Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Vorwärtsstreben auch immer einen Fortschritt bedeute; aber Freiheit der Be¬
wegung und das Recht, sich von der Überlieferung unabhängig zu machen, ist
eine der ersten Forderungen, welche wir für die Kunst in Anspruch nehmen müssen.

Die ZZo.-p1sin-g.ir-Malerei, d. h. das Malen eines Bildes bis zu seiner
Vollendung im Freien, ein andrer Punkt auf dem Programm der neuen Kunst,
ist nun durchaus nicht ein so schroffer Bruch mit der Überlieferung, wie die
Neuerer glauben. Wenn man die lichten Fresken eines Giotto und seiner
Schule, die Tafelmalereien der Florentiner bis zu Filippo Lippi und die nieder¬
ländischen Gemälde der van Eyck und ihrer Schule ins Auge faßt, möchte man
annehmen, daß bereits diese Maler landschaftliche Studien im Freien gemacht
oder sich doch dnrch Übung des Auges vor der Natur zu "Hellsehern" aus¬
gebildet haben. Bei der uoch heutzutage herrschenden Gewohnheit des italienischen
Volkes, zahlreiche Verrichtungen im Freien vorzunehmen, wäre es nur natür¬
lich, wenn auch die Maler ihre Staffeleibilder unter freiem Himmel fertig ge¬
macht hätten, so lange noch nicht die Sitte aufgekommen war, sich ein Zwclio
einzurichten, in welchem sich die Mäcenaten ein Stelldichein geben. Von den
niederländischen Malern, namentlich den holländischen der spätern Zeit wissen
wir es gewiß. Es giebt Genrebilder, Volksszenen, auf denen man Maler vor
ihrer Staffelei im Freien sitzen und arbeiten sieht, und wenn dieser Thätigkeit
auch keine wohlberechnete künstlerische Absicht zu Grunde lag, sondern vielleicht
meist nur die bittere Notwendigkeit, weil diese Scinskulotten von Malern ge¬
wöhnlich auch in armseligen, dunkeln Löchern hausten, so ist doch sicherlich diese
Gewöhnung nicht ohne Einfluß auf gewisse Künstler und ihre Bilder gewesen,
so z. B. auf die sonnigen Strandlandschaften eines van Goyen, anf die lichten
Straßennnsichten eines Jan van der Heyden und Jan van der Meer von Delft
und auf die hellen, leuchtenden Gesellschaftsstücke eines Dirk Hals, Palamedes,
Pieter Codde und dieser ganzen Schule. In unserm Jahrhundert wurde das
Malen im Freien unter den Landschaftsmalern gewöhnlich, in erster Linie
freilich uur das Anfertigen von flüchtigen Beistiftskizzen, von sorgsamer ausge¬
führten Zeichnungen und von Skizzen in Ol- und Wasserfarben, welche später
bei der Ausführung von Gemälden als Vorlagen dienten. Auch wenn die
Maler damals schon auf den Gedanken gekommen wären, Bilder unmittelbar
vor der Natur fertig zu malen, würde sie die Langsamkeit und Schwerfälligkeit
der Öltechnik daran gehindert haben. Viel leichter ließ sich das mit Hilfe der
Aquarelltechuik erreichen, und soviel wir wissen, war Ednard Hildebrandt, der
Weltumsegler, der erste, welcher vor der Natur Aquarelle nicht bloß als Studien¬
material anfertigte, sondern sie auch völlig bildmäßig durchführte und vollendete.
Auch in unsrer Zeit hat man nach Mitteln gesucht, die eine rasche Ausführung
ermöglichen, namentlich da, wo es sich um schnelles Festhalten einer vorüber¬
gehenden Erscheinung handelt oder wo Ort und Zeit ein längeres Verweilen
des Malers nicht gestatten. Ich kenne hervorragende, von ihrer Kunst ernst-


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Vorwärtsstreben auch immer einen Fortschritt bedeute; aber Freiheit der Be¬
wegung und das Recht, sich von der Überlieferung unabhängig zu machen, ist
eine der ersten Forderungen, welche wir für die Kunst in Anspruch nehmen müssen.

