwaltung des
Staates gemacht hat. durchaus zufrieden sind. Nicht umsonst haben wir selbst
uns verglichen mit unsern anderswo gebildeten Genossen, nicht umsonst haben wir
die Anerkennung des heimischen Schulwesens bei den Ausländern gelesen. Es
wird dem Zentrum nicht so leicht werden, wie es den neubackenen Maigesetzen
gegenüber war, die größeren Kreise zu überzeugen, daß die Schulverwaltung
des Staates, wie sie in Preußen jetzt ist, ein seelenmörderischer Zustand sei,
den ein katholischer Christ nicht länger ertragen dürfe. Aber wir werden uns
vor allem Absprechen hüten müssen, wenn ein so fähiger Volksredner wie
Dr. Windthorst die Masse der römischen Gläubigen bearbeitet. Wie gut weiß
er gleich die Frauen, diese „unabsetzbaren Schnlinspektoren," in das Interesse
zu ziehen! Wir wollen die Dinge abwarten. Es wird heißen, die Schule sei
„unchristlich," oder sie bilde „indifferente" Menschen, so lange der Staat mit
ihr etwas zu thun habe. Wir haben das schon bisher gehört, aber die Er¬
fahrung lehrt, daß in unsern StaatSschnlcn auch über- und abergläubige Fana¬
tiker in Fülle aufwachsen, mit denen die Bischöfe ihre liebe Not haben. Auch
haben wir nie gehört, daß in Spanien, im päpstlichen Rom, in Belgien, in
den Schulen der trsrss iAuorautius infolge der ausgezeichnet katholischen Natur
ihrer Lehrer und Einrichtungen so musterhafte Menschen aufgewachsen wären.
Wir glauben fest, es werden nur ganz ungebildete Männer sein, die den Geist¬
lichen glauben, wenn sich die Staatsverwaltung um die katholischen Schulen
nicht mehr kümmerte und alles den Geistlichen überließe, würden die Schüler
mehr lernen als jetzt und tugendhafter und frömmer werden. Selbst in Belgien,
wo ein ähnliches Experiment vom ultramontanen Ministerium in den letzten
Jahren gemacht worden ist, hat man das nicht geglaubt, aber die Sache hatte
für den Städter (tour^lois) den einleuchtenden Vorteil, daß sie weniger Geld
kostete. So sind denn Hunderte von Schulen für das Volk untergegangen.
Die Folgen werden schon kommen, oder vielmehr sie sind schon sichtbar ge¬
worden, aber wir überlassen ihre Würdigung billig den Belgiern selbst.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/618>, abgerufen am 23.07.2024.