Die ZZo.-p1sin-g.ir-Malerei, d. h. das Malen eines Bildes bis zu seiner
Vollendung im Freien, ein andrer Punkt auf dem Programm der neuen Kunst,
ist nun durchaus nicht ein so schroffer Bruch mit der Überlieferung, wie die
Neuerer glauben. Wenn man die lichten Fresken eines Giotto und seiner
Schule, die Tafelmalereien der Florentiner bis zu Filippo Lippi und die nieder¬
ländischen Gemälde der van Eyck und ihrer Schule ins Auge faßt, möchte man
annehmen, daß bereits diese Maler landschaftliche Studien im Freien gemacht
oder sich doch dnrch Übung des Auges vor der Natur zu „Hellsehern" aus¬
gebildet haben. Bei der uoch heutzutage herrschenden Gewohnheit des italienischen
Volkes, zahlreiche Verrichtungen im Freien vorzunehmen, wäre es nur natür¬
lich, wenn auch die Maler ihre Staffeleibilder unter freiem Himmel fertig ge¬
macht hätten, so lange noch nicht die Sitte aufgekommen war, sich ein Zwclio
einzurichten, in welchem sich die Mäcenaten ein Stelldichein geben. Von den
niederländischen Malern, namentlich den holländischen der spätern Zeit wissen
wir es gewiß. Es giebt Genrebilder, Volksszenen, auf denen man Maler vor
ihrer Staffelei im Freien sitzen und arbeiten sieht, und wenn dieser Thätigkeit
auch keine wohlberechnete künstlerische Absicht zu Grunde lag, sondern vielleicht
meist nur die bittere Notwendigkeit, weil diese Scinskulotten von Malern ge¬
wöhnlich auch in armseligen, dunkeln Löchern hausten, so ist doch sicherlich diese
Gewöhnung nicht ohne Einfluß auf gewisse Künstler und ihre Bilder gewesen,
so z. B. auf die sonnigen Strandlandschaften eines van Goyen, anf die lichten
Straßennnsichten eines Jan van der Heyden und Jan van der Meer von Delft
und auf die hellen, leuchtenden Gesellschaftsstücke eines Dirk Hals, Palamedes,
Pieter Codde und dieser ganzen Schule. In unserm Jahrhundert wurde das
Malen im Freien unter den Landschaftsmalern gewöhnlich, in erster Linie
freilich uur das Anfertigen von flüchtigen Beistiftskizzen, von sorgsamer ausge¬
führten Zeichnungen und von Skizzen in Ol- und Wasserfarben, welche später
bei der Ausführung von Gemälden als Vorlagen dienten. Auch wenn die
Maler damals schon auf den Gedanken gekommen wären, Bilder unmittelbar
vor der Natur fertig zu malen, würde sie die Langsamkeit und Schwerfälligkeit
der Öltechnik daran gehindert haben. Viel leichter ließ sich das mit Hilfe der
Aquarelltechuik erreichen, und soviel wir wissen, war Ednard Hildebrandt, der
Weltumsegler, der erste, welcher vor der Natur Aquarelle nicht bloß als Studien¬
material anfertigte, sondern sie auch völlig bildmäßig durchführte und vollendete.
Auch in unsrer Zeit hat man nach Mitteln gesucht, die eine rasche Ausführung
ermöglichen, namentlich da, wo es sich um schnelles Festhalten einer vorüber¬
gehenden Erscheinung handelt oder wo Ort und Zeit ein längeres Verweilen
des Malers nicht gestatten. Ich kenne hervorragende, von ihrer Kunst ernst-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0590" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201369"/>
          <fw type="header" place="top"> Die akademische Kunstausstellung in Berlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1944" prev="#ID_1943"> Vorwärtsstreben auch immer einen Fortschritt bedeute; aber Freiheit der Be¬<lb/>
wegung und das Recht, sich von der Überlieferung unabhängig zu machen, ist<lb/>
eine der ersten Forderungen, welche wir für die Kunst in Anspruch nehmen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1945" next="#ID_1946"> Die ZZo.-p1sin-g.ir-Malerei, d. h. das Malen eines Bildes bis zu seiner<lb/>
Vollendung im Freien, ein andrer Punkt auf dem Programm der neuen Kunst,<lb/>
ist nun durchaus nicht ein so schroffer Bruch mit der Überlieferung, wie die<lb/>
Neuerer glauben. Wenn man die lichten Fresken eines Giotto und seiner<lb/>
Schule, die Tafelmalereien der Florentiner bis zu Filippo Lippi und die nieder¬<lb/>
ländischen Gemälde der van Eyck und ihrer Schule ins Auge faßt, möchte man<lb/>
annehmen, daß bereits diese Maler landschaftliche Studien im Freien gemacht<lb/>
oder sich doch dnrch Übung des Auges vor der Natur zu &#x201E;Hellsehern" aus¬<lb/>
gebildet haben. Bei der uoch heutzutage herrschenden Gewohnheit des italienischen<lb/>
Volkes, zahlreiche Verrichtungen im Freien vorzunehmen, wäre es nur natür¬<lb/>
lich, wenn auch die Maler ihre Staffeleibilder unter freiem Himmel fertig ge¬<lb/>
macht hätten, so lange noch nicht die Sitte aufgekommen war, sich ein Zwclio<lb/>
einzurichten, in welchem sich die Mäcenaten ein Stelldichein geben. Von den<lb/>
niederländischen Malern, namentlich den holländischen der spätern Zeit wissen<lb/>
wir es gewiß. Es giebt Genrebilder, Volksszenen, auf denen man Maler vor<lb/>
ihrer Staffelei im Freien sitzen und arbeiten sieht, und wenn dieser Thätigkeit<lb/>
auch keine wohlberechnete künstlerische Absicht zu Grunde lag, sondern vielleicht<lb/>
meist nur die bittere Notwendigkeit, weil diese Scinskulotten von Malern ge¬<lb/>
wöhnlich auch in armseligen, dunkeln Löchern hausten, so ist doch sicherlich diese<lb/>
Gewöhnung nicht ohne Einfluß auf gewisse Künstler und ihre Bilder gewesen,<lb/>
so z. B. auf die sonnigen Strandlandschaften eines van Goyen, anf die lichten<lb/>
Straßennnsichten eines Jan van der Heyden und Jan van der Meer von Delft<lb/>
und auf die hellen, leuchtenden Gesellschaftsstücke eines Dirk Hals, Palamedes,<lb/>
Pieter Codde und dieser ganzen Schule. In unserm Jahrhundert wurde das<lb/>
Malen im Freien unter den Landschaftsmalern gewöhnlich, in erster Linie<lb/>
freilich uur das Anfertigen von flüchtigen Beistiftskizzen, von sorgsamer ausge¬<lb/>
führten Zeichnungen und von Skizzen in Ol- und Wasserfarben, welche später<lb/>
bei der Ausführung von Gemälden als Vorlagen dienten. Auch wenn die<lb/>
Maler damals schon auf den Gedanken gekommen wären, Bilder unmittelbar<lb/>
vor der Natur fertig zu malen, würde sie die Langsamkeit und Schwerfälligkeit<lb/>
der Öltechnik daran gehindert haben. Viel leichter ließ sich das mit Hilfe der<lb/>
Aquarelltechuik erreichen, und soviel wir wissen, war Ednard Hildebrandt, der<lb/>
Weltumsegler, der erste, welcher vor der Natur Aquarelle nicht bloß als Studien¬<lb/>
material anfertigte, sondern sie auch völlig bildmäßig durchführte und vollendete.<lb/>
Auch in unsrer Zeit hat man nach Mitteln gesucht, die eine rasche Ausführung<lb/>
ermöglichen, namentlich da, wo es sich um schnelles Festhalten einer vorüber¬<lb/>
gehenden Erscheinung handelt oder wo Ort und Zeit ein längeres Verweilen<lb/>
des Malers nicht gestatten.  Ich kenne hervorragende, von ihrer Kunst ernst-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0590] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. Vorwärtsstreben auch immer einen Fortschritt bedeute; aber Freiheit der Be¬ wegung und das Recht, sich von der Überlieferung unabhängig zu machen, ist eine der ersten Forderungen, welche wir für die Kunst in Anspruch nehmen müssen. Die ZZo.-p1sin-g.ir-Malerei, d. h. das Malen eines Bildes bis zu seiner Vollendung im Freien, ein andrer Punkt auf dem Programm der neuen Kunst, ist nun durchaus nicht ein so schroffer Bruch mit der Überlieferung, wie die Neuerer glauben. Wenn man die lichten Fresken eines Giotto und seiner Schule, die Tafelmalereien der Florentiner bis zu Filippo Lippi und die nieder¬ ländischen Gemälde der van Eyck und ihrer Schule ins Auge faßt, möchte man annehmen, daß bereits diese Maler landschaftliche Studien im Freien gemacht oder sich doch dnrch Übung des Auges vor der Natur zu „Hellsehern" aus¬ gebildet haben. Bei der uoch heutzutage herrschenden Gewohnheit des italienischen Volkes, zahlreiche Verrichtungen im Freien vorzunehmen, wäre es nur natür¬ lich, wenn auch die Maler ihre Staffeleibilder unter freiem Himmel fertig ge¬ macht hätten, so lange noch nicht die Sitte aufgekommen war, sich ein Zwclio einzurichten, in welchem sich die Mäcenaten ein Stelldichein geben. Von den niederländischen Malern, namentlich den holländischen der spätern Zeit wissen wir es gewiß. Es giebt Genrebilder, Volksszenen, auf denen man Maler vor ihrer Staffelei im Freien sitzen und arbeiten sieht, und wenn dieser Thätigkeit auch keine wohlberechnete künstlerische Absicht zu Grunde lag, sondern vielleicht meist nur die bittere Notwendigkeit, weil diese Scinskulotten von Malern ge¬ wöhnlich auch in armseligen, dunkeln Löchern hausten, so ist doch sicherlich diese Gewöhnung nicht ohne Einfluß auf gewisse Künstler und ihre Bilder gewesen, so z. B. auf die sonnigen Strandlandschaften eines van Goyen, anf die lichten Straßennnsichten eines Jan van der Heyden und Jan van der Meer von Delft und auf die hellen, leuchtenden Gesellschaftsstücke eines Dirk Hals, Palamedes, Pieter Codde und dieser ganzen Schule. In unserm Jahrhundert wurde das Malen im Freien unter den Landschaftsmalern gewöhnlich, in erster Linie freilich uur das Anfertigen von flüchtigen Beistiftskizzen, von sorgsamer ausge¬ führten Zeichnungen und von Skizzen in Ol- und Wasserfarben, welche später bei der Ausführung von Gemälden als Vorlagen dienten. Auch wenn die Maler damals schon auf den Gedanken gekommen wären, Bilder unmittelbar vor der Natur fertig zu malen, würde sie die Langsamkeit und Schwerfälligkeit der Öltechnik daran gehindert haben. Viel leichter ließ sich das mit Hilfe der Aquarelltechuik erreichen, und soviel wir wissen, war Ednard Hildebrandt, der Weltumsegler, der erste, welcher vor der Natur Aquarelle nicht bloß als Studien¬ material anfertigte, sondern sie auch völlig bildmäßig durchführte und vollendete. Auch in unsrer Zeit hat man nach Mitteln gesucht, die eine rasche Ausführung ermöglichen, namentlich da, wo es sich um schnelles Festhalten einer vorüber¬ gehenden Erscheinung handelt oder wo Ort und Zeit ein längeres Verweilen des Malers nicht gestatten. Ich kenne hervorragende, von ihrer Kunst ernst-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/590
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/590>, abgerufen am 23.07.2024.